«Tisch, Stuhl und Bett – das reicht heute nicht mehr»

Andreas Züllig, seit Januar 2015 Präsident von Hotelleriesuisse, über Frankenstärke, Rahmenbedingungen, Strategien und MICE-Geschäft.
Züllig
Andreas Züllig, Präsident Hotellerie Suisse ©Hotellerie Suisse

Herr Züllig, wie dramatisch ist die Lage im Schweizer Tourismus wirklich?

Das wird sich im Laufe des Sommers, im Herbst und vor allem im Winter zeigen. Besonders die Bergregionen sind betroffen. Wir waren mal bei einem Wechselkurs von CHF 1.60 für einen Euro, kamen dann auf CHF 1.20 runter und hatten drei Jahre, uns darauf einzustellen, was sich in einem leichten Aufwärtstrend im letzten Jahr manifestierte. Seit Mitte Januar ist die Schweiz nun für Gäste aus dem Euro-Raum 15 bis 20% teurer geworden und für Schweizer sind Ferien im Ausland in etwa gleichem Umfang günstiger geworden. Das steckt man nicht einfach so weg.

Ist es nicht zu einfach, alles auf die Frankenstärke abzuwälzen?

Nein. Es gibt verschiedene Faktoren, die die Logiernächte beeinflussen. Wir sprechen von den drei W’s: Wetter, Wirtschaft und Währung. Das Wetter ist für die nahen Märkte fast der wichtigste Faktor. Da wird kurzfristig aufgrund des Wetters und des Preises entschieden. Die Aufenthaltsdauer bei solchen Buchungen wird zudem kürzer, sie sank in den letzten zehn Jahren um 20%. Wir müssen also 20% mehr Gäste haben, um auf die gleiche Anzahl Logiernächte zu kommen.

Wirtschaftlich wirkten sich die zwei Bankenkrisen, die Euro-Entwicklung, das geringe Wachstum im Euro-Raum und jetzt die Aufgabe des Euro-Mindestkurses aus. Das alles hat die Nachfrage beeinflusst. Mehr als 50% unsererGäste kommen aus dem Ausland.Im Gegensatz zur Exportindustrie, die Arbeitsplätze und Produktionen auslagern und im Ausland günstiger einkaufen kann, sind wir standortgebunden. Wir produzieren mit lokalen Mitarbeiter- und Warenkosten, wir können nicht ausweichen.

Sind die Probleme teilweise nicht auch hausgemacht?

Wir haben teilweise strukturelle Probleme, die gibt es aber in allen Branchen. Es gibt Betriebe, die nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Zwei Prozent aller Betriebe, also rund 80, schliessen jedes Jahr. Andererseits entstehen vor allem in den Städten neue Hotels, die Wachstum generieren.

Sie kritisieren die Politik und die Nationalbank. Warum?

Die Politik hatte drei Jahre Zeit, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Vor allem die KMU werden mit immer mehr Vorschriften und Regulierungen belastet, zeitlich und finanziell. Und die Masseneinwanderungs-Initiative erschwert uns die Suche nach qualifizierten Mitarbeitenden. Ich frage mich, ob die Freigabe des Schweizer Franken die einzige Lösung war. Bei einer schrittweisen Rücknahme oder einem früheren Ausstieg bei CHF 1.25 hätte sich die Wirtschaft besser darauf einstellen können.

Welche konkreten Forderungen haben Sie?

Trotz schwieriger Zeiten sind wir mit neuen Belastungen konfrontiert. Das muss aufhören, da ist die Politik gefordert. Ein Beispiel: Das Lebensmittelgesetzt wird überarbeitet und da ist geplant, dass jedes Produkt auf der Karte bezüglich Inhaltsstoffe, Allergien usw. deklariert werden müsste. Es kann doch nicht sein, dass eine Speisekarte in Zukunft wie ein Beipackzettel eines Medikaments aussieht.

