«Unser Ziel ist es, Messe neu zu denken»

Jennifer Somm, CEO der Bernexpo AG, über zukunftsfähige Formate, das Pflegen von Communities und moderne Führungsstrukturen.
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Frau Somm, ist das Format Messe noch zeitgemäss?
Das klassische Messegeschäft, wie man es jahrelang sehr erfolgreich betrieben hat, ist nur beschränkt zukunftsfähig. Viele B2C-Messen kämpfen, weil die Messe als reine Verkaufsplattform in Zeiten der Digitalisierung keine Berechtigung mehr hat. Erfolg am Markt der Zukunft wird nur haben, wem es gelingt, nachhaltige Erlebnisse zu schaffen und Emotionen zu wecken. Dafür ist das klassische Messeformat nicht mehr ausreichend. Für uns bei der Bernexpo bedeutet dies, dass wir uns verändern müssen, und wir sind überzeugt, dass wir das auch können. Weg vom Flächenvermittler hin zu einem echten Live-Kommunikations-Unternehmer. Die BEA zum Beispiel ist keine Messe, sondern der relevanteste Gesellschafts-Event der Schweiz. Sie lockt jährlich rund 300000 Besucher an.

Und im B2B-Bereich?
Dort wird es eher auch noch in fünf bis zehn Jahren klassische Messen in spezifischen Themenbereichen geben. Im Zentrum stehen Inhalt, Relevanz und Netzwerk sowie der Austausch in der Branche. Es gilt, das Know-how über technologische Veränderungen mitzunehmen. Im nächsten Jahr werden wir zum Beispiel zwei neue Fachmessen im Bereich Metallverarbeitung und Wassertechnologie lancieren.

Was tun Sie konkret, um die Attraktivität Ihrer Messen zu steigern?
Unser Ziel ist es, Messe neu zu denken, sprich bei allen Messen Innovation zu kreieren und zwar situativ und teilweise auch in Kooperation mit externen Partnern. Bildungsmessen wie die «Karriereschritt» sind hybride Plattformen, die notabene nicht mehr auf unserem Gelände stattfinden. Es gibt Live-Events in kleineren, urbaneren Locations und eine digitale Content-Plattform, die das ganze Jahr zur Verfügung steht. Unser Motto ist: Wir binden Menschen und Marken live und digital.

Traditionelle Landwirtschaftsmessen wie die BEA in Bern oder die Olma in St. Gallen sind erfolgreich. Ist das Traditionelle gerade in?
Die Verwurzelung in der Region und in der Landwirtschaft ist in Regionen wie Bern und St. Gallen natürlich viel stärker als in Zürich oder Basel. Wir pflegen aber auch den Draht zur Landwirtschaft sehr aktiv und lancieren gleichzeitig Innovationen, treiben neue Formate voran. An der BEA haben wir erstmals eine Virtual-Reality- Welt geschaffen, in der man in einen 4D-Raum eintauchen und eine Geschichte durchleben konnte. In Phase zwei soll es möglich sein, den Raum zusammen mit jemand anderem zu betreten.

Gleichzeitig gibt es neue Themen, die auch zu neuen Messen führen.
Ja, im Herbst zum Beispiel planen wir den grössten Gaming-Event der Schweiz, ein Spin-off aus der Spielwarenmesse Suisse Toy. Die Suisse Toy Classic wird überarbeitet und ein Jahr pausieren, digital geht es weiter. Die Suisse Toy Digital soll unter dem neuen Namen Hero-Fest zum wichtigsten Festival der Gaming- und Geek-Szene werden. Es wird einen «League of Legends»-Contest in Bern geben, mit Preisgeldern.

Wo wollen Sie als Bernexpo wachsen oder sogar Teilmarktführer werden?
Wir haben vier Bereiche definiert. Erstens Ferien & Freizeit, wo neben der BEA auch die Fespo in Zürich, die Ferienmesse Bern, die Suisse Nautic, der Suisse Caravan Salon und weitere Messen dazugehören. Beim Caravaning wächst die Community immer noch und wir sehen, dass es relevant ist, diese zu pflegen und Content für sie zu kreieren, idealerweise in Co-Kreation mit den Besuchern.

Und die weiteren Bereiche?
Das sind Interior Design, Industrie & Technik und der Bereich Bildung. Diese vier Märkte werden auch in Zukunft stark sein. Es gibt viele Veränderungen, etwa im Bildungsbereich, die wir mitprägen können. Die Digitalisierung wird dafür sorgen, dass wir mehr Freizeit haben und gleichzeitig mehr Bedarf, uns weiterzubilden.

Wie gelingt Co-Kreation?
Wir müssen den Kunden zuhören und mit ihnen zusammen neue Wege definieren. Zum Beispiel Feedbackzonen einrichten und Ideen abholen. Da ist noch viel Luft nach oben bei der Bernexpo. Aber das macht es ja auch so spannend.

