Australien Reisen erst 2022 wieder und nur mit Impfung?

Urs Wälterlin, langjähriger Australien-Korrespondent, über den Zustand des Tourismus Down Under im Interview mit Journalist und TI-Autor Kurt Schaad.
Urs Wälterlin © SRF

Der zwischen Sydney und Canberra wohnhafte Baselbieter Journalist Urs Wälterlin (60) berichtet schon seit rund 30 Jahren aus Australien. Gerade ist er zurück von einer Reportagereise aus Kangoroo Island – ein Jahr, nachdem die Insel in Südaustralien von einem verheerenden Feuer heimgesucht worden ist. Nun habe sich die Insel wieder erholt, erzählt er seinem Journalistenkollegen Kurt Schaad.

Er habe eine blühende Natur erlebt und Koalas wären immer noch in grosser Zahl anzutreffen. Feuer gehören zu Australien, sagt er, aber so extrem, so heiss, so schnell seien sie, nach Auskunft vieler Betroffener, noch nie vorangekommen. Für ihn eine Folge des Klimawandels.

Kurt Schaad, der «Down Under» schon mehrfach bereist hat, hat sich mit Urs Wälterlin über die Auswirkungen von Corona auf Australien und speziell auch auf seine Tourismusindustrie unterhalten.


Urs Wälterlin, wie lebt es sich in Australien zu Coronazeiten?

Eigentlich ganz normal. Man merkt praktisch nichts. Australien hat sehr früh seine Grenzen geschlossen. Das hilft natürlich. Es hilft, dass Australien eine Insel ist. Aber das ist nicht der einzige Grund. Man kann sagen über die Regierung was man will, aber es ist so, dass sie eine ganz klare Haltung hat und diese auch durchsetzt.  Wer jetzt einreist muss zwei Wochen in Quarantäne und das kostet 3000 AUD.

Im Land selber werden die Bestimmungen von den Bundesstaaten ausgeführt durch ein sofortiges Einschreiten bei lokalen Ausbrüchen. Da werden knallhart Massnahmen ergriffen, wie jetzt gerade in Queensland. Da kommt es sofort zu massiven Einschränkungen und innerhalb einer Woche ist dann wieder alles gut. Dass alles so gut unter Kontrolle ist, verdankt man in erster Linie dem Contact Tracing, das man hier extrem ernst nimmt.

Überall wo ich hingehe, checke ich mit der App auf meinem Handy ein. Kürzlich waren wir essen im Thai Restaurant. Vor dem Eintritt ein Scan und schon bin ich registriert. Das ist vorgeschrieben und wird auch kontrolliert. Letzte Woche war ich an einem grossen Festival in Adelaide und dort hat man kontrolliert, ob ich auf meinem Handy auch den grünen Haken hatte.

Und die Leute machen es auch. Es ist komplett selbstverständlich. Ich bin begeistert davon, wie man das Problem angeht und die Australier da mitmachen. Als ich nach Kangoroo Island geflogen bin, war einzig im Flughafen und auf dem Flug maskenpflicht, sonst muss man keine Masken tragen. Alles normal.

Die Australier geben sich doch gerne individualistisch und jetzt folgen sie brav den Regierungsvorschriften?

In den 30 Jahren, in denen ich hier lebe, habe ich gemerkt, dass die Australier eigentlich sehr autoritätsgläubig sind. Die Schweizer sind da viel mehr individualistisch. Das was ich über das Verhalten in der Schweiz lese: da schüttle ich nur den Kopf. In Verbindung mit Covid 19 bin ich echt froh, dass die Leute hier das so gut mitmachen.

Was siehst Du denn als Schweizer, von aussen betrachtet, was hier alles abläuft?

Ich bin komplett schockiert. Ich kann es fast nicht glauben. Ich habe immer gedacht, die Schweizer sind ziemlich gescheit, rational denkende Menschen und dann kommt so etwas. Wir reden ja nicht über Wilhelm Tell und Gessler. Es geht darum, eine Maske zu tragen, Distanz zu wahren, auf etwas zu verzichten. Aber das alles hat ja einen Sinn. Man macht das ja nicht aus Spass. Es geht nur darum, die Pandemie möglichst schnell einzudämmen, damit nachher alles wieder normal ist und man dann wieder seine Freiheit hat.

