Antarktika: Erlebnisbericht einer ganz besonderen Schiffsreise

Teil 1: Schiffsexpeditionen in die Antarktis sind aussergewöhnliche Reisen. Diese prägende Erfahrung konnte TRAVEL INSIDE mit der neuen SH Vega (Swan Hellenic) erleben.
SH Vega: Anlandung südlich des Polarkreises. ©BE

Die meistgestellte Frage gleich vorweg: Wie war’s in der Drake Street? Die Meerestrasse zwischen der Südspitze Südamerikas und der Antarktischen Halbinsel geniesst nicht eben den besten Ruf.

Hier toben oft stürmische Winde, die prompt auch den ersten Seetag der SH Vega nach dem Auslaufen in Ushuaia und der Durchfahrt durch den Beagle-Kanal prägen.

Die hohe See lässt das Schiff trotz Stabilisatoren rollen und stampfen, von den sich aufbäumenden Wellen sprüht wild die Gischt, da und dort bilden sich gar Brecher.

Die Aussenflächen des Schiffs sind gesperrt, das Restaurant ist fast leer und überall liegen Kotztüten auf. Trotz Pflaster und Tabletten ziehen es die meisten Gäste vor, den wilden Ritt in der Kabine hinter sich zu bringen.

Roman Obrist – ein Schweizer Kapitän
Kapitän Roman Obrist. ©BE

«Auf der Zwölfer-Beaufort-Skala der Windstärken erlebten wir Werte zwischen acht und neun», informiert tags darauf Kapitän Roman Obrist. «Die Wellen erreichten gegen zehn Meter». Doch dies liess Obrist und seine Offiziere nicht aus der Ruhe bringen.

Der gebürtige Engadiner, einer der ganz wenigen Schweizer Expeditions-Kapitäne, weist eine langjährige Antarktis-Erfahrung auf. Durch seine vom Magazin «cruisetip» moderierten Auftritte an Ferienmessen ist er hierzulande einem interessierten Publikum bekannt. Jahrelang war er für Hapag-Lloyd Cruises im Einsatz, seit Anfang Jahr hat er nun bei Swan Hellenic angeheuert.

Am zweiten Seetag ist der Spuk beinahe wieder vorüber, das Meer präsentiert sich ruhiger und die Sonne bricht durch. Am Nachmittag kommt plötzlich Hektik auf und alle Gäste eilen an Deck: Der erste Eisberg ist in Sicht! Auch am dritten Seetag herrscht Aufregung: Beim 60. Breitengrad überquert die SH Vega den Südlichen Polarkreis – wir befinden uns nun offiziell in der Antarktis!

Dieser denkwürdige Moment wird an Deck mit König Neptun und seinem Gefolge gebührend gefeiert und jedermann muss sich unter Gelächter der «Kiss-the-Fish»-Tradition ergeben. Nun steigt die Spannung: Am Horizont sind in der Ferne erste schneebedeckte Gebirgszüge der vorgelagerter Antarktis-Inseln zu erkennen.

Ein eleganter Expeditions-Neubau
Observation Lounge. ©BE

Während der drei Seetage auf einer eher selten befahrenen Route «Beyond the Antarctic Circle» bis zu den ersten entlegenen Anlegestellen südlich von Adelaide Island lebt man sich auf dem Schiff ein. Die SH Vega, nach der SH Minerva das zweite Schiff für Swan Hellenic, nahm im Sommer 2022 Fahrt auf. Mit 10’600 BRZ vermessen, finden in 76 Kabinen maximal 152 Gäste Platz. Auf unserer Reise sind 84 Gäste an Bord, betreut und umsorgt von 112 Crew-Mitgliedern.

Die SH Vega verfügt über die hohe Polarklasse PC5 und absolviert 2022/23 seine erste Antarktis-Saison. «Das Schiff ist sehr wendig und hervorragend manövrierbar», hält Kapitän Obrist zum Neubau der Helsinki-Werft zufrieden fest. Angetrieben wird die SH Vega mit Marine-Diesel, ein SCR-Katalysator reinigt die Abgase

Die SH Vega ist kein exaltiertes Luxus-Produkt, überzeugt aber als elegantes, stylisches und hochwertiges Produkt. Ein helles, skandinavisches Design mit viel Holz prägt das Innere, die Räumlichkeiten sind lichtdurchströmt, die Möblierung stilvoll-modern und die Platzverhältnisse grosszügig.

Die Infrastruktur umfasst ein Restaurant mit offener Sitzung, eine grosszügige Observation Lounge, eine hübsche Club-Lounge sowie Rezeption, Beauty-Salon, Gym & Spa mit Jacuzzi und eine kleine Bibliothek. Auf dem Aussendeck mit Infinity-Pool und Grill sowie weiteren Aussenflächen streicht die frische Luft um die Nase.

Die 28 qm grossen Balkon-Kabinen präsentieren sich stimmig, mit viel Stauraum und einer Kaffeemaschine. Auch ein Fernglas liegt bereit, und vor dem Bett knistert als Besonderheit gar ein (holografisches) Holzfeuer! Buchbar sind auch 19 qm grosse Oceanview-Kabinen mit Fenster und Suiten zwischen 44 qm und 49 qm.

