«Inspiration ist ein Arschloch»

Jung-von-Matt-Kreativchef Dennis Lück stellte beim Event Management Circle provokante Thesen auf.
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Das muss man sich erst einmal trauen. Da ist man als Werbeagentur-Führungskraft eingeladen, um vor Schweizer Event-Managern einen motivierenden Vortrag zum Thema Kreativität zu halten und als Titel wählt man dann nichts Harmloseres als «Inspiration ist ein Arschloch». Bähm! In your face! Was zunächst brutal klingt, erzielt aber seinen Effekt. Ganz sicher sind alle Eingeladenen über den Titel gestolpert und die Online-Vorankündigung wurde neugierig und zahlreich angeklickt. «Clickbaiting » nennt man diese Methode. Durch einen reisserischen Titel Neugier wecken und einen «Klickköder» auswerfen.

Was in der Werbung dazu dient, höhere Zugriffszahlen und letztlich mehr Einnahmen durch Internetwerbung zu erreichen, nutzte Dennis Lück, Kreativchef bei Jung von Matt/ Limmat, um die Besucher am jüngsten Event Circle im Zürcher X-Tra zu motivieren, ihrer Kreativität im Berufsalltag freien Lauf zu lassen. Dies tat Lück mit Anekdoten und Erfolgsbeispielen aus seiner Agenturarbeit. Sein Motto dabei: «Kreativität ist, wenn der Geist Spass hat». Und: Werbung will keiner. Unterhaltung ist angesagt. Stichwort «Brandertainment».

BEISPIEL 1: DIE SCHNELLSTE WEIHNACHTSKARTE DER WELT
Lück soll für BMW eine Weihnachtskarte entwerfen. Eine Art Horroraufgabe für einen Kreativen. Die Gefahr, bünzlig und abgedroschen daherzukommen, ist gross. Doch Lück bittet kurzerhand um eine Vervielfachung des Budgets und schickt einen Illustrator und einen BMW-Präzisionsfahrer auf eine wilde Testfahrt in einem BMW M5. Der Auftrag für den Illustrator: während der Fahrt auf der Teststrecke ein typisches Weihnachtsmotiv zeichnen. Heraus kommt eine Karte mit einem undefinierbaren Gekritzel darauf und ein Youtube-Film, der millionenfach angeklickt wird. Motto: Nicht ans Briefing gehalten, Auftrag übererfüllt. Die Methode dahinter: «Missbrauche Erwartungen».

BEISPIEL 2: DAS HÖRTEST-KONZERT Der Hörgeräte-Hersteller Neuroth will Werbung für Hörtests machen. Das Thema ist bei den Betroffenen sehr unbeliebt. Warum also nicht kurzerhand das lästige Thema Hörtest mit dem angenehmen Erlebnis eines klassischen Konzertes verbinden? Im Kultur Casino Bern erlebten also rund 1000 Liebhaber der klassischen Musik das weltweit erste Hörtest-Konzert, bei dem die Zuhörer während des Konzertgenusses ihr Hör- vermögen überprüfen konnten. Folge: über tausend ausgewertete Hörtests vor Ort, hunderte von Beratungsgesprächen, ein auffallend höherer Absatz an Neuroth-Hörgeräten und hunderttausende Klicks auf Youtube.

Wie kommen Kreativteams auf solche Ideen? Lück ist davon überzeugt: Druck bringt nichts. «Er tötet die Kreativität.» Und auch am Schreibtisch oder in Brainstormings im Büro entstünden Studien zufolge erstaunlich wenig kreative Ideen. Um kreativ zu sein, sei man am besten vor Ort. Wenn es um Schiffe geht, auf dem Schiff, wenn es ums Grillieren geht, auf der Terrasse am Grillieren. Doch Lück hat auch eine Art Toolbox erfunden, die hilft, Ideen zu finden. Mögliche Herangehensweisen aus dieser Toolbox sind in der Box rechts zu finden.

Übrigens: Laut dem «Future of Jobs Report» des WEF ist Kreativität künftig entscheidend für den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt. Lag sie unter den erwünschten Top-Skills 2015 noch auf Platz 10, wird sie 2020 auf Platz 3 liegen.


Kreative Ideen aus Lücks Toolbox

– Erschaffe einen Helden: Zum Beispiel den «Mountainman», der Passanten am Zürcher HB über ein interaktives Live-Plakat zu Ferien im Bündnerland aufruft. Die Kampagne wurde international berühmt.
– Nutze einen Fakt: Etwa das «herzliche Fotografierverbot» in Bergün. Erwiesener Fakt: Wer sich schöne Ferienfotos von anderen ansieht, aber dabei gerade nicht in den Ferien ist, wird unglücklich. Das will Bergün verhindern und verbietet das Fotografieren, weil es in Bergün so beneidenswert schön ist. Eine bessere Werbung hätte es kaum geben können. Millionenfach wird das Video vom schönen Bergün, wo das Fotografieren verboten ist, angeklickt.
– Verwandle das Problem in eine Lösung: Zum Beispiel die Soundbook- App des Nordsüd Verlags. Weil digital verwöhnte Kinder Vorlesen zu langweilig finden, kreiert die App die richtigen Umgebungsgeräusche, während die vorlesende Person spricht. Die App erkennt, an welcher Stelle des Buches man sich gerade befindet.
– Wechsle die Perspektive: Männer-Deodorant- Werbung aus der Sicht einer Mutter, die sich über die Schwärme von jungen Damen um ihren Sohn herum echauffiert.
– Nutze Gamification: Bandenbingo-App beim HC Davos, die Banden sind mit Sensoren ausgestattet und in Bingofelder eingeteilt. Crasht ein Spieler hinein, gibt’s Punkte für alle App-User. Heraus kommen Merchandise-Rabatt-Gutscheine und 2für1-Angebote für Getränke. So hat der HCD seinen Getränke- und Merchandise- Artikel-Verkauf erheblich angekurbelt.