«Herkömmliche Anbieter müssen auf der Hut sein»

Experte Jörg Neumann erklärt, wo auf dem MICE-Markt Schweiz noch Potenzial brach liegt.
Jörg Neumann

Herr Neumann, welche Entwicklungen finden Sie im MICE-Markt Schweiz derzeit besonders interessant?

Fachmessen sind im Aufschwung, und zwar bereits von einem hohen Niveau aus. Man sieht seine Kunden heute nicht gerade häufiger als früher, darum haben die Business-Messen als Kontakt- Punkt noch mehr an Bedeutung gewonnen. Das sieht man auch an den steigenden Investitionen. Wenn man die Veranstaltung ernst nimmt, den Auftritt sowie die Vor- und Nachbereitung, dann ist eine Fachmesse ein Highlight in der Kundenbeziehung.

Und die Publikumsmessen?

Die Publikumsmessen haben nicht die gleiche Bedeutung. Sie sind unverbindlicher, oft nur eine Informations- Plattform und generieren weniger Wertschöpfung. Hier muss man dem Publikum einen echten Mehrwert bieten, z.B. in Form eines kongressartigen Rahmenangebots mit Vorträgen.

Sie selbst beschäftigen sich v.a. mit dem Tagungs- und Seminarmarkt. Wie sieht es da aus?

Bedrohungspotenzial. Man spürt deutlich, dass die Firmen alles ausschöpfen, was sie intern tun können. Die Weiterbildung oder der Anlass werden zwar gemacht, aber in den eigenen Räumlichkeiten, um sich die Kosten drum herum zu sparen. In den vergangenen Jahren haben die Firmen auffällig viel in die eigenen Räumlichkeiten investiert. Durch eine eigene Infrastruktur ist man z.B. kurzfristig flexibler. Auch der Zeitaufwand für die Anreise fällt weg. Bei den knapp besetzten Teams heutzutage ein wichtiger Faktor. Videokonferenzen als Ersatz für ein persönliches Zusammenkommen gibt es immer noch selten.

Wie können die Tagungshotels sich trotzdem ihre Kunden sichern?

Wenn man rausgeht, will man etwas anderes als im Büro. Hier sind derzeit Anbieter wie Erlebnisbauernhöfe, Schiffe oder Brauereien auf dem Vormarsch, die den Seminarhotels Konkurrenz machen. Auch der Erlebnisbauernhofhat inzwischen professionelle Seminarräume. Die Firmen buchen immer weniger einen Seminarraum, sondern die Umgebung. Dadurch steigt der gefühlte Wert der ganzen Veranstaltung. Die herkömmlichen Anbieter müssen da auf der Hut sein, was das Verkaufen eines unbeschwerten Erlebnisses angeht. Auch die Kulinarik spielt in Zeiten von Kochshows auf allen Kanälen eine grosse Rolle. Mit den Menüvorschlägen von früher können Sie da nicht mehr kommen.

Ihre Kritik ist gefragt: Was sind denn die absoluten No-Gos?

Sträflich vernachlässigt wird die ganze Kette der Kundenbeziehungs-Pflege. Das fängt bei der Vorbereitung des Events an. Nur mit viel Glück wird man als Firmenkunde gefragt, welche Art von Menschen denn da kommt. Um welches Thema es geht. Viel zu viele Anbieter vermieten heute immer noch ausschliesslich Räumlichkeiten. Sie sehen sich noch zu wenig als Kundenberater.

Und wenn die Kunden wieder weg sind?

Auch die Nachbereitung ist extrem wichtig. Man kann sich nicht einfach darauf verlassen, dass die Kunden im nächsten Jahr schon von alleine wiederkommen werden. Auch ein Online-Fragebogen reicht nicht, um die Kundenzufriedenheit zu messen. Das kann also wirklich nicht sein, da muss man am Ball bleiben. Auch wenn die Zufriedenheit bei 90 Prozent lag, muss man fürs nächste Mal an den verbleibenden 10 Prozent arbeiten, man muss doch einen Mehrwert bieten, Verbesserungen ableiten. Bei den Top-Messestandorten kann man sich hier viel abschauen, die machen das professionell. So auch was die Gesamtpakete angeht, mit ÖV, Flügen und Beratung zu Standbau, Platzierung, Auftritt am Messestand. Die Messen animieren Kunden sogar, Messetrainings zu absolvieren.