Outdoor-Freaks und viel Expertise
Carine Zimmermann. ©BE

Informative Vorträge des Expeditions-Teams über die Vogelwelt, über Wale und Delphine sowie Robben und Pinguine bereiten uns während dieser Seetage auf künftige Erlebnisse vor. Die Vorträge werden simultan über TV in die Kabinen gespielt und können auch nachträglich abgerufen werden.

Das Expeditions-Team wird von Antony Jinman geleitet, ein umgänglicher, englischer Outdoor-Profi, der unter anderem zu Fuss eine Expedition zum Nordpol unternahm und solo den Südpol erreichte. Auf Instagram kann man ihn unter «polaraj» verfolgen. Auch sein Kollege Richard Simpson ist ein Outdoor-Freak, der als Alpinist Berge in der Antarktika besteigt und wo möglich mit Ski hinunterfährt.

Gar eine Schweizerin Expertin gehört dem Expeditionsteam der SH Vega an: Die gebürtige Luzernerin Carine Zimmermann interessierte sich schon in ihrer Jugend für Wale und Delphine. «Nach der Matura war für mich klar, dass ich in diesem Bereich arbeiten wollte», erzählt sie.

Sie bildete sich in den Bereichen Umwelt, Kommunikation und Fotografie weiter und arbeitete in Europa und der Karibik als Whale-Watching-Guide und Naturalistin. Dabei vertiefte sich laufend ihr Wissen über Wale und Delphine und lernte Sprachen. Nun ist sie Expeditions-Guide auf der SH Vega: «Mich reizte es, die weite Welt zu bereisen und dabei meine Expertise einzubringen», sagt sie. Sie ist im Team nicht nur die Wal- und Delphin-Spezialistin, sondern koordiniert hinter den Kulissen die wissenschaftlichen Programme an Bord.

Mit diesen «Science Citizen»-Programmen werden täglich Daten, Beobachtungen und Fotos von der SH Vega an verschiedene internationale Projekte und Stellen geliefert. So etwa über die Bewölkung an das NASA-Projekt «Globe Clouds», über gesichtete Wale an «Happy Wales» oder über die Vogelwelt an «E-Bird».

Taucht auf hoher See mal ein Wanderalbatros auf, ist nicht nur Vogel-Expertin Sue Walsh fast aus dem Häuschen: 3,5 Meter beträgt die grösste Flügelspannweite aller Vögel, der elegante Flugkünstler gleitet mühelos mit den Winden und legt riesige Distanzen zurück. Aber auch die Sturmvögel sind gern gesehene Gäste, die um das Schiff kreisen.

Antarktika – ein regulierter Kontinent
Zodiac-Start. ©BE

Weitere Vorträge rücken das korrekte Verhalten in der Arktis in den Vordergrund. Die Leitlinien für die touristische Nutzung hält die IAATO (International Association Antarctica Operators) fest. Maximal 100 Menschen dürfen gleichzeitig anlanden, die Regeln sind rigide: «Nichts an Land bringen, nichts zurücklassen und nichts an Bord bringen», hämmert uns Guide Conrad ein.

«Wir sind die Besucher – die Tiere haben immer Vortritt und stets gilt ein Abstand von mindestens fünf Meter. Nicht rennen oder schreien, sich nicht von der Gruppe entfernen, nicht Rauchen…» – die Liste wird länger und länger. Anschliessend werden bereits getragenen Outdoor-Kleider in einem sorgfältigen Bio-Check auf mögliche schädliche Rückstände geprüft.

Konkret geht’s beim Zodiac-Briefing weiter: Die SH Vega führt zwölf Zodiacs für zehn oder zwölf Passagiere mit. Von der Reederei erhalten alle Gäste eine warme Parka und einen wasserdichten Rucksack mit Wasserflasche. Die Temperaturen liegen zu dieser Zeit um die Null Grad, bei Wind kann es aber einiges kälter sein. «Warme Kleidung im Schalenprinzip, Handschuhe und Mütze und eine wasserdichte Hose sind unumgänglich», sagt Conrad.

Die zur Verfügung gestellten Stiefel müssen vor jedem Landgang desinfiziert und bei der Rückkehr gewaschen und desinfiziert werden, das Tragen der Rettungsweste ist obligatorisch. Per ‘Sailor’s Grip’ wird ein- und ausgestiegen, während der Fahrt darf man nicht aufstehen. Dass die Zodiacs mit Diesel und nicht elektrisch fahren wird mit dem Umstand erklärt, dass Batterien die permanente kühle Aussen-Lagerung nicht verkraften.

Jetzt wächst das Kribbeln: Morgen sind die ersten Anlandungen geplant. «Das konkrete Anlandungsprogramm hängt immer vom Wetter und den Bedingungen ab, deshalb gibt es stets einen Plan A, B, C oder D – je nachdem», warnte Kapitän Obrist bereits zuvor. Doch der Start verspricht grossartig zu werden: Prächtiges Wetter ist angesagt.

Beat Eichenberger


Die antarktischen Höhepunkte dieser aussergewöhnlichen Reise Teil 2 morgen bei TRAVEL INSIDE Online.