Die Schweiz, ein Land, wo man zueinander schaut, wo man ein Solidaritätsdenken hat ist plötzlich so komisch. Man macht doch alles aus einem bestimmten Grund und niemand verliert seine Freiheit, nur weil er eine Maske tragen muss. Meine Mutter ist zufällig in Liestal in diese Demo hineingeraten, mit Maske natürlich, und wurde Zeugin, wie einem Journalistenkollegen die Nase eingeschlagen wurde. Sie ist bis heute schockiert.

Wie läuft’s eigentlich mit Impfen und Testen in Australien?

Testen ist kein Problem. Wenn ich den Schnupfen bekommen, gehe in zu einer Teststelle und habe binnen Stunden das Resultat per SMS. Alles gratis. Ich musste das bis jetzt noch nie machen aber meine Frau, die als Gemeindekrankenschwester arbeitet, hat sich schon mehrmals testen lassen – immer negativ. Das Problem ist das Impfen. Es hat zuwenig Impfstoffe. Unter anderem weil Europa die Ausfuhr von AstraZeneca blockiert. Die Regierung steht in der Kritik, weil sie schon ganz früh gesagt hat, dass alles bestellt sei und wir die Ersten sein werden, die den Impfstoff bekommen werden. Jetzt stellt sich das als politische Propaganda heraus.

Ich werde wohl frühestens im August zu einer Impfung kommen. Ich werde wohl noch länger warten müssen, wieder mal ins Ausland reisen zu können. Das ist eigentlich mein grösster Frust. In Australien selber kann ich reisen, aber man muss damit rechnen, wegen eines lokalen Ausbruchs irgendwo steckenzubleiben. Auch muss man über das Internet eine Reisebewilligung einholen, die man dann beispielsweise wie jetzt am Flughafen in Kangoroo Island vorweisen muss.

Wie weit unterstützt der australische Staat seine Bürger finanziell in dieser Pandemie?

Es gibt das sogenannte Jobkeeper Programm. Besser gesagt, es hat es gegeben. Jeder Arbeitnehmer hat alle zwei Wochen 1500 Dollar bekommen, was zum Teil mehr war als manches Einkommen. Leute auf einem absoluten Minimaleinkommen sagten, sie hätten sich endlich wieder mal als Mensch fühlen können. Dieses Programm hat dazu geführt, dass die Firmen ihre Angestellten behalten konnten.

Also so ähnlich wie die Kurzarbeit in der Schweiz?

Das kann man so vergleichen. Aber damit ist jetzt Schluss. Und gerade die Tourismusindustrie ist jetzt in einer absoluten Panik. Viele Tourismusunternehmen haben Dutzende Angestellte, die dank diesem Jobkeeper-Programm weiter angestellt blieben – die müssen sie nun entlassen. Eine Katastrophe aber die Regierung ist da knallhart. Es sei eine temporäre Massnahme gewesen und ab jetzt müssten sie selber schauen.

Jetzt bemüht sich die Branche darum, eine Lösung zu finden, weil so unglaublich viel an dieser Industrie hängt. Direkt und indirekt sind das, nur schon am Barrierreef, 69’000 Arbeitsplätze.

Also keine weiterführende Härtefallregel. A-fonds-perdu gehört in Australien der Vergangenheit an?

So ist es. Die Gelder wurden übrigens nicht direkt den Betroffenen ausbezahlt, sondern den Firmen, bei denen sie angestellt sind oder waren. Da gab es auch noch so spezielle Fälle wie beim Detailhändler «Harvey Norman». Die haben den Gewinn verdoppelt, weil sie, unter anderem, immer nur die effektiven Löhne ausbezahlt haben, die vielfach unter diesen 1500 Dollar gelegen sind. Die Differenz haben sie in den eigenen Sack gesteckt.