Oder: Grundsätzlich haben wir eine Sozialpartnerschaft mit einem Gesamtarbeitsvertrag. Dieser soll weiterhin zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgehandelt werden. Die Politik soll sich da nicht einmischen indem sie über das Arbeitsgesetz die Rahmenbedingungen verschärft.

Liegt das auch an einer mangelnden Lobby-Arbeit in Bern?

Wir haben keine direkten politischen Vertreter im Parlament, was sicher ein Nachteil ist. Wir haben aber gute Kontakte und betreiben Lobbying soviel wie möglich und bringen unsere Anliegen und Interessen ein. Das ist eine wichtige Arbeit, die der Verband leistet. Die aktuelle Krise ist auch eine Chance, aufzuzeigen, was die Auswirkungen auf unsere Branche sind und uns zu erklären. Es gibt viel Erklärungsbedarf, denn inzwischen betreffen die Folgen auch jene Betriebe, die ihre Hausaufgaben gemacht haben.

Wie meinen Sie das?

Sogar Betriebe, die investiert haben und innovative Ideen umsetzen, stehen unter Druck. Die aktuellen Wettbewerbsverzerrungen kann man auch mit dem besten Marketing nicht wettmachen. Zudem wird die Wirkung des Tourismus für den gesamten Werkplatz Schweiz und dessen Image unterschätzt.

Wirkt sich die Krise regional unterschiedlich aus?

Regionen, sie sich auf den europäischen Markt konzentrieren, sind viel direkter betroffen. Im Bereich MICE trifft das beispielsweise auf Davos zu, da hat man soeben einen Kongress verloren, was aber auch mit Compliance- Regeln zu tun haben könnte. Die Alternative sind europäische Städte, weil der Preisunterschied hier einfach zu hoch ist. Da können wir nicht konkurrieren, wir müssen unsere Kosten decken.

Städte wie Zürich, das sich immer mehr auch zur touristischen Desti-nation für Asiaten und Gäste aus den arabischen Ländern entwickelt, laufen sehr gut. Auch Basel entwickelt sich gut, speziell im Messe- und Kongresssegment. Luzern profitiert von den asiatischen Märkten. Graubünden, das Wallis und das Tessin, die sich stark auf Schweizer und europäische Gäste ausgerichtet haben, sind hingegen massiv betroffen. Das Berner Oberland mit Fokus auf indische, arabische und englische Gäste, kann sich gut halten.

Gibt es auch Unterschiede je nach Hotelkategorie?

Es gibt erfolgreiche Produkte im low price/high quality Segment, wie etwa die Jugendherbergen. Und wir haben sehr gute Häuser und Produkte im Vier- und Fünfstern-Bereich. Alles dazwischen leidet, vor allem Hotels, die sich nicht klar positionieren und nur Tisch, Bett und Stuhl anbieten. Das reicht heute nicht mehr.

Die Konsolidierung in der Hotellerie wird sich also fortsetzen?

Ja, Betriebe, die den heutigen Marktbedürfnissen nicht mehr entsprechen, werden verschwinden. Wir haben rund 5000 Hotelbetriebe in der Schweiz, 40% sind Mitglied bei uns und repräsentieren 60% der verfügbaren Zimmer und 80% der Logiernächte. Im Verband sind also eher mittelgrosse und grössere Betriebe, die professionell aufgestellt sind und ihre Hausaufgaben machen. Die 60% Nicht-Mitglieder sind eher kleine und Kleinstbetriebe, oft in Randregionen. Wenn diese verschwinden, ist das für die Region ein grosser Verlust, insgesamt verändert sich die Zahl der angebotenen Zimmer durch die Eröffnung
von grösseren Häusern in Städten aber kaum.

Wie können einzelne Betriebe und Sie als Verband Gegensteuer geben?

Der Unternehmer bzw. Hotelier muss seine Hausaufgaben selber machen, da kann ihm niemand helfen. Man muss wissen, für was man steht, welches Produkt man in welchem Markt und für welche Zielgruppe anbietet. Kleinere Betriebe sollten vermehrt kooperieren, zum Beispiel im Marketing oder beim Gästeangebot wie etwa Kinderbetreuung oder Aktivprogramme. Es ist weniger eine Frage der Grösse oder der Sterne, sondern der klaren Positionierung und der entsprechenden Umsetzung.

