André Lüthi über die Reisebranche und seine persönlichen Learnings

Der Globetrotter-CEO blickt im TI-Interview selbstkritisch zurück und beurteilt die Branche und deren Zukunfts-Aussichten.
André Lüthi © TI

André Lüthi, man hört von Ihnen in letzter Zeit etwas weniger. Täuscht dieser Eindruck?

Nein der täuscht nicht (lacht) Zu Beginn der Pandemie bis in den Herbst bekam ich sehr viele Medienanfragen. Weil die Branche, ausgelöst durch die Pandemie, in eine tiefe Krise gerutscht ist. Jede Anfrage war eine Chance, den Markt, die Politiker, das SECO etc. zu sensibilisieren und auf unsere schwierige Lage aufmerksam zu machen. Und ich bin überzeugt, dass dies auch etwas bewegt hat.

Dass einige in der Branche das Gefühl hatten ich sei zu viel in den Medien verstehe ich absolut.

Im September wurde die Branche dann endlich als Härtefalle anerkannt und es kehrte etwas Ruhe ein. Ich wurde auch weniger gebraucht und die mediale Präsenz hat seither logischerweise etwas nachgelassen. Ich wurde zwar auch in diesem Jahr wieder angefragt, beispielsweise von der Sonntagszeitung und dem Bilanz-Talk. Da ging es dann nicht primär nur um die Pandemie, sondern auch grundlegende und strategische Dinge.

Wurden Sie absichtlich etwas zurückgehalten und haben andere Branchen-Gesichter in den Vordergrund gerückt?

Da wurde nicht viel von uns gesteuert. Das SRF beispielsweise wählt selbst aus. Zum Glück hat man andere Gesichter gesehen. Und die Kolleginnen und Kollegen aus der Branche haben es sehr gut gemacht in den verschiedenen Sendungen. Zum Teil wurden sie von Walter Kunz empfohlen.

In einem UBS-CEO-Talk haben Sie gesagt, dass Sie in dieser Zeit viel gelernt hätten – was genau meinen Sie damit?

Zwischenmenschlich. Unternehmerisch habe ich das gelernt, was dem Bundesrat widerfahren ist. Wir waren schlichtweg überfordert. In einer solchen Situation kann man es nicht allen richtig machen. Es gibt immer welche, die es gut und andere, die es schlecht finden. Das Gleiche ist mir in der Schweizer Reisebranche widerfahren. Unter anderem wegen den vielen Medienauftritten habe ich vielleicht auch Neider generiert (lacht) Und da habe ich die Menschen besser kennengelernt. Ich habe auch gelernt, wie unterschiedlich Menschen reagieren, wenn es um das eigene Überleben geht.

Ebenfalls gelernt habe ich, dass ich bei allem Wille und aller Weitsicht nicht alles steuern kann. Und dass ich Fehler mache.  Man kann sich noch so gut absichern und recherchieren – man kann nicht alles im Griff haben. Doch auch wenn ich Kritik einstecken musste, war ich überzeugt von meinem Weg.

Man lernt Menschen kennen in der Krise. Bereichernd war der Austausch mit Simon Schnellmann. Im Sommer ist er mir mit seiner offenen, direkten Art ziemlich an den Karren gefahren – im Herbst haben wir bei einem Bier vieles geklärt – und das gegenseitige Verständnis und der Respekt waren im Mittelpunkt. Das sind tolle Highlights in der Krise.

Gab es auch negative Beispiele?

Persönlich weniger. Es war eher der Tonfall, der gewisse Leute über die Sozialen Medien eingeschlagen haben, den ich als unfair und ungerechtfertigt empfand. Nicht gegenüber mir selbst, sondern gegenüber Politikern usw. Das war oft unter der Gürtellinie. Heute kann in den Sozialen Medien jeder ungefiltert sagen was er will und das macht es zum Teil auch gefährlich und kontraproduktiv

Es hat vielleicht das Vertrauen in uns gefehlt. Wir haben in dieser Situation stets versucht das Beste zu tun, aber kein Mensch wusste genau, wohin diese Reise gehen wird. Und jetzt, wo die Hilfegelder langsam fliessen, wird es stiller und es gibt auch den einen oder andere Dankesbrief.

Wird allgemein zu viel gejammert?

Klar ist die Lage ein Grund zum Jammern, aber wenn man einmal betrachtet, was wir noch alles haben und das in Relation stellen, ist es schon fragwürdig. Sehr viele Menschen draussen in der Welt haben kaum mehr was zu essen, weil die Touristen ausbleiben.

In Bezug auf die Schweizer Reisebranche ist es in etwa so wie bei einem Fussballspiel. Ich bin mir zum Teil vorgekommen wie ein Spieler auf dem Feld, der das Tor verschiesst oder einen Fehlpass spielt und sich von der Tribüne anhören muss, dass er nichts auf die Reihe kriegt. Es ist immer einfach als Zuschauer zu kritisieren, aber selbst auf dem Feld zu stehen, ist noch einmal eine völlig andere Geschichte. Es war mehr das fehlende Vertrauen in uns das etwas wehtat. Aber damit muss man leben lernen wenn man Verantwortung übernimmt.

Das Engagement der Branche hat Ihnen also nicht gefehlt?

Nein, aber es hat einen Weckruf gebraucht. Als wir zusammen mit dem TRAVEL INSIDE einen Aufruf gestartet haben, dass sich jeder der einen Parlamentarier kennt, einschalten soll, ist viel passiert. Ich habe das auch von den Parlamentariern direkt gehört, dass sich ständig Leute aus der Branche gemeldet haben. Da haben viele Branche-Leute einen ganz tollen Job gemacht!

