Die Berge sind die Gewinner des Corona-Sommers

Erstmals zeigen Zahlen aus den hundert wichtigsten Tourismusgemeinden, wo die Gäste trotz Virus in Scharen kamen.
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Erstmals zeigen Zahlen aus den hundert wichtigsten Tourismusgemeinden, wo die Gäste trotz Virus in Scharen kamen. Samnaun führt die Spitzenreiter an, Luzern und Zürich gehören zu den Schlusslichtern. Die Schweizerinnen und Schweizer entdecken in den Sommerferien 2020 ihr eigenes Land. Doch sie verteilen sich ungleich: Städtische Zentren verlieren, während gewisse Bergregionen überrannt werden.

Die «SonntagsZeitung» zeigt mithilfe der Beherbergungsstatistik des Bundesamtes für Statistik auf, welche Gemeinden bei verschiedenen Messgrössen im Juni 2020 gegenüber dem Juni 2019 am meisten verloren haben – beziehungsweise sogar trotz Corona zulegen konnten.

Bündnerland top, Agglo-Gemeinden floppen

Der grosse Gewinner ist dabei das Bündnerland. Die ärgsten Abstürze erlebten dagegen nicht, wie oft beschrieben, die Städte selbst, sondern deren Vorortsgemeinden.

In die Analyse flossen die Daten jener hundert Gemeinden ein, die während der vergangenen fünf Jahre die meisten Hotelübernachtungen verzeichneten. Die Statistik des Bundes erfasst dabei bloss die Daten der Hotellerie, nicht jedoch der Parahotellerie, wozu Campingplätze und Ferienwohnungen zählen.

Das grösste Logiernächte-Plus: Bündner überrannt

Das Bündnerland ist der Corona-Profiteur unter den Tourismusregionen. Dort befinden sich sechs der sieben Gemeinden, die im Juni 2020 gegenüber dem Vorjahr mehr Hotelgäste verzeichnet haben. Ihnen kommt zugute, dass sie wenig abhängig von den nun wegfallenden Überseetouristen sind. Graubünden beherbergt traditionell viele Schweizer.

Der Trend hält über den Juni hinaus an. Auch im Juli und im August gibt es laut Jürg Schmid, Präsident von Graubünden Ferien, deutliche Zuwächse: «Viele Bündner Orte werden sogar einen historischen Sommer-Höchstwert aufweisen.»

Die «SonntagsZeitung» zeigte auf, dass Samnaun sehr gut abschneidet. Das habe einen besonderen Grund: Die Gemeinde ist das einzige Zollfreigebiet der Schweiz. Touristen können im ganzen Dorf zollfrei einkaufen – wie sonst etwa in Duty-free-Shops am Flughafen.

Das grösste Logiernächte-Minus: Agglos bluten

Die Verlierer des Corona-Stillstands leiden unter dem Wegbleiben von zwei Gästegruppen: den Asiaten und den Geschäftsreisenden. Luzern mit dem Vorort Kriens und Engelberg im Kanton Obwalden hatten jahrelang von Chinesen und Indern profitiert.

Dass gerade Kriens der grösste Verlierer ist, liegt an einem Sondereffekt: Auf dem Gemeindegebiet steht das neue Holiday Inn Express Hotel Luzern-Kriens. Es beherbergt normalerweise viele asiatische Reisegruppen, die das nur wenige Autominuten entfernte Luzern besichtigen.

Das Ausbleiben der Geschäftsreisenden reisst dagegen vor allem in den flughafennahen Gemeinden wie Meyrin GE oder Opfikon ZH und in den Städten tiefe Löcher in die Kassen. Obwohl Zürich zu den grossen Verlierern zählt, war die Stadt auch im Juni 2020 die Schweizer Destination mit den meisten Logiernächten.

Das grösste Plus an Schweizern: Daheimgebliebene wollen in die Berge

Nebst den Bündnern haben zahlreiche Gemeinden in anderen Regionen einen grossen Sprung gemacht, indem sie noch mehr ihrer Schweizer Stammgäste angelockt haben. Dabei sticht Grindelwald hervor. Das Dorf am Fuss der Eigernordwand war zwar in normalen Jahren auch bei Ausländern beliebt. Es verliess sich aber – anders als das nahe Interlaken – nicht bloss auf diese.

«Wir profitieren jetzt davon, dass das Angebot hier enorm vielfältig ist», sagt Remo Spieler von Grindelwald Tourismus. Der Ferienort sei nicht nur bei Wanderern beliebt, sondern auch bei Bikern und Trailrunnern, also solchen, welche die Berge auf Wanderwegen hoch- und runterrennen. «Zudem haben wir das Jungfraujoch, das man dieses Jahr so entspannt wie nie erleben kann.»

Wo die Hotels offen, aber schlecht gefüllt waren

Aufsperren und auf Gäste hoffen? Oder das Hotel gleich ganz schliessen und die Angestellten in die Kurzarbeit schicken? Die Wahl wird den Hoteliers dadurch erschwert, dass im Corona-Sommer 2020 viele Gäste nur kurzfristig buchen – Planen ist schwerer als sonst. Wer sich fürs Öffnen entscheidet, läuft Gefahr, zwar die Betriebskosten schultern zu müssen, aber doch keine Gäste empfangen zu können.

Auf schmerzhafte Weise erfahren mussten das Hoteliers einerseits in Vorortsgemeinden wie Meyrin GE oder Pratteln BL. Sie litten darunter, dass der Geschäftsreiseverkehr am Boden liegt. Aber auch Tourismusorte wie Disentis in der Surselva oder Bagnes im Unterwallis zählten im Juni viele kalte Betten. Hier scheint es wahrscheinlich, dass sich dies in den Ferienmonaten Juli und August bessert.

Wo die Hotels gut gefüllt waren: Morschach vorneweg

Ein bisschen Mittelmeer-Stimmung, ohne weit fahren zu müssen: Die Deutschschweizer haben im Juni das Tessin gestürmt und die Hotels gefüllt. Mit Morschach im Kanton Schwyz führt allerdings eine nähere Destination die Auslastungstabelle an.

Der Grund dafür ist, dass das Familienresort Swiss Holiday Park mit seinen 900 Betten gefragt ist. «Aber die Region rund um das Resort bietet auch genau, was die Leute in dieser unsicheren Zeit wollen, nämlich viel Platz und Urchigkeit», sagt Markus Bürgler, Co-Präsident von Stoos-Muotatal Tourismus.

Hotelschliessungen: Städtische Gebiete verlieren

Kloten zählt fünf Hotels – drei davon waren im Juni geschlossen. Nirgendwo sonst in der Schweiz waren prozentual so viele Hotels geschlossen wie in der Flughafenstadt.

«Sie machen aber hoffentlich wieder auf», sagt Marc Osterwalder, stellvertretender Verwaltungsdirektor der Stadt Kloten. «Es hatte im Juni schlicht keinen Sinn für diese Hotels, den Betrieb aufrechtzuerhalten, weil es kaum Geschäftskundschaft gab, die hier übernachtete.» Hinzu kommen normalerweise die Umsteigepassagiere, welche die Nacht in Zürich verbringen – auch die fielen im Juni fast komplett weg.

Schaut man sich die absoluten Zahlen an, schwingt bei geschlossenen Hotels das internationale Genf obenaus: Gleich 28 Betriebe entschieden sich im Juni, geschlossen zu bleiben. Wie viele davon nie mehr öffnen werden, ist nicht bekannt. (MICE-tip)