Jedes Jahr wird mehr gereist, auch in der Schweiz. Eigentlich müsste die Outgoing-Branche regelrecht boomen, und gut bezahlte Stellen müssten in Hülle und Fülle vorhanden sein. Die Wirklichkeit sieht freilich etwas anders aus. Das hat nicht nur mit dem Preis- und damit Margenzerfall zu tun, sondern mit der Verlagerung der Buchungswege. Wenn sich die Buchungen immer mehr in Richtung Online- und Direktkanäle verschieben, geschieht mit den offenen Stellen dasselbe.
Einkäufer, Produktmanager, Sachbearbeiter bei Veranstaltern sind deshalb immer weniger gefragt diese Aufgaben werden outgesourced oder automatisiert. Gefragt ist dafür technologisches Know-how in jeder Hinsicht. Gut möglich, dass sich hier ein neuer Branchenzugang für Querein-steiger auftut. Spannend wird zu sehen sein, was geschieht, wenn die gut bezahlte IT-Welt auf die relativ lohnschwache Reisebranche trifft.
Was immer noch und immer mehr gefragt ist, sind fachkundige und spezialisierte Reisebüro-Mitarbeiter. Das Anforderungsprofil wächst: Man soll möglichst erfahren, aber doch flexibel sein, möglichst alle Teile der Welt kennen, viele Sprachen sprechen und obendrauf auch noch in allen technologischen Aspekten bewandert sein. Die Frage ist, ob die Anreize im selben Masse mitwachsen. Die Löhne sind weiterhin tief, die Aufstiegs- und Karrierechancen oftmals beschränkt. Dazu kommt, dass die Studienreisen und sonstigen Reisevergünstigungen, welche die Branche so attraktiv machten, nicht mehr dieselbe Anziehungskraft haben, da das Reisen in den letzten Jahren für jedermann viel erschwinglicher geworden ist.
Die Folge: Wer 25, flexibel und ungebunden ist, erlebt in der Reisebranche eine tolle Zeit. Wer älter wird und privat mehr Verantwortung und Verpflichtungen eingeht, wandert heutzutage in vielen Fällen in eine andere Branche ab. Damit fragt sich, wer dereinst (oder schon heute) die Reisebüros der altgedienten, unabhängigen «Branchen-Urgesteine» übernehmen soll. Die Branche steuert heute auf ein Nachfolge-Problem zu.
Silberstreifen am Horizont gibt es durchaus. Der Fokus auf die Reiseexperten bei verschiedenen TOs und Reisebüros zeugt von einer steigenden Wertschätzung der Mitarbeiter. Das tut dem Image des Reiseberaters gut. Ausserdem gibt es immer mehr Reisebüros, die sich auf Nischen konzentrieren und dort eine anständige Marge erzielen. Das könnte auch bei potenziellen Nachfolgern wieder mehr Interesse und Zuversicht wecken. Denn die Begeisterung für die Branche ist nach wie vor vorhanden.
Stefan Jäggi