Was möchten Sie noch verbessern?
Ich möchte dem Besucher im Vorfeld die Möglichkeit geben, sich individuell auf die Messe vorzubereiten. Eine stärkere individualisierte Besucherführung. Da sind wir noch nicht dort, wo ich gern wäre. Beispiel Namibia-Reise: Sie könnten an der Ferienmesse fünf Reise-Veranstalter kennenlernen, bei denen wir für Sie ein Treffen in der Ferienlounge abgemacht haben und sich mit anderen Besuchern austauschen. Und vielleicht könnten Sie sich sogar noch Ihren Reisepartner bei uns suchen. Wir wollen eine Plattform sein, die Bedürfnisse zusammenbringt, ein Marktplatz des 21. Jahrhunderts.

Helfen wird sicher die geplante neue Halle?
Für die Messen brauchen wir eigentlich keine neue Halle, die Flächen sind ja eher rückläufig. Die heutige Festhalle wurde aber vor 67 Jahren als Provisorium gebaut. Wir müssten viel Geld investieren, um einen bestehenden Zustand zu erhalten. Wir haben daher entschieden, in die Zukunft des Standortes zu investieren. Will Bern als Veranstaltungsstandort in Zukunft eine Rolle spielen, braucht es diese Investition dringend. Bei uns sind Kongresse bis 650 Personen möglich, anderswo bis 1200. Grössere GVs oder Konzerte finden also nicht statt in Bern. Ausser es handelt sich um Events über 50000 Besucher, dann gibt es das Stade de Suisse. Bern muss den Schritt machen, sonst ist man nicht mehr kompetitiv mit Basel, St. Gallen und Luzern, die auch alle in die Infrastruktur investiert haben.

Wann wird die neue Halle fertig?
Wenn alles nach Plan läuft, erfolgt nach der BEA im Frühjahr 2020 der Spatenstich und die Wiedereröffnung sollte dann mit der BEA 2022 stattfinden.

Sie haben ja im März 2017 das Zepter als CEO übernommen. Was hat sich geändert?
Wir haben mit dem Verwaltungsrat die vorhin beschriebene Strategie verabschiedet und die Organisationsstrukturen konsequent auf die Strategie ausgerichtet.

Wofür steht das neue Team mit drei neuen Führungspersonen in der Geschäftsleitung?
Das ist ein superstarkes Team, mit dem es gelingen wird, die Bernexpo in die Transformation zu führen. Der Wandel muss am Ende auch von den Führungspersonen getragen werden. Wir brauchen eine Offenheit und Mut für Veränderung, aber auch für eine agilere Struktur, in welcher weniger hierarchisch geführt wird. Dafür konnte ich auf allen Stufen neue Leute gewinnen. Inzwischen sind auch alle Messeleiter begeistert, dass sie bei der Produktentwicklung mitwirken können.

Wie muss man sich den Führungsstil von Jennifer Somm vorstellen?
Ich bin jemand, der mit Leidenschaft Leute inspiriert und motiviert. Gleichzeitig erwarte ich sehr viel, vor allem von meinen engsten Mitarbeitern. Insbesondere möchte ich, dass sie Verantwortung übernehmen und Entscheide treffen. Nicht alles muss über meinen Tisch. Da sind wir in einem Paradigmenwechsel bei der Bernexpo. Ich ermutige führende Mitarbeiter, unternehmerisch zu agieren. Das ist eine Gratwanderung, die auch turbulent sein kann. Aber das ist gut so. Damit muss und kann ich umgehen.


Jennifer Somm und die Bernexpo AG
Jennifer Somm (47) ist seit März 2017 Geschäftsführerin der Bernexpo AG. Zuvor war sie in der Geschäftsleitung von Rufener Events sowie als Beraterin bei Jäggi Communications tätig. Somm hat einen Master-Abschluss in Rechnungs- und Finanzwesen der Uni St. Gallen. Die Geschäftsleitung hat sich dieses Jahr personell komplett neu aufgestellt. Bruno Battaglia (Ex-Admeira) ist seit Juni Chief Financial Officer, Oliver Vrieze (Ex-Fifa-Museum und KKL) amtet seit Juli als Chief Marketing & Sales Officer und Roger Büchel (Ex-Habegger) ist seit August Chief Operation Officer.

Die Bernexpo AG mit ca. 150 Mitarbeitenden gehört wie die Messepark Bern AG und die Agentur Republica zur Bernexpo Holding. 30 Eigen- und Gastmessen sowie 300 Events sorgen für zirka 1 Mio. Besucher pro Jahr. Das Messegelände verfügt über 41000 m2 gedeckte Veranstaltungsfläche, 100000m2 Freigelände und ein Kongresszentrum. Für CHF 80 Mio. wird eine neue Multifunktionshalle für bis zu 8500 Zuschauer gebaut.