Hat der Verband eine klare Strategie, um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen?

Wir verfolgen seit Jahren eine klare Strategie, die auf drei Bereiche fokussiert. Einerseits der Mensch, also der Gast, aber auch qualifizierte Mitarbeiter, dann die Aus-/Weiterbildung und
die Nachwuchsförderung. Zweitens der Markt, da denke ich an die Kooperation mit Schweiz Tourismus oder die Buchungsplattform STC, was Mehrwert für unsere Mitglieder generiert. Und nicht zuletzt die Politik, mit dem Ziel, die Rahmenbedingungen zu verbessern.

Derzeit sind wir an der Strategie 2025, die muss überarbeitet und den Entwicklungen angepasst werden. Wir wollen als Branche, als wichtiger Wirtschaftszweig und als Arbeitgeber ernst genommen werden.

Kooperationen werden oft als Heilmittel angeführt. Viel ist davon nicht zu spüren, die meisten Marktteilnehmer kochen weiterhin ihr eigenes Süppchen.

Das ist leider so. Wir sind eine klein strukturierte KMU-Branche. Mehr als 70% der Betriebe haben weniger als 50 Betten. Es gibt Berührungsängste, da man sich noch zu sehr als Mitbewerber denn als Partner sieht. Die Zeit für ein Umdenken ist reif.

Es geht dabei auch um Kooperationen mit anderen Leistungsträgern wie etwa Bergbahnen, und das auch noch regional und überregional. Die ganze Dienstleistungskette ist gefordert. Offenheit und Vertrauen spielen dabei eine wichtige Rolle.

Wir als Verband können diesen Prozess mit Best-Practice-Beispielen begleiten und unterstützen. Wir können die Branche für Kooperationen sensibilisieren und Trends – etwa die Erwartungen der Generation Y oder die demografischen Entwicklungen – sowie Lösungsmöglichkeiten aufzeigen. So wie sich die Bedürfnisse der Gäste verändern, so müssen wir unser Angebot anpassen. Auch bei der technologischen Entwicklung können wir unsere Mitglieder unterstützen.

Hoffnung Binnenmarkt: Wie kann man die Schweizer für die Schweiz begeistern bei all diesen günstigen Angeboten um uns herum?

Der Anteil Schweizer Gäste, welche in der Schweiz in einem Beherbergungsbetrieb eingecheckt haben, war in den letzten 20 Jahren noch nie so hoch wie 2014. Wenn das Preis-Leistungsverhältnis nicht stimmen würde, dann hätten wir diese Gäste sicher nicht. Da der Trend hin zu Kurzaufenthalten aber anhält, schlägt sich das nicht entsprechend in der Logiernächte- Statistik nieder. Die kurzfristigen Buchungen und Kurzaufenthalte sind aber auch eine Chance für die Marge, da der Preis oft eine untergeordnete Rolle spielt. Dank der technologischen Entwicklungen kann man sich schnell informieren und sein Ferienbudget mit ein paar Kurzaufenthalten optimieren. Kurzfristig mal zwei/drei Tage irgendwo hin ist kein Problem. Die schnellen Informationen haben aber auch den Nachteil, dass wir bei schlechtem Wetter kaum Gäste haben. In meinem Betrieb hier im Schweizerhof auf der Lenzerheide hat uns das schöne Sommerwetter der vergangenen Wochen 20 bis 30% mehr Gäste gebracht. Die meisten davon kurzfristig gebucht, was eine grosse Herausforderung für die Planung ist. Grundsätzlich verbringt der Schweizer seine Hauptferien im Sommer nicht mehr in der Schweiz.

Wo liegt das grösste Potenzial für eine Erholung bzw. ein Wachstum?