Moralisch gesehen ein fragwürdiges Verhalten. Der Steuerzahler hat also den Gewinn von «Harvey Norman» mitfinanziert?

Aber juristisch absolut zulässig. Die konservative Regierung hat das mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen. Man muss auch sehen, dass für viele Konservative das Jobkeeper-Programm ein absoluter Albtraum war. Das widersprach allen ihrer Ideologien, dass der Staat Geld gibt, um vermeintlich nicht arbeiten zu müssen. Ich persönlich sehe hier eine soziale Katastrophe auf Australien zukommen. Die Obdachlosigkeit wird massiv zunehmen, wenn viele ihre Mieten nicht mehr bezahlen können – auch weil die Sozialhilfe weit unter dem Existenzminimum liegt.

Andererseits dürfte Australien dank dem Abbau seiner riesigen Bodenschätze weiterhin gutes Geld verdienen.

Gerade der Abbau von Eisenerz läuft überdurchschnittlich gut, weil weltweit vermehrt Infrastrukturprojekte vorangetrieben werden. Bergbau leidet nicht, Tourismus leidet sehr.

Wenn ich jetzt den Uluru, den Ayers Rock sehen will, dann dürfte ich ziemlich einsam den Felsmocken bewundern können.

An der Stelle, wo man den Felsen im Sonnenuntergang bei einem Apero bewundern kann und wo normalerweise eine Armada von Reisebussen Massen von Touristen ausspuckt, verlieren sich heute fünf bis sechs einsame australische Individualtouristen. Die Pandemie führt dazu, dass die Australier jetzt ihr Land entdecken.

Eine Folge davon ist, dass der Verkauf von Wohnmobilen und Wohnwagen förmlich explodiert ist. Wenn man ohne Zeitdruck ein Wohnmobil kaufen will, dann wartet man am besten auf das Ende der Pandemie. Viele Australier fliegen dann wieder nach Bali und wollen dann ihre Fahrzeuge wieder verkaufen. Viele Orte, die von den verheerenden Bränden betroffen waren, wie beispielsweise Kangoroo Island, erleben mit dem Aufblühen der Natur einen richtigen Tourismusboom – dank der einheimischen Gäste.

Wie sieht es denn beispielsweise in Cairns aus, welches vor allem auf den ausländischen Massentourismus zum Barrierreef angewiesen ist?

Cairns ist eines der am stärksten betroffenen Gebiete. Gerade gestern hat sich ein Bootsbesitzer in den Medien geäussert und hat geklagt, dass er jetzt viele seiner Angestellten entlassen müsse. Zynisch gedacht ist das für die dortige Tourismusbranche gar keine schlechte Übung, denn bald gibt es das Barrierreef sowieso nicht mehr. Das Riff ist zu 50 Prozent tot, es stirbt einfach weg. Der Hauptgrund ist der Klimawandel, der zu erhöhten Wassertemperaturen geführt hat.

Ich war in der letzten Zeit drei Mal am Riff zum Tauchen und habe mich mit führenden Wissenschaftlern unterhalten. Ihrer Meinung nach dürfte das Riff in 30 Jahren tot sein. Vor drei Jahren hiess es noch: in 50 Jahren. In Verbindung mit den schon erwähnten 69’000 Jobs ist das ein viel grösseres Problem als Corona. Offiziell will das niemand bestätigen, weil alle Angst vor den Reaktionen haben. Langfristig wird man sich aber schon überlegen müssen, wodurch man die Tourismusindustrie ersetzen will.

Kurzfristig bleibt aber Australien immer noch, auch für viele Schweizer, ein reisemässiges Sehnsuchtsziel. Ab wann wird man diese Sehnsüchte wieder befriedigen können?

2022, also nächstes Jahr. Ich rechne nicht damit, dass es dieses Jahr noch klappen wird. Und ich gehe davon aus, dass niemand australischen Boden wird betreten können, wenn man nicht geimpft ist.

(Interview: Kurt Schaad)