Unterschätzte Risiken

Noch längst nicht überall ist man sich der Fallstricke bewusst, die bei mittel- und längerfristigen Arbeitseinsätzen im Ausland drohen können.
Risiken

Das Thema hat in den letzten Jahren mit der Globalisierung massiv an Dringlichkeit gewonnen: Immer mehr Unternehmen entsenden immer häufiger Mitarbeitende temporär an Produktionsstätten, Niederlassungen oder Einsatzorte im Ausland. Was sie dabei auslösen können und welche Risiken damit verbunden sind, ist man sich aber noch längst nicht überall bewusst. Denn damit sind nicht selten Fallstricke im Zusammenhang mit der Immigration, dem Arbeitsrecht, des Steuerrechts oder der Gehaltsabrechnung und der Sozialversicherung verknüpft.

STRAFRECHTLICHE SANKTIONEN

«Die Dynamik und die Komplexität, die das Thema Compliance inzwischen angenommen hat, überfordert oft die Unternehmen», wissen Patrick Allemann, Director Global Mobility Services, und Adrian Tuescher, Director Immigration Services bei der Steuer- und Rechtsberatung von KPMG. Tatsächlich sind die Risiken, die bei nachlässiger Compliance drohen, nicht zu unterschätzen: Staaten, die den lokalen Arbeitsmarkt schützen und sich dringend benötigte Einnahmen bei ausländischen Firmen nicht entgehen lassen wollen, greifen bei Nichtbeachtung von Regulationen härter durch, die Überprüfung der Einhaltung des Steuer-, Arbeits- und Einreiserechts nimmt zu, Offenlegungspflichten werden verstärkt. Unterlassungen können strafrechtliche Sanktionen zur Folge haben compliance organisieren und den Ruf eines Unternehmens nachhaltig beschädigen – Vorwürfe von Mitbewerbern, man biete nur deshalb so günstig an, weil man nicht korrekt abrechne, können gerade bei Aufträgen für die öffentliche Hand verheerende Folgen haben.

Patrick Allemann skizziert ein Beispiel: «Wenn eine Schweizer Firma in Deutschland eine Anlage erstellt mit einer Bauzeit von 18 Monaten, gilt diese nach zwölf Monaten als Betriebsstätte. Das heisst, dass ab dann ein Mitarbeiter, auch wenn er nur zwei, drei Tage dort zu tun hat, im Prinzip in Deutschland steuerpflichtig wird. Das zuständige Steueramt in Konstanz kann deshalb verlangen, dass sämtliche Lohnsteuerabrechnungen solcher Mitarbeitenden eingereicht werden – ein grosser administrativer Aufwand. Entspricht etwas nicht den Vorschriften, droht dem Unternehmen nicht nur eine saftige Busse, sondern die Geschäftsführung muss gar mit einem Strafverfahren rechnen.»

Es könne schon sein, dass die eine oder andere Firma das Thema Compliance etwas zu nachlässig angehe oder versuche, die Grenzen auszuloten. Oft gehe es aber einfach um mangelndes Wissen, unklare Kompetenzen oder den fehlenden Überblick über die im Ausland tätigen Mitarbeitenden – bis es eines Tages zu spät sei und man in einem aufwändigen und möglicherweise fatalen Verfahren stecke: «Hat man als günstigster Anbieter eine Ausschreibung gewonnen, kann die Kostenlage wegen Nachzahlungen plötzlich total auf den Kopf gestellt werden. Wegen Compliance-Verfehlungen werden gar Aufträge storniert», warnt Allemann.

DIE VERUNSICHERUNG WÄCHST

Beim Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KPMG hat man bereits vor einiger Zeit realisiert, dass solche Compliance-Fragen bei den Kunden zunehmend für Verunsicherung sorgen – das Bedürfnis nach verlässlichen Informationen und Problemlösungen ist gross, das entsprechende Know-how ist intern selten komplett vorhanden. Deshalb wurde bei KPMG ein «Mobile Workforce Team» mit Spezialisten aus allen betroffenen Gebieten als Ansprechpartner zusammengestellt, dem auch Immigration-Experte Adrian Tuescher angehört: «Wir setzen die Grenze, wo es kritisch werden kann, spätestens bei einem Auslandaufenthalt ab 90 Tagen an.» Aufenthaltsrechtliche Aspekte müssten aber oft im Gesamtkontext einer Firma betrachtet werden (Stichwort Kontingente), was die Komplexität massiv erhöhe.

