Vom Reiseberater zum Reiseexperten (Ausgabe 2012-02)

Wissens-Management von Reisebüroketten

Der Reisebürokunde wird immer anspruchsvoller: Er bringt mehr Wissen mit, hat mehr Buchungsalternativen und stellt spezifischere Fragen. Als Reisebüromitarbeiter über die ganze Welt bis ins Detail Bescheid zu wissen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Also haben die grossen Reisebüroketten damit begonnen, das vorhandene Know-how zu sammeln, zu sortieren und es zugänglich zu machen. Die einen sorgen dafür, dass alle Filialmitarbeiter Zugang zu diesem Wissen erhalten (z.B. Kuoni mit Expert Exchange), die anderen stellen das Expertenwissen direkt dem Endkunden zur Verfügung (z.B. Hotelplan Suisse). Eines haben die Systeme aber gemeinsam: Sie befördern einfache Schalterangestellte zu Reiseexperten.

Ein solches System hat diverse Vorteile: Der Beruf des Reisebüromitarbeiters wird aufgewertet, und das Ziel, den Expertenstatus zu erreichen oder beizubehalten, motiviert die Mitarbeiter. Zudem kann ein Unternehmen, wenn es die Informationen attraktiv auf der Homepage o.ä. verpackt, seine Mitarbeiter auch gegen aussen profilieren – im Kampf gegen andere Buchungskanäle ein nicht zu verachtendes Plus. Auf diese Weise erreicht man auch gleich die vielerorts angestrebte Verknüpfung von Online- und Offline-Vertrieb.

Natürlich bergen die Systeme auch Nachteile. Ernennt man zu viele Mitarbeiter zu Experten, sinkt die Qualität der Expertisen – ein Problem, wie es laut verschiedenen Angaben zurzeit bei Hotelplan Suisse besteht, wo rund 50% aller Filialmitarbeiter Experten sind. Hält man die Zahl hingegen klein – bei Kuoni beispielsweise sind es 15% –, besteht das Risiko, dass nicht alle Destinationen abgedeckt werden können und die einzelnen Experten oft nicht verfügbar sind. Die Kriterien, ab wann ein Mitarbeiter als Spezialist ausgewiesen wird, sind zentral. Eine einfache Auflistung sämtlicher bereister Länder auf der Homepage ist zwar ebenfalls eine Form von Profilierung, hilft dem Kunden oder dem Kollegen im konkreten Fall aber wenig – 40 Mitarbeiter, die schon einmal eine Woche auf Phuket waren, sind eben nicht automatisch 40 Thailand-Experten.

Dazu kommt noch ein sehr menschlicher Aspekt: Gibt ein Mitarbeiter, der auf ein Umsatzziel hin arbeitet, seinen Kunden einfach so an eine andere Filiale weiter, weil dort ein Experte für die gefragte Destination sitzt? Im Optimalfall ja. Trotzdem haben hier Systeme, die nicht auf die Weitervermittlung des Kunden, sondern auf die Zuschaltung eines Experten setzen oder die Kunden von Beginn weg den jeweiligen Experten zuteilen, bessere Erfolgsaussichten.

Stefan Jäggi