Beat Obrist: «Seid bereit, wenn die Buchungswelle plötzlich anrollt»

«Time to say goodbye» für TTS-Geschäftsführer Beat Obrist – er geht Ende 2020 nach 40 Jahren Reisebranche in den Ruhestand. Mit diesem Gastbeitrag für TRAVEL INSIDE verabschiedet er sich – mit einem Blick in die Zukunft weit über Corona hinaus.
Beat Obrist.

«Liebe Branchenkolleginnen und -kollegen

Nach 40 Jahren mit verschiedenen Tätigkeiten in der Reisebranche könnte ich problemlos mehrere Seiten mit Geschichten füllen. Darauf möchte ich aber in diesem Beitrag bewusst verzichten, denn viel wichtiger als sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen ist für die Reisebranche der Ausblick in die Zukunft. Die spannenden und unterhaltsamen Anekdoten der letzten 40 Jahre lassen sich gemütlicher in persönlicher Atmosphäre erzählen.

Wenn ich die aktuelle Lage betrachte kann ich froh sein, in den Ruhestand treten zu können. Trotzdem bleibt mir unsere Branche nach so langer Zeit nicht gleichgültig. Mit Freude stelle ich fest, dass auch in der schrecklichsten Krisenzeit, welche alle Reisebüros und -veranstalter wirtschaftlich massiv trifft, mit Innovation und guter Zusammenarbeit auch für die Zukunft Erfolgschancen bestehen. Dank der Herausforderung durch Corona haben sich plötzlich neue Kommunikationswege aufgetan (Aktion Mayday), haben sich die verschiedenen Interessensverbände an einen Tisch gesetzt (Task Force) und es konnten auch beachtliche Ergebnisse erzielt werden (Härtefallregelung, Entschädigung für Eigentümer etc.).

Auch die Mitglieder der TTS Gruppe sind froh, einer professionellen Vereinigung anzugehören und gegenseitig vom vorhandenen Know-how der Mittel- und kleinbetriebe zu profitieren. Diese Branche ist widerstandsfähig, flexibel und agil, das hat sie schon in manchen Krisensituationen gezeigt. Sie ist aber sehr heterogen zusammengesetzt und zieht oft nicht am gleichen Strick. Die Zeit der Einzelkämpfer ist aus meiner Sicht vorbei, Vereinigungen wie die TTS könnten die Lösung sein.

Corona hat uns aber auch gezwungen, einen Gang runterzuschalten und uns auf das Wesentliche zu besinnen. Entschleunigung heisst das Zauberwort und von dieser Entschleunigung sollte die Branche auch etwas in die hoffentlich bald wieder einigermassen normale Zukunft mitnehmen.

Die Pandemie hat auch aufgezeigt, dass es den Staat für solche Krisensituationen sehr wohl braucht. Auch diejenigen, welche staatliche Regulierungen verabscheuen und am liebsten gänzlich abschaffen möchten, mussten eingestehen, dass der Staat sehr wohl eingreifen muss. Gleichzeitig hat uns Covid-19 aufgezeigt, dass Globalisierung und dezentrale Produktion auch nicht immer das Gelbe vom Ei sind.

Eines dürfen wir aber nicht vergessen, Corona ist kurz- oder mittelfristig besiegbar, die grösste Herausforderung für die Menschheit und auch für die Reisebranche ist und bleibt aber die Klimaerwärmung. Schon jetzt beeinflussen vermehrt auftretende Naturkatstrophen wie immer heftiger werdende Wirbelstürme, Brände, Überschwemmungen und Dürren die Nachfrage nach Reisen. Gelingt es der Weltgemeinschaft nicht, das gesetzte Klimaziel zu erreichen, werden solche Katastrophen weiter zunehmen und das Reisegeschäft beeinträchtigen.

Die Frage stellt sich, ob die Abkehr von fossilen Brennstoffen mit technischer Innovation gelingt oder ob auch hier der Staat regulatorische eingreifen muss. Ich persönlich bin überzeugt, dass es beides braucht. Dies würde bedeuten, dass für Reisetätigkeiten künftig allenfalls Restriktionen gelten, welche das Geschäftsmodell der Reisebranche beeinflussen würde. Positiv wäre natürlich, wenn künftig weniger Flugbewegungen nötig wären, dafür aber wieder «normale», sprich höhere Flugpreise verlangt werden könnten.  

Schon heute muss deshalb überlegt werden, wie mit weniger Dossiers gleich viel Ertrag erwirtschaftet werden kann. Die Reiseprofis an der Front werden künftig nicht mehr fast gratis beraten können, sondern für die Erbringung von Mehrwert für den Kunden auch entsprechend entschädigt werden müssen. Die Zeiten von Shopping Weekends in London oder New York sind für ökologisch bewusst denkende Menschen, von welchen es hoffentlich immer mehr geben wird, vorbei. Sinnvolles Reisen, d.h. bewusster und länger dafür aber vielleicht 1-2 mal weniger pro Jahr unterwegs sein, sollte deshalb meines Erachtens gefördert werden.

Ich wünsche allen Branchenkolleginnen und -kollegen viel Durchhaltewillen, Energie und Zuversicht für die Zukunft. Seid bereit, wenn die Buchungswelle plötzlich anrollt!

Beat Obrist»