Als Chefpromoter müssen Sie vorne hinstehen können

Jürg Schmid, Direktor von Schweiz Tourismus, über den MICE-Standort Schweiz, die Kritik an seiner Person und das Schweizer Champignon-Prinzip.

Herr Schmid, im Zuge der Debatte um Ihren Lohn, die wir hier nicht wieder aufwärmen wollen, wurde auch Ihre Person ganz direkt kritisiert. Sie seien ein «begnadeter Selbstdarsteller», hiess es unter anderem. Wie dominant sind Sie wirklich?

Wenn Sie die Aufgabe haben, ein Land zu vermarkten, sozusagen als oberster Marketingmann des Tourismus, und Sie dann nicht jemand sind, der vorne hinstehen kann und das auch macht, dann haben Sie die falsche Person. Ich weiss schon, in der Schweiz ist es manchmal so, wenn man dann auch wirklich vorne hinsteht und macht, gibt es immer auch Stimmen, die genau das kritisieren. Aber ich glaube, die Kritik gehört zu dieser Aufgabe. Es ist mein Job, der Chefpromoter vom Reiseland Schweiz zu sein. Und ich mache das mit Herz und Freude. Und dazu braucht es manchmal eben auch eine gewisse Präsenz auf der Bühne.

Manche sehen das aber offenbar nicht so gern.

Wissen Sie, in der Schweiz gibt es das Champignon-Prinzip. Wenn einer zu hoch wächst, wird er gekürzt. Mit dem muss man ein bisschen leben. Es ist auch mein Job, Schweiz Tourismus zu prägen. Viel berechtigter wäre die Kritik, wenn man sagen würde, den spürt man ja gar nicht. Klar bringe ich mich ein, sicher habe ich klare Vorstellungen. Aber wenn es Jürg Schmid mal nicht mehr gibt, wird es bei Schweiz Tourismus mit unvermindert hohem Tempo weitergehen. Dank der tollen Teams im Meeting-, aber auch im Tourismusbereich. Heute muss man als Direktor prägen und gleichzeitig auch ersetzbar sein

Welches sind die wichtigsten und erfolgversprechendsten Projekte, die derzeit bei Schweiz Tourismus laufen?

Der Erfolg wird in erster Linie aus den Fernmärkten, aus dem asiatischen Raum kommen. Im Incentive-Bereich sehen wir eine ganz erfreuliche Nachfrage. Das Image der Schweiz ist top, sie ist begehrenswert. Im Incentive-Bereich geht es ja gerade darum, dass man über das Begehren eine Motivation in der Firma auslöst. In Europa hingegen, im Kongress- und Meetingbereich, gilt es, uns zurückzukämpfen. Wir haben deutlich verloren, gehen jetzt von einer Stabilisierung aus und können dann wieder zulegen.

In konkreten Zahlen?

Es gibt, wie Sie wissen, keine präzise Erfassung von Übernachtungen und Umsätzen aus dem Meetingbereich. Wir können nur die Offertanfragen bei uns tracken und diese sind aus dem europäischen Raum in den letzten drei Jahren um ca. 20% zurückgegangen. Zudem werden die Meetings kürzer und mit weniger Personen abgehalten. Im Freizeitbereich können wir ganz präzise sagen, dass wir seit der Frankenstärke exakt 31% aller europäischen Übernachtungen verloren haben.

Welche aktuellen Grossprojekte bringen den Tourismus derzeit voran?

Es wird erfreulicherweise investiert in die Schweizer Meeting- und Kongressindustrie. Der Bürgenstock ist ein Beispiel, das die Schweiz recht stark positionieren wird. Er bietet gerade für den Kongressbereich nicht nur einen fantastischen Standort, sondern auch eine grosse Sicherheit. Mit wenigen Massnahmen haben Sie dort oben ganz rasch eine hohe Sicherheitszone, die es so im europäischen Raum nur an wenigen Orten gibt.

Weitere Beispiele?

An ganz vielen Orten wird in die Infrastruktur investiert, sehr oft im urbanen Umfeld, Lausanne, Montreux, das Zürcher Kongresshaus.

Sehr oft auch von ausländischen Investoren, z.B. aus dem arabischen Raum.

Durch den starken Franken gibt es eine hohe Investitionsattraktivität aus dem Ausland. Das wird weiterhin steigen. Der Vorteil unserer Branche ist, wir sind immobil. Das heisst, wer investiert, investiert etwas ins Land. Wenn ein Investor aus Katar kommt und investiert, sage ich: hurra, das bringt uns weiter!

Wieviel Schweiz steckt dann noch in solchen Projekten?

In Projekten wie dem Bürgenstock steckt jede Menge Swissness. Wegen dieser kommen die Investoren ja her. Und – ausländische Investoren öffnen auch Märkte. Ein ausländischer Investor bringt immer auch ein Netzwerk mit, eröffnet neue Kanäle und kann oft auch eine kluge Marketingmassnahme sein.

Nicht nur im Luxusbereich drängen ausländische Investoren in die Schweiz. Deutsche Budgethotelmarken wie Motel One oder auch Prizotel wollen die Schweizer Städte erobern. Was sind die Folgen?

Im Dreisterne-Bereich gibt es sicher einen Preisdruck durch diese Modelle, die auf der Serviceseite sehr entschlackt sind. Wenn man an die Mechanismen der Marktwirtschaft glaubt, wird es das ganze System weiterbringen. Auch hier wieder: Diese Hotelmarken sorgen in Deutschland für Kommunikation und das kann wieder neue Gästegruppen anziehen.

