Herr de Blust, was halten Sie von
der durch Lufthansa/Swiss zur Diskussion stehenden GDS-Gebühr,
welche von Reisebüros verlangt werden soll?
Aus unserer Sicht gibt es dafür keinerlei Berechtigung.
Schliesslich leisten die Agenten für Airlines zahlreiche Gratisdienste,
von der Ticketausstellung (Papier oder E-Ticket) zu
Reservationsänderungen, Annullationen und Rückzahlungen bis hin zu
Fluginfos, Fakturierung und Inkasso. Die Zugangsgebühr ist auch
ökonomisch fragwürdig. Einerseits ist die Gebühr höher als der den GDS
zu überweisende Segmentbetrag. Andererseits sind die GDS Bestandteil
der Distributionskosten, welche in der Kalkulation des Flugtarifs
inbegriffen sein müssen. Warum verlangen die Fluggesellschaften denn
keine «Distributions-Zuschläge» für Verkäufe über ihre eigenen
Websites? Deren Entwicklung und Unterhalt verursachen ebenfalls hohe
Kosten, vermutlich proportional noch höhere als die GDS-Kosten.
Wieviel bezahlen denn die Fluggesellschaften den GDS?
Laut unseren Informationen bezahlt keine Airline mehr als 3 Dollar (1.90 Euro oder 3.05 Franken) pro Segment.
Ist das Vorgehen ein erster Schritt hin zur Liberalisierung des GDS-Vertriebs?
Der Entscheid von Swiss/Lufthansa lässt erahnen, was in Europa
passieren wird, sobald die Revision der aktuellen europäischen Regelung
zur GDS-Distribution («Code of Conduct») über die Bühne ist. Die
Deregulierung der GDS in den USA führte ab 2005 dazu, dass die Agenten
eine «Full Content»-Option kaufen mussten, um uneingeschränkten Zugang
zu allen Tarifen der wichtigsten Airlines zu erhalten. Wir gehen davon
aus, dass auch in Europa die Formel «GDS-Liberalisierung = höhere
Preise für Konsumenten» gelten wird.
Wieso lehnt die ECTAA den Entwurf der EU-Kommission zu den GDS ab?
Die ECTAA hat den Gesetzesentwurf nicht rundum abgelehnt, sondern
Forderungen im Hinblick auf die Revision des Code of Conduct gestellt.
Diese sind: l Beibehalt der Regelung, wonach Airlines, welche Anteile
an einem GDS halten, in diesem auch präsent sein müssen.
l Abschaffung der Reisebüro-Identifikation in den MIDT (Marketing
Information Data Tapes), welche die GDS den Fluggesellschaften
verkaufen. Dieselbe Regelung soll auch für andere Unternehmen gelten,
welche solche Daten an Dritte verkaufen. Zugang zu öffentlichem «Full
Content» der Airlines ohne Zuschläge oder Preisverzerrungen in
sämtlichen vier Distributionskanälen, so dass ein echter Wettbewerb der
Distributionskanäle herrscht. Der Vorschlag der EU-Kommission liegt
zurzeit beim europäischen Parlament, welches im Mai oder Juni 2008
einen Rapport dazu präsentieren wird.
Können Sie die zweite Forderung erläutern?
Ich kenne keine andere Industrie, wo sensible Daten eines
Industriezweigs an Vertreter eines konkurrierenden Industriezweigs
verkauft werden dürfen und die Airlines sind in der Distribution
sowohl Lieferanten als auch Konkurrenten. Die von den GDS an die
Airlines verkauften MIDT der Umstand also, dass die Airlines stets in
Realtime wissen, welches Reisebüro wie viel verkauft führen zu einer
eklatanten Wettbewerbsverzerrung.
Stehen Sie im Kontakt mit dem SRV?
Nach der Ankündigung des neuen Modells durch Lufthansa und Swiss
trat ECTAA sofort in Kontakt mit ihren Mitgliedern in der Schweiz, in
Deutschland und in Österreich. Wir sind auch sofort an die
EU-Kommission gelangt. Zudem pflegen wir diesbezüglich Kontakt mit dem
Europäischen Büro der Verbraucherorganisationen (BEUC) und der ACTE
(Verband der Travel Manager).
Die Verbände der drei Länder raten den Reisebüros, die neuen Verträge nicht zu unterschreiben. Würden Sie das auch empfehlen?
Es ist Sache jedes einzelnen Reisebüros, die
Geschäftspartnerschaft mit jenen Airlines zu vertiefen, welche die
besten Tarife und die besten Konditionen für ihre Kunden bieten
sprich diese Airlines auch vermehrt zu verkaufen. Der Vorschlag von
Lufthansa und Swiss wird deren beiden Tarife deutlich erhöhen; die
Flugpassagiere, insbesondere Geschäftsreisende, werden sich da den
einen oder anderen Gedanken machen. Am Ende entscheidet der Markt. Die
Rolle der Berufsverbände ist, ihren Mitgliedern die bestmögliche
kommerzielle Entscheidung zu empfehlen.
Wie erklären Sie sich den Vorstoss von Swiss/Lufthansa?
Er zeigt eindeutig, dass die Fluggesellschaften die
Tarifvergleichsmöglichkeiten umgehen wenn nicht gar abschaffen wollen.
Der europäische Lufttransport wurde vor über zehn Jahren liberalisiert,
und wird nun auch im Transatlantik Realität, und doch scheint es, dass
die Netzwerk-Airlines alles daran setzen, diese Liberalisierung zu
unterwandern.
Fürchten Sie, dass das LH/LX-Modell weltweit Schule machen könnte?
Manche europäischen Gesellschaften haben ähnliche Systeme
bereits eingeführt, allerdings etwas flexiblere zum Beispiel British
Airways oder Brussels Airlines. Man kann also eine Ausdehnung solcher
Modelle befürchten. Doch manche Airline wird sich den Schritt gründlich
überlegen und die Reaktion der Märkte abwarten.
Das Modell von LH/LX entspringt meines Erachtens einer sehr
kurzfristigen Strategie. Es gibt Anzeichen dafür, dass sich der
ökonomische Zyklus im Luftverkehr demnächst drehen wird. Sollte man da
also nicht ein positives Geschäftsklima mit dem Reisebürosektor
schaffen, welcher nach wie vor für über 70% der Verkäufe verantwortlich
zeichnet?
Jean-Claude Raemy