Die Ohnmacht hält an (Ausgabe 2011-12)

Jean-Claude Raemy zur ADM-Auseinandersetzung

In einem Umfeld, in welchem sich Vertreter unterschiedlicher Parteien persönlich kennen, können allfällige Meinungsverschiedenheiten «gentlemanlike» beigelegt werden. Man macht seinen Standpunkt klar, geht kleine Kompromisse ein und stellt sicher, dass ein für alle tragbares Ergebnis herausschaut.

In einem Umfeld, wo Ansprechpartner kaum greifbar oder sogar in anderen Zeitzonen sind, sind Vernunftlösungen kaum möglich. Es wird mit Paragrafenreitern oder gar Anwälten kommuniziert. Die eigenen Anliegen zu verteidigen, wird zum Vollzeitjob – was sich keiner erlauben kann.

Letzteres ist das Grundproblem in der anhaltenden Auseinandersetzung zwischen Airlines und Agenten. Grundsätzlich sind die Prozesse dazu, wie mit einem ungerechtfertigten ADM umzugehen ist, in den IATA-Resolutionen 818g und 850m geregelt: Agenten haben 14–30 Tage (je nach Markt) Zeit, um ein ADM anzufechten. Falls dies geschieht, muss das ADM aus dem BSP-Prozess suspendiert werden. Es entstehen während der «Anfechtungszeit» so oder so keine finanziellen Konsequenzen für die Agenten. Die Airline hat danach 60 Tage Zeit, den Streit beizulegen. Falls keine Einigung erzielt wird, muss das ADM definitiv aus dem BSP-Prozess eliminiert werden.

Klingt für Agenten gut. Kann jedoch offenbar umgangen werden. Jüngstes Beispiel: Es gibt Fluggesellschaften, welche den BSP Link nutzen, indem «Disputes» (Anfechtungen von ADM-Belastungen vonseiten eines Agents) zurückgewiesen werden, ohne auf die vorgebrachten detaillierten Begründungen einzugehen. Dies geschieht oft ohne nachvollziehbare Erklärung oder basiert auf derselben, vom Agenten bestrittenen Argumentation, welche bei Auslösung des ADM verwendet wurde. Der Agent hat im Bürokratiewald kaum eine Chance: Die Audit- und Nachbelastungsprozesse sind bei den meisten Fluggesellschaften zentralisiert bzw. ausgelagert. Die Lokalvertretungen der Fluggesellschaften haben in den wenigsten Fällen Kompetenz, um in diese Prozesse einzugreifen.

Die globalisierte Welt erlaubt keine lokalen Lösungen mehr, hat kein Gehör für spezifische Problemstellungen. Die ADM-Auseinandersetzung zeigt dies deutlich auf. Was die Agenten wirklich kränkt, sind nicht die ADM an sich – sondern die Ohnmacht, kaum vernünftig Einspruch erheben zu können. Oder ist es das Gefühl, mit den eigenen Anliegen nicht ernst genommen zu werden?