Widersprüchliche Trends für Europa-Flussfahrten (Ausgabe 2015-02)

Die Invasion der Angelsachsen

Der geruhsamen Erfahrung europäischer Kulturstädte und Landschaften entlang berühmter Flüsse und faszinierender Wasserstrassen, ohne Kofferpacken an Bord eines komfortablen Hotelschiffs erlebt, liegt etwas zutiefst abendländisches inne. Dies empfinden in rasant wachsendem Masse auch die Angelsachsen, die heute ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Treiber der europäischen Flussfahrtindustrie sind. Während die Passagier-Zahlen in den kontinentaleuropäischen Märkten kaum mehr gross steigen (und in Deutschland gar schrumpfen), scheint es derzeit für den amerikanischen, britischen und australischen Markt keine Grenzen zu geben. 

Diese Entwicklung hat einerseits eine schrumpfende Angebotsbreite für die «alten» Märkte zur Folge: So hat sich etwa TUI auf dieses Jahr hin aus diesem Segment verabschiedet, ebenso Kuoni. Von den drei grossen Veranstaltern in der Schweiz bietet nur noch Hotelplan Flussfahrten an, dies nebst der noch relativ jungen Marke Rivage der Knecht-Gruppe. Dominiert wird das Geschäft wohl ziemlich klar von den Spezialisten Mittelthurgau und Thurgau Travel, die munter weiterwachsen.

Andererseits ist in Bezug auf die Reedereien der Werdegang von Viking typisch: Seit dem Rückzug aus den kontinentaleuropäischen Märkten konzentriert sich 

Viking auf die angelsächsischen Märkte, wo höhere 

Erträge pro Passagier erzielt werden können. Gleichzeitig wird die Fluss-Flotte in einem schwindelerregenden Tempo ausgebaut. Das gilt auch für andere ähnlich positionierte Anbieter wie zum Beispiel Ama Waterways, 

Avalon, Tauck oder die australische Scenic Cruises, die laufend neue Schiffe in Dienst nehmen. Im Vergleich dazu investieren die vor allem auf europäische Märkte ausgerichteten Reedereien wesentlich zurückhaltender.

Doch es gibt Anzeichen von Veränderungen: Dass Scenic auch am hiesigen Markt partizipieren will und nebst den Exklusivchartern für Rivage jetzt noch Hotelplan für das FIT-Geschäft einsetzt, deutet auf mehr Konkurrenzdruck in anderen Märkten hin. Von Interesse ist zudem die Initiative von Lüftner, die in Deutschland einen eigenen Veranstalter auf die Beine stellt – das muss als Misstrauensvotum dem bisherigen Vertrieb gegenüber gedeutet werden. Kurz: Im vermeintlich geruhsamen Segment der Flussfahrten gerät einiges in Bewegung, was auch den hiesigen Markt beeinflusst.

Beat Eichenberger