Die klassische Beziehung bröckelt (Ausgabe 2012-39)

Entwicklung der Vertriebskanäle

Online-Vertrieb gibt es in der Schweizer Reisebranche schon lange. Dennoch hat man zurzeit das Gefühl, es gehe ein Ruck durch die Veranstalterwelt und es werde betreffend Online-Kanal nochmals ein Gang höher geschaltet. Deshalb ist die Frage durchaus berechtigt, was die neuen Online-Offensiven für die Multi-Channeling-Strategien der Veranstalter bedeuten.

Klar ist, dass die derzeitige Online-Entwicklung den Eigenvertrieb der Veranstalter deutlich stärken wird. Zwar ist Online nicht immer mit Eigenvertrieb gleichzusetzen – viele Veranstalter speisen ihre Produkte auch in Online Travel Agencies ein –, doch man hat viel in eigene Plattformen und neue Technologien investiert und fokussiert seine Vertriebs- und Marketingbemühungen verständlich-erweise auch auf diesen Bereich. Wie stark sich die neuen Web-Auftritte auf den Vertriebsmix auswirken, ob sie wirklich Mehrumsätze generieren oder das Geld einfach aus anderen Kanälen ziehen, und falls Letzteres zutrifft, ob es sich bei diesen geschwächten Kanälen um die Agenten, die Filialen oder doch nur den Telefonverkauf handelt; diese Fragen lassen sich heute noch nicht beantworten.

Dass die aktuelle Online-Entwicklung den Agenten sicher nicht entgegenkommt, lässt sich hingegen schon heute sagen. Die Zeichen sprechen eine eindeutige Sprache: Bei den einen Veranstaltern werden die dynamisch gesourcten Produkte nur noch reduziert kommissioniert, bei den anderen werden die Ressourcen für die Betreuung des Fremdvertriebs heruntergefahren und gleichzeitig wird die Manpower im Online-Bereich erhöht. 

Auf solche Tatsachen angesprochen, reagieren die Veranstalter zum Teil recht dünnhäutig. Das verwundert nicht: Sie befinden sich auf einer Gratwanderung zwischen dem Eigen- und dem Fremdvertrieb. Einerseits muss man gewaltige Summen in eigene Systeme investieren, um den Anschluss nicht zu verlieren, andererseits will man die klassische Beziehung zu den Reisebüros nicht aufs Spiel setzen. Und diese Beziehung ist offensichtlich angespannt: Retailer fürchten – seit Jahren schon – um ihre Kommissionen, und Veranstalter be-klagen sich, dass die Loyalität der Agenten abnehme. Zudem fallen kleine Reisebüros immer mehr zwischen Stuhl und Bank, da sich die Veranstalter mehrheitlich auf die Förderung der Toppartner konzentrieren. Es ist zu befürchten, dass sich die unabhängigen Reisebüros und die grossen Veranstalter durch die neuen Online-Entwicklungen erneut einen Schritt voneinander entfernen.

Stefan Jäggi