«Frauen müssen zeigen, dass sie an die Spitze wollen»

Esther Girsberger über Unternehmertum, Frauenquote, beeindruckende Menschen und gute Moderationen.
Esther Girsberger

Frau Girsberger, Sie sind als Journalistin, Moderatorin, Autorin, Dozentin und Verwaltungsrätin tätig. Welche dieser Arbeiten fordert Sie am meisten und warum?

Die jetzige Tätigkeit als Inhaberin und Geschäftsführerin von Speakers.ch ist sehr anspruchsvoll, da wir es mit einem breiten Spektrum an Kunden und deren spezifischen Wünschen zu tun haben. Unser Ehrgeiz, in kurzer Zeit die passende Person zu finden, ist in Anbetracht unserer personellen Ressourcen fordernd. Bei der zunehmenden Kurzfristigkeit der Anfragen ist das breite Beziehungsnetz, das ich habe, aber sehr hilfreich. Auch die Pflege der Kunden und der Referenten ist überaus wichtig und nimmt viel Zeit in Anspruch. Speakers.ch ist deshalb meine Hauptbeschäftigung. Es ist ein People-Business und deshalb will ich mich persönlich voll einbringen. Das schätzen die Kunden auch.

Welche Tätigkeit befriedigt Sie am meisten?

Ich habe das Privileg, das zu tun, was mir Freude macht. Das habe ich meiner ehemaligen Tätigkeit als Chefredaktorin beim «Tages-Anzeiger» zu verdanken. Durch dieses Amt wurde
ich bekannt und kann nun wählen, was ich tun möchte. Ich mache nichts, was mich nicht befriedigt.

Sie schreiben auch Bücher, darunter Biografien. Was reizt Sie daran?

Mich interessieren starke Frauen. Den fachlichen und persönlichen Aspekten von Frauen auf den Grund zu gehen, die etwas zu sagen haben und viel leisten, ist sehr spannend und macht
viel Freude. Von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf und Livia Leu, der früheren Botschafterin der Schweiz im Iran, auch die Zeit für entsprechende Recherchen und Gespräche bekommen zu haben, war eine sehr bereichernde Erfahrung.

Über wen würden Sie niemals eine Biografie schreiben wollen und wer wäre Ihre Traum-Biografie-Figur?

Über Christoph Blocher würde ich keine Biografie schreiben. Nicht wegen seines politischen Backgrounds, sondern weil es schon zu viele gibt (lacht). Eine Biografie über Hillary Clinton wäre interessant, ist aber nicht realistisch. Reizen würde mich die jetzige Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga, auch sie eine starke Frau. Mich interessieren Personen, mit denen ich Gemeinsamkeiten habe. Simonetta Sommaruga und mir bedeutet die Musik viel. Ich bin eine passionierte Geigerin, sie ist Pianistin. Ihren fachlichen Fähigkeiten auf den Grund zu gehen und mit dem persönlichen Background zu verbinden, würde mich als politische Person reizen.

Was wollen Sie als Dozentin den Studenten vermitteln?

Das Dozieren habe ich sistiert. Neben Speakers.ch fehlt mir dafür einfach die Zeit. Jahrelang dozierte ich zum Thema «Das grosse Interview» an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHaW) und lehrte Redaktionsmanagement an der HWZ. Wenn man in einem Bereich doziert, der sich so schnell weiter entwickelt, sollten aber jüngere Kräfte diese Aufgaben übernehmen. Auch wenn es mir gefallen hat, dass man es an der Schule mit einer Generation zu tun hat, mit der man sonst wenig in Kontakt ist.

Sie treffen viele interessante Menschen. Wer ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Karl Maria Brandauer hat mich gewaltig beeindruckt. Am Anfang des Gesprächs war er etwas reserviert, doch wir fanden rasch den Draht zueinander. Zu einem bestimmten Zeitpunkt kamen wir auf das Dritte Reich zu sprechen. Aus seiner Aussage «Wer weiss, wie wir reagiert hätten, wenn wir damals …» entwickelte sich ein unglaublich intensives Gespräch. Ich lernte Brandauer als spannende, vielseitige und tiefgründige Persönlichkeit kennen.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation der Frauen, in der von Männern dominierten Wirtschaft?

Sie ist noch immer schwierig, aber wir kommen voran, wenn auch sehr langsam. Es gibt noch immerzu viele männlich dominierte Unternehmenskulturen. Die männlichen Führungskräfte sprechen von Frauenförderung, lassen aber zu wenig Taten folgen, wenn es um die Umsetzung geht. Wenn CEOs vermehrt sagen würden, sie würden nur noch 80% arbeiten und einen Tag zu Hause bleiben, würde sich rasant schnell viel ändern. Wir hätten rasch mehr Frauen an der Spitze von Unternehmen.

Aktuell haben viele Frauen in Spitzenfunktionen keine Kinder oder die sind schon erwachsen. Auch diesbezüglich wünschte ich mir mehr Diversität. Beispielsweise mehr Frauen mit schulpflichtigen Kindern in Führungspositionen. Wichtig ist mir nicht nur eine quantitative Verbesserung, sondern auch eine Verbreiterung des Spektrums. Personen aus den verschiedensten Lebenswelten sollten in der Wirtschaft mehr Einfluss bekommen.

Wie stehen Sie zu Frauenquoten?