Und was bringt es dem Kongressbereich?

Diesem bringen diese grösseren Hotels v. a. höhere Zimmerkapazitäten. Und auch für Businesstraveller wird das interessant. Die Städte werden durch diese Angebote ein Stück kompetitiver. Das wird schütteln. Positiv ist: In den Schweizer Städten wird investiert, das Wachstum ist ungebrochen, wenn es auch nicht so gross ist wie derzeit in anderen europäischen Städten.

Driften Stadt und Land in diesem Bereich auseinander?

Wir haben eine unterschiedliche Entwicklung in Stadt und Land. In den Bergen ist Druck auf den Preisen und es findet ein Strukturwandel, eine Redimensionierung statt. Investitionen v.a. auch im Meetingbereich sind in ländlichen Regionen viel schwieriger zu realisieren.

Braucht es Unterstützung vom Staat?

Staatseingriffe sind nicht das, was die Branche gross gemacht hat. Sie muss aus eigener Kraft zu Profitabilität und Attraktivität finden. Dazu gehören auch ein Strukturwandel und zeitweise auch eine Redimensionierung. Das ist hart für den Einzelnen und richtig für das Ganze.

Jürg Schmid und Stephanie Günzler

Zurück zu den Kongressen. Wie ist Ihr Standpunkt in Sachen Kongressinfrastruktur in der Schweiz, speziell in Zürich?

Aus Marketingsicht können wir sagen, Zürich hat das Potenzial für ganz grosse Kongresse und Wachstum in dem Bereich. Aber Zürich hat die Örtlichkeiten nicht an zentraler Lage, um wirklich die Marktnachfrage zu bedienen. Ob man das Potenzial mit einer grösserern Infrastruktur abschöpfen möchte, ist eine Entscheidung der Stadt Zürich. In Genf gibt es das Angebot zentral, aber Sie haben beschränktere Hotelkapazitäten.

Welche Schweizer Städte sind führend in Sachen Event-Infrastruktur?

Bei «grossen» Events im Bereich ab 5000 Personen gibt es da nur Genf und Basel. In Basel sind die Neuerungen unglaublich gut gelungen, aber man muss mit den Hotelkapazitäten teils bis nach Zürich oder Luzern ausweichen. Genf und Basel sind ganz klar die Leader im Kongresstourismus in der Schweiz. Perfekt ist die Schweiz für den Markt 1000 bis 2500 Personen. Da schätzt man die schnellen Wege, die Nähe, die Beschaulichkeit.

Unabhängig von der räumlichen Infrastruktur. Was muss im MICE-Bereich geboten werden, damit die Schweiz konkurrenzfähig ist?

Die Schweiz ist dazu verdammt, immer das kleine Stückchen besser zu sein, weil wir immer das kleine Stückchen teurer sind. Unsere Branche ist zu Innovation verpflichtet. Etwa im Bereich Gepäckmanagement. Aber es passiert viel.

In Zeiten von Booking.com und Airbnb, was muss sich noch ändern?

Heute leben wir in einer Multikanal-Realität. Man muss mit multiplen Kooperationspartnern zusammenarbeiten und gleichzeitig den eigenen Kanal mit der höchsten Priorität bedienen. Ich stelle schon mit einer gewissen Besorgnis fest, dass die Digitalisierung in der Hotellerie noch unterschätzt wird. Es muss mehr investiert werden in die Fertigkeiten, das Rollenbild von jemandem an der Réception wird sich verändern. Man muss Themen wie Social Media umarmen und mit Interesse darauf zugehen. Im Meetingbereich hat man klar die Chance, einen Anfrager über den Service zu gewinnen und sich zu differenzieren. Und das fängt digital an. Der erste Eindruck von einem Land erfolgt heute, bevor man im Land ist.

Wo sind wir gut?

Das Meetinggeschäft lebt vom Spezialservice, vom Überraschungsmoment, und zum Glück ist das noch nicht alles roboterisierbar. Da kann sich die Schweiz positionieren. In der Qualität, aber auch in der Verlässlichkeit. Wenn man eine spezielle Idee realisieren will, weiss man, dass es dann auch klappt. Das ist schweizerisch.

Da wären wir wieder beim Thema Selbstdarsteller. Der Schweizer sagt nicht gerne öffentlich, wie gut er ist.

Ich habe lange für Silicon-Valley-Unternehmen gearbeitet. Das ist eine andere Kultur. Wenn in den USA ein Projekt auf den Tisch kommt, sagt der Amerikaner: «What can I win?» Der Schweizer schaut das gleiche Projekt an und sagt: «Was könnte schief gehen?» Amerikanisierung ist nicht unser Ziel. Aber in der Schweiz haben wir Hemmungen, hinzustehen und zu sagen, wir sind gut. Diese Schwelle haben wir in den letzten Jahren im Tourismus versucht zu durchbrechen, immer wieder.

Umso mehr in Zeiten des starken Frankens.

Der Franken wird stark bleiben. Das Land braucht darum ein neues Selbstbewusstsein. Da probieren wir, unseren Beitrag zu leisten. Es gibt tolle Projekte, teils müssen wir die Leute aufrütteln, dass sie es doch bitte auch nach aussen tragen.