Nach diesem Hoch ist das Engagement aber auch wieder etwas abgeflacht. Der allgemeine Tenor war – was hat es gebracht, dass Katz und Lüthi jetzt vier Bundesräte gesehen hat? Auch da, es fehlte einfach etwas an Geduld – was ich aber absolut verstehe.

Ein Blick auf die Branche, wer ist aus Ihrer Sicht gut positioniert und wird überleben und wer wird es schwer haben?

Grundsätzlich staune ich ja, wie wenig Konkurse es in der Branche bisher gab. Letzten Sommer wurden Hochrechnungen gemacht, dass 30 Prozent der Branche Konkurs gehen würde.

Ich glaube und hoffe, dass sich das Reise-Interesse nach der Pandemie ändern wird. Sich auf ein Land einzulassen, ein Land entdecken zu wollen und sich dadurch auch dementsprechend beraten zu lassen, wird für viele wichtiger werden. Aus diesem Grund haben die Spezialisten die grössten Chancen auf eine Zukunft. Aber auch diese müssen sich fokussieren und den Mut haben auch den Preis zu verlangen.

Die Menschen, die etwas Spezielles beim Reisen erleben und lernen möchten und noch nicht online buchen, die sind auch gerne bereit mehr Geld für eine gute Beratung, 24-Stundenbetreuung und das Knowhow des Reiseberaters zu bezahlen. Die anderen 70 Prozent, die auf jeden Rappen schauen, die sind weg und denen können wir auch nicht nachtrauern.

Jedenfalls für uns. Vielleicht sieht das bei anderen Unternehmen anders aus, aber bei uns macht es keinen Sinn bei diesen Onlineplattformen einzusteigen und sich mit Booking und Co. konkurrenzieren zu wollen. Das ist einfach nicht unsere Welt und wäre auch nicht finanzierbar.

Ist das nicht ein Risiko?

Absolut, aber das Risiko tragen wir. Statt nur mehr Mehrwert, auch Mehrmensch – es gab, gerade in letzter Zeit, so viele Kunden, die extrem froh darüber waren, dass sie ihre Reise in einem Reisebüro gebucht haben. Und dann gibt es solche, die online gebucht haben und die Frechheit hatten, bei unserer Hotline um Hilfe zu bitten.

Die Leute werden individueller beim Reisen und ich glaube, dass das gesamte Massengeschäft mit All-Inclusive-Reisen usw. bald nur noch über das Internet läuft. Da sind diese Onlineplattformen auch stark darin und das ist auch gut so, aber es ist nicht mehr die Welt der Reisebüros.

Für den, der den Mut hat Preise zu verlangen damit er überleben kann die Gewissheit hat, dass er Qualität, Wissen und Dienstleistungen bietet, für den, ist die Pandemie eine Chance.

Heisst das, dass TUI Suisse und Hotelplan mit ihrem grossen Sortiment und Vertriebsnetz daneben liegen?

Auch Hotelplan und TUI Suisse werden merken, dass es noch Geschäftsbereiche gibt, wo man Geld verdienen kann, durch Spezialisierung und durch gute Leute mit guten Löhnen. Auch eine TUI spürt, dass das klassische 08/15-Produkt durch so geniale Online-Möglichkeiten, wo klassische TO und Reisebüros keine Chance dagegen haben, immer mehr abwandert.

Wie sehen Sie die Zukunft der grossen Reiseunternehmen?

Das sind alles Vermutungen: Die Migros wird Hotelplan sicher tragen, und zwar anständig.

Kuoni/DER hat Rewe im Rücken. Die müssen sich wohl keine Sorgen machen. Bei Kuoni/DER habe ich aber auch das Gefühl, dass ein Schwank in Richtung noch stärkerer Spezialisierung stattgefunden hat.

Bei TUI Suisse wartet man noch auf eine Strategie. Die TUI Group hat die eine oder andere Milliarde Euro vom deutschen Staat erhalten – ich weiss nicht, wo das endet. Mit den Wertschöpfungsketten (Schiffe, Flugzeuge und Hotels) gibt es vermutlich einige Strategiesitzungen im Moment. Da wird es viele Diskussionen geben – Thomas Cook lässt grüssen. Aber scheinbar sind sie ja systemrelevant und TUI ist gut positioniert.

Bei Knecht und Twerenbold ist es schwer zu sagen. Jeder geht seinen Weg und sie haben zum Teil  jetzt einen anderen eingeschlagen als wir. Die grosse Frage bleibt auch da beim Retail. Wie positionieren sich die Filialen in Zukunft gegen die OTA.

Was halten Sie vom TTS in diesem Zusammenhang?

Gegen die Grundidee, die sehr erfolgreich umgesetzt wurde, ist gar nichts auszusetzen. Eine starke Organisation.  Ausser vielleicht, wie sich vereinzelte Persönlichkeiten, die ich alle sehr schätze, im Zuge der Pandemie exponiert haben. Insbesondere in Sachen SRV. Kritisieren ist richtig und war auch berechtigt – aber zugleich sollten auch konstruktive Vorschläge kommen.

(Interview: Angelo Heuberger/Yannick Suter)


Was André Lüthi über die Globetrotter Group sagt, kann man in der Druckversion von TRAVEL INSIDE lesen – erschienen gestern, Donnerstag, 8. April 2021.

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