
Am Sonnenhang etwas oberhalb des Dorfkerns von Zweisimmen in einem hübschen Chalet, wo er seit 15 Jahren lebt und von wo aus er heute unverändert die Aktivitäten von Marina Travel betreibt, begrüsst Jean Stalder TRAVEL INSIDE.
Im Innern des prächtigen kleinen Holzpavillons, den er nach eigenen Plänen im Garten bauen liess und in dem wir uns zum Gespräch niederlassen, herrscht eine genuine Schiffs- und Bootsreisen-Atmosphäre.
Die stimmungsvolle Clipper-Bar, die früher im Marina-Büro in Bern stand, tut nun in Zweisimmen ihren Dienst, ebenso der grosse Captains Table. Der Boden ist mit echten Decksplanken belegt, an den Wänden zeugen viele Bilder und Reminiszenzen von einer langen, spannenden Karriere.
Die Geburt eines Spezialisten
«Gegründet habe ich Marina Travel 1975 in einem Etagenbüro in Bern, Anfang der 1980er-Jahre konnte ich dann ein Ladenlokal an der Kapellenstrasse übernehmen, welches ich bis 2021 betrieb», erzählt Jean Stalder. 2021 musste er das Büro in Bern wegen Corona aufgeben und geschäftet seither von Zweisimmen aus.
Doch wie kam Jean Stalder überhaupt zu den Bootsreisen? «Ich war zuvor als gelernter Grafiker für verschiedene Projekte und Firmen tätig, so unter anderem auch für den Touring Club. Der Chefredaktor schwärmte mir eines Tages von seinen Hausbootsferien vor, da wollte ich selbst mal schauen, was es damit auf sich hat».
Gesagt – getan: Stalder brach in Südfrankreich zu einer ersten Hausbootreise nach Marseillan auf und kehrte begeistert von dieser Erfahrung zurück – «ich bin noch heute eng mit diesem bemerkenswerten Städtchen verbunden», sagt Stalder.
«Hausboote waren damals, zu Beginn der 1970er-Jahre, viel rudimentärer als heute. So brachte man etwa den eigenen Schlafsack mit», meint Stalder. «Die Kanal-Fahrten verlangten zudem noch viel mehr Kreativität und Selbständigkeit als heute – dies alles gefiel mir».
Stalder erkannte gleichzeitig die Notwendigkeit, sich für Hausbootferien vorgängig gut und verlässlich zu informieren. Nach weiteren persönlichen Fahrten begann er deshalb in den Ferien erste Gruppenreisen zu organisieren und bewarb diese mit Dia-Shows.
«Die Dia-Shows fanden guten Anklang, ich konnte häufiger Reisen durchführen. Gleichzeitig lernte ich immer mehr Schiffe und mehr Reviere kennen, mein Know-how und mein Netzwerk wuchs. Deshalb entschloss ich mich 1975 mit Marina Travel auf diesem Gebiet selbständig zu machen», so Jean Stalder weiter.
Ein gewiefter Promo-Fuchs
Marina Travel war zu Beginn eine One-Man-Show, später wurde Jean durch seine heutige Frau Barbara unterstützt. Und die Einzelfirma wandelte er danach in eine AG um. «Das Geschäft entwickelte sich gut, die Zahl der Kunden wuchs dank Mund-zu-Mund-Propaganda und weiteren Dia-Shows stets an», so Stalder.
Ein riesiges Werbebudget stand nie zur Verfügung, deshalb setzte Jean Stalder von Beginn weg auf Pressereisen, um das Produkt Hausbootferien über Medienberichte bekannter zu machen. Aber er war (und ist) stets auch ein langjähriger und treuer Aussteller auf der Ferienmesse Bern.
Viel Aufmerksamkeit gewann Marina Travel zudem mit ungewohnten Aktivitäten: So holte Jean Stalder hin und wieder ein Hausboot zu Promotionszwecken in die Schweiz. Potenzielle Kunden konnten so auf dem Wohlensee oder auch mal auf dem Neuenburger- oder Vierwaldstättersee authentische Hausbootluft schnuppern.
