Ein neues Mass an Abgestumpftheit (Ausgabe 2012-33)

Unruhen auf der Sinai-Halbinsel

Als «Krieg im Touristenparadies Sinai» werden die Unruhen rund um Rafah an der Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreifen in einigen Medien betitelt. Das ist Unsinn. Erstens ist es verfrüht, aufgrund einiger Zusammenstösse bereits von einem Krieg zu sprechen. Und zweitens ist es schlichtweg falsch, die Gegend als «Touristenparadies Sinai» zu bezeichnen. Dieses existiert sehr wohl, aller-dings 400 Kilometer Luftlinie weiter südlich mit Badeorten wie Sharm el-Sheikh oder Dahab. 

Hat die Tourismusdestination Ägypten also wieder einmal mit einer ungerecht-fertigten Pauschalisierung zu kämpfen, wie es bei den Unruhen in Kairo der Fall war? Jein. Denn in der Tat ist die gesamte Sinai-Halbinsel schon seit Jahrhun-derten ein umstrittenes Territorium, was sich in immer wieder aufflackernder Gewalt ausdrückt: Sei es im Jom-Kippur-Krieg 1973, bei drei verheerenden Terroranschlägen zwischen 2004 und 2006 inmitten touristischer Gebiete oder nun eben bei den neusten Unruhen. Dazu werden seit Jahresbeginn in regel-mässigen Abständen Meldungen von Entführungen von Touristen publik – nicht in entlegenen Regionen, sondern im Badeort Nuweiba oder während einem der beliebten Ausflüge zum Katharinenkloster.

Bei den Gästen und den Reiseveranstaltern sorgen diese Meldungen aber kaum für Unruhe. Die Veranstalter haben das Nötigste veranlasst, um das Risiko zu minimieren – sie haben die Ausflüge ins Landesinnere stark reduziert und das Städtchen Taba, das direkt an der Grenze zu Israel liegt, aus dem Programm genommen. Die Gäste danken es ihnen mit unverminderten Buchungen und füllen die Herbstflieger, die von vielen TOs nochmals aufgestockt wurden. 

Nun braucht man kein Politologe zu sein, um zu wissen, dass im Nahen Osten auch ein kleiner Funke zu einem Flächenbrand ausarten kann. Was also, wenn sich die Situation im Sinai wirklich zuspitzen sollte? Die Region macht bei den meisten Anbietern zwischen 30 und 60% des gesamten Ägypten-Volumens aus, und Ägypten wiederum rangiert in den Top 5 der grossen Veranstalter. Die Bedeutung von Sharm el-Sheikh und Co. ist also immens. Allerdings ist die Destination zu einem grossen Teil auch ersetzbar; baden, schnorcheln und tauchen lässt es sich in Hurghada und Umgebung fast genauso gut. Und wie die aktuelle Buchungssituation zeigt, lassen sich die Touristen von den konstant eintreffenden Negativmeldungen nicht mehr irritieren. Das stimmt zuversichtlich für die Destination, so seltsam dies angesichts der aktuellen Schlagzeilen auch tönen mag. 

Stefan Jäggi