Um auf das Thema Frankenstärke zu kommen: Wie viele Firmen machen ihre Seminare im Ausland?

Zugegeben: Wenn ich in letzter Zeit in Hotels im Schwarzwald war, habe ich viele Firmengruppen aus der Schweiz getroffen. Das sind aber nur persönliche Eindrücke. Als wir unsere letzte Seminarmarktstudie 2013 herausgegeben haben, lag die Quote der Schweizer Firmen, die ihre Tagungen im Ausland machen, bei 4 Prozent. Wahrscheinlich ist diese Quote leicht gestiegen, das muss unsere nächste Studie zeigen. Wenn es irgendwann 6 oder 8 Prozent sind, wird es kritisch. Aber eines kann ich Ihnen sagen: Deutschland, Österreich oder Frankreich machen es nicht besser als die Schweizer und sie sind auch nicht freundlicher.

Wer macht es denn in der Schweiz besonders gut?

Sehr gut, aber auch sehr teuer ist das Angebot der sogenannten «Greater Zurich Area». Am Rande des Zürichsees nenne ich da z.B. das Seedamm Plaza in Pfäffikon/SZ. Dank ÖV ist es nicht entscheidend, ob ein Event in Zürich, Winterthur oder Rapperswil stattfindet. In Basel oder Bern ist die Auswahl ab 60 oder 80 Personen bereits nicht mehr gross. Dort fehlt die Dichte. Da weicht man eher nach Luzern oder Solothurn aus. In Zürich verstehe ich nicht, dass man in Sachen Kongresshaus keine Lösung anzubieten hat für die Zeit der Renovierung. Das wird noch bitter. Ein Glück, dass dort in den Hotels das Angebot wächst. In Zürich oder auch anderen Städten sehe ich ein grosses Potenzial für Museen. Sie liegen zentral, haben die entsprechende Infrastruktur und eine inspirierende Umgebung. Aber auch da fehlt es an einer professionellen Handhabung in Sachen Kundenkontaktkette. Sehr, fast schon zu professionell, macht es das Verkehrshaus in Luzern.

Zu welchen Anlässen betreiben Firmen noch echten Aufwand in Sachen Tagungen?

Das ist wirklich sehr interessant. Alles, was stattfindet, weil es regelmässig im Firmenkalender steht, wird eher dem Spardiktat unterworfen. Aber wenn es z.B. darum geht, das Kader oder ganze Teams ins Boot zu holen, etwa wenn eine neue Strategie umgesetzt werden muss, dann gibt es deutlich höhere Budgets. Bei solchen Zielsetzungen kann ein Seminarhotel sehr unterstützend einwirken, einen bleibenden Eindruck bei den Firmen hinterlassen und hohe Erträge generieren.

Und wie bleiben solche Anlässe den Teilnehmern in Erinnerung?

Etwas, was regelmässig stattfindet, nehmen die meisten nicht als besonders wahr. Sehr gute Erfahrungen haben Firmen aber schon damit gemacht, die Teilnehmenden vorher in das Ganze einzubeziehen. Also z.B. fünf Themen zu kommunizieren und abzufragen, welches Thema den Teilnehmern am meisten am Herzen liegt. So können sie die Agenda mitgestalten. Das gibt ein ganz anders Involvement. Eine starke Integration schafft auch die Nachbearbeitung von Anlässen. Mit dem Event selber ist das Ganze nicht einfach vorbei. Entscheidend ist immer auch, was man im Nachhinein daraus macht. www.nzp.ch


 

Jörg Neumann

Der 1967 geborene Jörg Neumann ist Geschäftsführer der Marktforschungs- und Beratungsfirma NeumannZanetti & Partner in Meggen/LU. Das Unternehmen veröffentlichte bereits fünfmal die Schweizer «Seminarmarktstudie », in der aufgezeigt wird, welche Veranstaltungen wichtiger werden, wie sich die Budgets entwickeln und nach welchen Kriterien sich Entscheidungsträger richten. Zuletzt erschien die Studie 2013/14, siehe auch «MICE-tip» Ausgabe 1/2014.

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