Eine verkannte Schönheit (Ausgabe 2008-25)

Sara Marty über die Kanareninsel Lanzarote

Der Ruf der Kanarischen Inseln ist nicht mehr unbefleckt. Horden
sonnenverbrannter Touristen, mit hässlichen Blöcken verbaute
Strandabschnitte und eine Esskultur, die von spanischen Gepflogenheiten
so weit entfernt ist, wie die Schweiz vom Atlantik – die ganze Realität
ist das nicht, doch leider trübt auch ein kleiner Fleck das Bild in
seiner Gesamtheit. Welche Wohltat kann es doch sein, eines Besseren
belehrt zu werden. Lanzarote soll besuchen, wer seine Zuneigung zu den
Kanaren (neu) entfachen will.

Vulkanische Schönheit ist eines der Attribute, das Lanzarote gerne und
oft zugeschrieben wird. Karge Ebenen in dunklen Tönen, sanft
geschwungene und harsch aufgeworfene Lavazüge, die sich wie stolz
getragene Narben über die Insel ziehen – Lanzarotes Schönheit ist alles
andere als durchschnittlich, aber deswegen nicht minder attraktiv. Und
sie beschränkt sich nicht auf das Äussere, sondern kommt sozusagen von
innen.

Lanzarote hatte gleich mehrfach Glück: Erstens wurde die Insel erst für
den Tourismus entdeckt, als auf Gran Canaria und Teneriffa der Bauboom
schon heiss lief. Zweitens wurden die ausländischen Investoren von der
Rezession Anfang der 70er-Jahre empfindlich getroffen, was
unkontrolliertem Tourismuswachstum einen Riegel vorschob.

Last, but not least kann die Insel mit César Manrique einen
international anerkannten Künstler ihr Eigen nennen. Nicht nur hat er
mehrere Touristenattraktionen konzipiert, er hat seiner Insel ein Gut
von unschätzbarem Wert hinterlassen: das Bewusstsein und die Bewahrung
der landschaftlichen und kulturellen Identität. Manrique war nämlich nicht nur Maler und
Architekt, sondern auch Landschaftsschützer, oder banaler gesagt:
Raumplaner. Raumplanung ist denn auch, was an vielen anderen
Destinationen des Breitentourismus schlicht zu lange ignoriert wurde.

Gut 70 Prozent der Lanzaroteños sind heute in der Tourismusindustrie
beschäftigt. Wie Tourismushochburgen präsentieren sich die Ferienorte
Playa Blanca und Costa Teguise
jedoch nicht, und sogar das mit ungefähr 50000 Hotelbetten grösste
touristische Zentrum, Puerto del Carmen, hat es geschafft, ein klein
wenig Fischerdorf-Atmosphäre zu bewahren. So kommen sowohl die
ausgehfreudigen Nachteulen wie auch die Ruhe suchenden älteren Semester
auf ihre Kosten.