«Einmal hatte ich die Idee, ein Hausboot direkt vor dem Bundeshaus zu platzieren und vorzustellen, was hohe Wellen schlug. Später positionierte ich ein Schiff gar ein halbes Jahr lang in die Schweiz, das dann auf verschiedenen Seen zu besichtigen war», ergänzt Stalder.
Auf grosses Publikums- und Medienecho stiess 1984 Stalders Aktion «Bern liegt am Meer». Die Idee: Mit Zodiacs auf dem Wasser von Bern nach Marseille schippern. «Damit wollte ich auf die grosse Vielfalt der europäischen Wasserwege aufmerksam machen, was mir auch gelang», kommentiert Stalder diese Geschichte.
Zehn Tage dauerte die ungewöhnliche Fahrt der vier Zodiacs von Bern auf der Aare und dem Rhein nach Basel, weiter via Rhein-Rhône-Kanal auf der Saône und der Rhône bis Saintes- Marie-de-la-Mer in der Camargue und schliesslich der Küste entlang nach Marseille – ein viel beachtetes Abenteuer.
Kein Mangel an Ideen
Bootsferien in Frankreich, einem Kernland dieser Reiseformel mit rund 8000 Kilometer Wasserwegen, sind für Jean Stalder eine Herzensangelegenheit. Hier kennt er sich vom Burgund über die Loire bis in den Midi wohl aus wie kein Zweiter, ohne die weiteren europäischen Reviere zu vernachlässigen.
Aber seine Interessen waren stets schon weiter gesteckt und seine Neugier für Anderes gross. So organisierte er in den 1980er-Jahren auch abenteuerliche Zodiac-Reisen entlang der Küste Korsikas mit Übernachtung im Zelt. Und für Gruppen legte er Aare-Fahrten von Thun nach Bern auf.
Aber auch Hochsee-Kreuzfahrten vermochten ihn stets schon zu begeistern und entwickelten sich zu einem weiteren Standbein von Marina Travel. «Eine der ersten Kreuzfahrten machte ich in den 1970er-Jahren mit der legendären Victoria von Chandris», sagt Stalder, der seither regelmässig auf Seereise geht.
Persönlich hat Jean Stalder sowohl den Motorboot- wie Segelschiff-Ausweis und darf auch Binnengewässer-Schiffe (Péniches) steuern. Doch es muss nicht immer Wasser sein: Er ist auch Heissluftballon-Pilot, besass ein eigenes Fluggerät mit einem markanten Berner Bären auf der Hülle und bot damit Ausflugsfahrten an.
Und nochmals etwas anderes riss Stalder in den 1990er-Jahren mit Alpinatours an: Im herrlichen Gantrisch-Gebiet zwischen Bern und Oberland organisierte er winterliche Schneeschuh-Touren – auch diese Aktivität führte ihm letztlich einige neue Kunden für seine Bootsferien zu.
Fachmann durch und durch
Heute, mit 81 Jahren und 50 Jahren Marina Travel hinter sich, engagiert sich Jean Stalder unverändert und mit viel Agilität, Herzblut, immenser Erfahrung und ebenso grossem Know-how für die Ferienformel Hausboot und Seereisen weltweit.
«Ich informiere mich nach wie vor laufend persönlich vor Ort über die neusten Hausboot-Trends und -Entwicklungen und bin regelmässig auf Kreuzfahrt», sagt er. Die Zusammenarbeit von Marina Travel mit langjährigen Partnern wie Locaboat oder Nicols ist eng und vertrauensvoll.
«Bootsferien verlangen unverändert viel Fachwissen. Es ist für die Reisebüros nicht immer einfach, interessierte Kunden kompetent zu informieren», sagt Jean Stalder. Gerne berät er deshalb Reisebüros über alle Details und Hints dieser Ferienformel, die über den Katalog und die Website hinausgehen.
Der TI-Reporter zu Besuch in Zweisimmen kam dabei gar in den Genuss von handfesten Tipps wie Knoten korrekt gebunden werden, die Seile in der Schleuse gehandhabt werden müssen oder wie das Boot am einfachsten angelegt wird.
Jean Stadler weiss ohne Zweifel, wovon er spricht, kann man dazu nur sagen.
Beat Eichenberger