Procap erfüllt die Ferienträume von Menschen mit Handicap (Ausgabe 2009-20)

Die Zielgruppe der Menschen mit Behinderung findet in der Schweizer Reisebranche noch wenig Beachtung.

«Uns braucht es, wo der Zugang für Menschen mit Handicap schwierig ist
– so auch bei den Ferien», erklärt Helena Bigler, Ressortleiterin
Reisen & Sport, die gemeinnützige Behindertenorganisation Procap.
Für deren Ressort Reisen definiert sie zwei Schwerpunkte: Zunächst ist
dies die Sensibilisierung der Reisebranche, sei dies durch die Präsenz
an Ferienmessen und anderen Anlässen, sei dies durch das direkte
Gespräch mit den Anbietern.

Motivationen für die TOs, sich in diesem Bereich zu engagieren, sieht
Bigler genug, denn das Kundensegment der Reisenden mit Handicap in der
Schweiz ist gross. Geschätzte zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung
weist eine Behinderung auf, wobei diese Zahl nicht nur IV-Fälle,
sondern beispielsweise auch Personen mit Altersgebrechen umfasst. Die
Marktbearbeitung sei jedoch nicht einfach, betont Bigler, denn die
Zielgruppe zeichnet sich neben ihrer Grösse auch durch eine breite
Fächerung aus.

Der zweite Schwerpunkt bei der Arbeit von Procap Reisen ist die
Organisation von Gruppen- und Individualreisen. Der Fokus liegt dabei
deutlich auf den Nahreisen. Bigler begründet dies einerseits mit der
leichteren Erreichbarkeit, andererseits aber auch mit der finanziellen
Machbarkeit solcher Reisen. Denn die monetären Verhältnisse stellen
neben dem körperlichen und/oder geistigen Handicap die grösste
Einschränkung für ihre Kunden dar, wenn diese neben der eigenen oft
auch die Reise einer Begleitperson mitfinanzieren müssen.

Procap vermittelt zudem Reisen anderer Anbieter, wenn diese für Leute
mit bestimmtem Behinderungsgrad taugen. Die Suche nach solchen «Reisen
ohne Hindernisse» ist ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit des
Procap-Teams.

Eine Reiseberatung kann vom Kunden entweder direkt im Büro von Procap
in Olten in Anspruch genommen werden oder per Telefon. Letztere
gestaltet sich indes oft schwierig, da hierbei die Bedürfnisse und
Grenzen des Kunden weniger ersichtlich sind.

Die Reisen von Procap können auch andere Reisebüros vermitteln. Die
Anfragen halten sich indes in Grenzen, wohl nicht zuletzt, da die
Non-Profit-Organisation keine Kommissionierung geben kann. Etwas
häufiger geschieht, dass Reisebüros Kunden mit Handicap an Procap
weiterverweisen.

Doch obschon das Reiseangebot der Organisation seit mehr als zehn
Jahren besteht, fristet die Organisation in der Reisebranche weiterhin
ein Mauerblümchen-Dasein, bedauert Bigler. Zudem erhalte Procap kaum
Unterstützung aus der Branche, da der Umsatz nicht den üblichen
Erwartungen für interessante Partner entspräche. Die Organisation
verzeichnet rund 1000 Buchungen pro Jahr.

Weitere Kunden gehen Procap verloren, wenn sie nach ersten Erfahrungen
mit der Organisation ihre Reisen künftig selbst organisieren. Eine
Tatsache, der Bigler ambivalent gegenübersteht, bedeutet sie doch
einerseits einen Verlust an Kunden, entspricht aber andererseits genau
dem ideellen Ziel der Organisation, nämlich dass Menschen mit Handicap
ihre Grenzen überwinden und selbstständig ihr Leben bewältigen.

Auch während den Reisen ist die Hilfe zur Selbst-hilfe, wie auch die
gegenseitige Unterstützung ein wichtiges Thema. Bigler verdeutlicht:
«Menschen mit unterschiedlichem Handicap können sich gegensei-tig
helfen. Der geistig behinderte Fussgänger kann den Rollstuhl schieben,
der Roll-stuhlfahrer kann den geis-tig Behinderten anderweitig
unterstützen.»

Michèle Fischer