Ich war eine dezidierte Gegnerin. Weil es mir einfach zu lange geht, bin ich inzwischen für eine vorübergehende Frauenquote, bis das Ziel von mindestens 30% erreicht ist. Es gibt genügend Kandidatinnen mit Top- Ausbildung, die alle Voraussetzungen mitbringen, sodass ich das gegnerische Argument der Alibi-Frauen einfach nicht mehr hören kann. Zugegebenermassen müssen Frauen aber auch vermehrt zeigen, dass sie wirklich an die Spitze wollen.

Sie sind verheiratet und haben zwei Söhne. Braucht es bei all diesen Tätigkeiten eine Familienagenda?

Mein Mann und ich machen sonntags einen Agenda-Abgleich und planen die mittelfristigen Termine. Mein Mann sagt immer, wir seien ein Logistikunternehmen. Weil wir beide arbeiten und ich spät Mutter geworden bin, haben wir unsere Söhne früh zur Selbstständigkeit erzogen. Das zahlt sich aus.

Man hat Sie als Stadtratskandidatin der FDP für die Wahlen 2018 ins Spiel gebracht. Würde Sie dieses Exekutivamt reizen?

Das habe ich sofort dementiert. Das war Boulevard-Journalismus at it’s best. Eine Anfrage ist zwar sehr schmeichelhaft, aber ich habe keine Ambitionen und bleibe Unternehmerin. Auch wenn ich ein politischer Mensch bin und ein Exekutivamt durchaus seinen Reiz hat, so will ich mich als Jungunternehmerin voll und ganz meiner Firma Speakers.ch widmen.

Man kann Sie auch als Moderatorin engagieren. Nach welchen Kriterien nehmen Sie solche Aufträge an?

ich weniger. Ich konzentriere mich auf die bisherigen Stammkunden. Daneben bevorzuge ich Fachmoderationen. Themen, die mich besonders interessieren, sind Stadtentwicklung, Bildung und Gesundheit. Am liebsten alle drei zusammen. Das kann ich bei der Moderation zum Thema «Entwicklung des Hochschulquartiers in Zürich» Da moderiere ich gegenwärtig öfters.

Was sind die Eckpfeiler einer guten Moderation?

Man muss sich selber zurücknehmen und keine grossen Geschichten erzählen. Die Diskussionsteilnehmer sind die Hauptpersonen. Schliesslich ist eine vertiefte Vorbereitung unabdingbar. Man muss frei moderieren, zuhören, nachfassen und die entscheidenden Fragen stellen. Ein Gespür, wie man die Teilnehmer aus der Reserve locken kann, gehört auch dazu.

Gibt es Themenfelder, die Sie nie moderieren würden?

Sport, technische oder spezifische Finanzthemen – davon verstehe ich zu wenig und es interessiert mich auch zu wenig. Grundsätzlich sollte man seine Grenzen kennen, was leider nicht auf alle Moderatoren zutrifft. Der Unterhaltungsbereich ist auch nicht mein Ding, dafür werde ich aber auch nicht gefragt. In diesem Segment beeindruckt mich Christa Rigozzi. Sie hat Charme, Fachkompetenz und spricht viele Sprachen.

Welche Visionen und Wünsche haben Sie für die Zukunft?

Mein Mann und ich haben die Vorstellung, dass wir nach dem eigentlichen Berufsleben etwa die Hälfte des Jahres in einem Land leben, in dem er als Lebensmittelingenieur, Agronom und Berggänger und ich als Taucherin, Wasserratte und Entwicklungshelferin gleichermassen auf unsere Kosten kommen. Es ist reizvoll, darüber zu diskutieren und sich vorzustellen, was wir vor Ort alles machen könnten. Zum Beispiel ein Landwirtschaftsprojekt, kombiniert mit biologischen Tauchexkursionen. www.speakers.ch


Esther Girsberger

Esther Girsberger 1961 in Zürich geboren, machte Esther Girsberger 1980 die Matura (Typus B mit Latein und Italienisch). Nach Sprach- und Musikstudien in den USA und in Israel folgte das Jura-Studium in Zürich. Bald danach wechselte sie in den Journalismus, wo sie bei der NZZ tätig war. Es folgten Stationen beim Berner Bund (Inlandverantwortliche), beim Tages Anzeiger (stv. Chefredaktorin und Chefredaktorin) und bei der Weltwoche (Co-Ressortleiterin Wirtschaft). Berufsbegleitend absolvierte sie den Executive MBA (St. Gallen). Während acht Jahren zeichnete sie für die «Sonntags-Gespräche » der Sonntags-Zeitung verantwortlich. Heute moderiert sie Veranstaltungen in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur. Als Inhaberin/Geschäftsführerin der Speakers.ch AG vermittelt sie Persönlichkeiten und Inhalte. Im Mai 2012 wurde sie zur neuen Zentralpräsidentin der Frauenorganisation der Migros gewählt. Sie ist Mitglied des Publizistischen Ausschusses der AZ Medien sowie ehrenamtlich Stiftungsrätin von Swisspeace, Serata (Stiftung für das Alter) und der Zewo. Als spät berufene Mutter widmet Esther Girsberger viel Zeit ihrem Mann und ihren beiden Buben Jonathan und Benjamin (2003 und 2005). Als Hobbys spielt sie Geige in einem halb-professionellen Streichquartett.