KONTROLLE MIT NEUEN TOOLS

Gleichzeitig hat man mit dem «KPMG Business Traveller» ein Tool entwickelt, das die Thematik deutlich entschärfen kann. Hinterlegt werden bei dieser Software sämtliche für die jeweilige Firma relevanten und laufend aktualisierten Informationen und Rahmendaten für alle Auslandsreisen. Gibt der Reisende nun seine Reisedaten und das Zielland ein, wird ihm im Ampelsystem mit «grün», «gelb» oder «rot» signalisiert, ob diese Reise bedenkenlos ist (grün), weitere Compliance-Abklärungen notwendig macht (gelb) oder nicht in Frage kommt (rot). Ist die Reise unbedenklich, erhält der Reisende eine Nummer, mit der er beim Reisebüro seine Buchung in Auftrag geben kann – fehlt diese Freischaltung, wird die Anfrage vom Reisebüro nicht bearbeitet.Ähnliche Tools haben auch einzelne andere Beratungsfirmen im Einsatz.

Bei KPMG ist man überzeugt, dass man eine der besten Lösungen am Markt habe – technologische Innovationen seien seit jeher eine Stärke von KPMG. Das Tool steht denn auch schon bei verschiedenen Grossunternehmen erfolgreich im Einsatz, so zum Beispiel bei Alstom. Je nach Reisevolumen kann die Lösung entweder von einem Unternehmen in Lizenz übernommen und intern implementiert werden, was vor allem für Grossfirmen Sinn macht, die ständig mehr als 40 Mitarbeitende in aller Welt unterwegs haben. Für alle anderen Firmen dürfte sich kostenmässig ein System der Einzelabfrage (Fall «gelb») lohnen. «Das Tool hat nicht zuletzt zur Folge, dass man firmenintern das Thema ernst nimmt und gleichzeitig auch seiner Sorgfaltspflicht gegenüber jedem einzelnen Reisenden gerecht wird, damit dieser im Ausland nicht unverschuldet in Schwierigkeiten gerät», schliessen die Mobile Workforce-Experten von KPMG das Gespräch.

Compliance-Management: Wer hat in den Unternehmen den Durchblick?

Die Zuständigkeit für Compliance-Aspekte bei längeren Auslandsreisen wird von Firma zu Firma unterschiedlich geregelt – wenn überhaupt. In Grossfirmen involviert sind etwa die HR-Abteilung, die Steuer- und Finanzabteilung oder eine Global Mobility-Einheit, resp. das Travel Management. In KMU ist oft der CEO oder CFO informiert – klare Trends und Strukturen sind aber bei diesem Thema aufgrund der unterschiedlichen Motivation für Auslandsreisen kaum auszumachen. Vielfach haben die Unternehmen nicht mit letzter Sicherheit den Durchblick, wer alles wo und wie lange im Ausland unterwegs ist, weiss man bei KPMG. Es gelte noch einiges nachzuholen, um die wachsenden Risiken in den Griff zu kriegen. Dazu müssen aber vorerst sämtliche Daten erfasst und analysiert werden, was neue Prozesse bedingt.

«Hier könnte sich eine neue Chance für die Reisebranche eröffnen, wo sowieso schon sämtliche Buchungsdaten zusammenfliessen und konsolidiert vorhanden sind», formuliert Patrick Allemann einen möglichen Ansatz. Die Abgleichung der erfassten Buchungsaufträge mit einem Compliance Tool könnte im Sinne eines Mehrwerts zu einer weiteren Dienstleistung der grossen Travel Management Companies (Reisebüros) entwickelt werden, ähnlich wie dies etwa auch im Bereich Safety & Security inzwischen getan wird. Es sei heute dringend notwendig, die Business Travel Community für das Thema Compliance bei längeren Auslandseinsätzen zu sensibilisieren.