Eine Abschwächung des Schweizer Frankens würde uns natürlich am meisten helfen und würde sofort Wirkung zeigen. Alles andere wie die politischen Rahmenbedingungen anzupassen oder den Gesamtarbeitsvertrag flexibler zu gestalten sind mittelfristige Ziele und wirken sich verzögert aus. Ich verspreche mir etwas von den aktuellen Marketingmassnahmen von Schweiz Tourismus, mit denen der Binnenmarkt verteidigt wird. Wenn die aktuelle Situation noch lange andauert, dann rechne ich mit einem grossen Kollateralschaden für den gesamten Werkplatz Schweiz, nicht nur für den Tourismus. Unabhängig von der Branche
werden wir alle betroffen sein. Der Druck auf Detailhandelspreise, Löhne und mehr wird markant steigen.

Welche Rolle spielen die neuen Quellmärkte in Asien, Middle East und Südamerika?

Die sogenannten BRICS-Staaten sind wichtig. Aber auch dort wachsen die Bäume nicht in den Himmel. In Brasilien und Russland sieht es wirtschaftlich nicht so rosig aus, und die finanziellen Turbulenzen in China verunsichern die dortige kaufkräftige, reisefreudige Mittelschicht. Diese Märkte bearbeiten wir, was aber ein jahrelang anhaltender Prozess ist. Bei den Chinesen werden zwei von drei Franken nicht in der Hotellerie ausgegeben, sonder für Transport und Shopping. Interessant wird es für uns, sobald sich bei den Chinesen der Individualtourismus durchsetzt. Den Rückgang aus dem Euro- Raum mit seiner hohen Wertschöpfung können alle diese Märkte aber bei weitem nicht auffangen.

Wie sollte und wird sich das Tourismusland Schweiz in fünf bis zehn Jahren präsentieren?

In den letzten 150 Jahren Tourismus in der Schweiz hatten wir immer wieder Rückschläge und konnten uns jedes Mal anpassen und Chancen packen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das auch in Zukunft schaffen werden. Wir sind flexibel, wir sind Unternehmer. Tourismus in der Schweiz wird es auch in zehn und 20 Jahren noch geben, er wird sich aber verändern.

Macht Ihnen Ihr Amt als oberster Hotelier der Schweiz noch Spass?

Ja, und zwar sehr. Es ist spannend und die Krise gab uns die Gelegenheit, uns zu positionieren und den Tourismus und die Hotellerie in der Öffentlichkeit zu erklären. Ich bekomme viele Plattformen, auf denen ich mich, den Verband und unsere Anliegen bekannt machen sowie die Rahmenbedingungen und deren Auswirkungen erklären kann. Das hilft, Verständnis zu wecken und aufzuzeigen, dass wir nicht die Hände in den Schoss legen, sondern uns den Herausforderungen stellen.

Was ärgert bzw. freut Sie am meisten an der aktuellen Situation?

Das Image in der Öffentlichkeit, es sei nur eine Frage der Freundlichkeit, dass der Tourismus und damit die Hotellerie unter Druck stehe, ärgert mich am meisten. Eine Studie der Hochschule Luzern hat gezeigt, dass die Wahrnehmung der Gastfreundschaft durch unsere Kunden viel besser ist, als wir und die allgemeine Öffentlichkeit sie beurteilen. Das Pauschalurteil, die Österreicher sind nett und wir nicht, oder wir sind teuer und die anderen nicht, wird gar noch gepflegt. Ich wehre mich gegen dieses Schwarz-Weiss-Denken. Am meisten freut mich, wieviel Verständnis uns entgegengebracht wird für alle Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Und dass wir auch auf politischer und behördlicher Ebene als Gesprächspartner mit Beherbergungskompetenz wahrgenommen und respektiert werden. Die meisten Hoteliers jammern nicht, sondern packen an und setzen innovative Ideen um. Wir werden auch diese Krise meistern. Die Mehrheit der Signale, die ich von der Basis erhalte, sind jedenfalls positiv. www.hotelleriesuisse.ch