Christina Gloor: «Ich will die Reisebranche mit erhobenem Kopf verlassen»

Im Interview spricht die Vollblut-Touristikerin über die Gründe, weshalb sie ihr Reisebüro schliesst, die fehlenden Zukunftsperspektiven in der Branche und die Suche nach Alternativen.
Christina Gloor

Nach 35 Jahren in der Reisebranche schliesst Christina Gloor (54) ihr gleichnamiges Reisebüro Christina Gloor Reisen GmbH, das sie die letzten 15 Jahre in Windisch und Brugg/AG als Einfrau-Büro geführt hat. Wie hat sie die Corona-Krise erlebt? Welche Gedanken hat sie sich während dieser Zeit gemacht? Was gab letztlich den Ausschlag, der Reisebranche den Rücken zu kehren und welchen Rat hält sie für Kolleginnen und Kollegen bereit, die in einer vergleichbaren Situation sind? Über all das hat sie mit TRAVEL INSIDE gesprochen.

Frau Gloor, wie haben Sie die Zeit seit Februar/März 2020 erlebt?
Ich war sehr gut ins neue Jahr gestartet. Als mich dann Kunden aus Australien kontaktierten und um eine frühzeitige Rückreise baten, wurde mir erstmals so richtig bewusst, welche dramatischen Veränderungen auf uns zukommen. Ich war tagelang damit beschäftigt, ihre Rückreise in die Schweiz zu organisieren. Flugverbindungen wurden vorzu annulliert, Transit-Destinationen geschlossen. Nachdem ich alle meine Kunden nach Hause gebracht hatte, gab es nur noch Stornierungen von bevorstehenden Reisen. Es entstand eine Dynamik, die nicht mehr zu kontrollieren war. Andererseits kam keine einzige neue Buchung herein und die Freude am Beruf, den ich über 30 Jahre mit Herzblut ausgeübt habe, wich einer gewissen Resignation.

Wann begannen Sie, sich ernsthaft Gedanken über Alternativen zur Reisebranche zu machen?
Aufgrund der Dimensionen, die diese Krise angenommen hatte, wurde mir anfangs April bewusst, dass ich das als kleines Reisebüro nicht überstehen kann. Dabei spielten finanzielle Überlegungen, die schwindende Freude, die Unsicherheit, wie lange das andauern wird und vor allem aber auch die fehlende staatliche Unterstützung für ein kleines Reisebüro (GmbH) eine Rolle. Für April und Mai habe ich gerade mal je CHF 3320 Erwerbsersatzentschädigung erhalten. Danach war Schluss, wie wir alle wissen. Ohne meinen Mann und sein Einkommen wäre ich wohl beim Sozialamt gelandet.

Die Möglichkeit eines Überbrückungskredits haben Sie nicht genutzt?
Nein, das war ein no go für mich. Warum soll ich einen Kredit aufnehmen, um damit meine Kunden frühzeitig zufriedenzustellen, während ich auf die Rückzahlung der Leistungsträger warte. Wie viele neue Dossiers müsste ich realisieren, um den Kredit zurückzuzahlen, und das in einer so ungewissen Zukunft? Ich habe mir keinen Lohn mehr ausbezahlt um die Fixkosten möglichst tief zu halten. Für mich ist die Tatsache wichtig, dass ich mein Reisebüro schliesse und nicht Konkurs gehe.

Wie ist der aktuelle Stand?
Am 31. Juli war mein letzter offizieller Arbeitstag. Alle bestehenden Aufträge mit Abreisetermin 2020 werde ich noch wie gewohnt ausführen und mich auch für die offenen Rückerstattungen von stornierten Aufträgen einsetzen und diese zeitnah rückerstatten. Seit 1. August bin ich noch per Mail und über mein Handy erreichbar. Neue Aufträge habe ich schon seit längerem nicht mehr angenommen und für Aufträge, die bereits für 2021 getätigt wurden, werde ich die Kunden kontaktieren, um die Übergabe an ein anderes Reisebüro zu besprechen. Ende Jahr ist definitiv Schluss. Bis dann will ich alles geregelt haben und einen geordneten Geschäftsabschluss machen. Ich will die Reisebranche mit erhobenem Kopf verlassen.

Wie emotional war diese Entscheidung?
Sehr emotional. Alles was ich mit Engagement und Herzblut erreicht habe und was mir Freude gemacht hat, wurde durch dieses Virus in kurzer Zeit zerstört. Gerade für kleine Reisebüros sehe ich keine Zukunftsperspektiven.

Wie war die Reaktion Ihrer Kunden?
Ich bekam viele, teils sehr emotionale Mails und sogar handgeschriebene Briefe. Man bedauert, dass man mich als Reiseberaterin und Vertraute verliert. Für die Situation und meine Entscheidung zeigt man Verständnis, auch für die verspäteten Rückzahlungen. Niemand hat etwas dagegen, dass ich die Auftragspauschale behalte, die Arbeit wurde ja gemacht. Und einige wollten sogar, dass ich ihre Zahlungen für spätere Aufträge einbehalte. Das bestärkt mich im Glauben, dass ich vieles richtig gemacht habe. Mein Herz blutet, aber es muss weitergehen.

Was werden Sie beruflich machen?
Seit April habe ich mich auf verschiedenen Plattformen nach Alternativen umgeschaut. Ich will beruflich noch gebraucht werden und mich einbringen können. Die Stelle als Zivilstandsbeamtin beim Regionalen Zivilstandamt Brugg war ausgeschrieben. Ich habe mich beworben und letztlich den Zuschlag bekommen. Vielleicht half mir da meine Bekanntheit und mein Netzwerk ein wenig. Jedenfalls hatte ich am 3. August bereits meinen ersten Arbeitstag bei der Stadt Brugg. So kehre ich an den Ort zurück, wo ich meine Verwaltungslehre absolvierte, bevor ich in die Reisebranche gewechselt habe.

Welchen Rat würden Sie Kolleginnen und Kollegen in einer ähnlichen Situation geben?
Man muss sich dem Veränderungsprozess stellen. Die Branche wird nie mehr so sein wie sie war. Statt für unzählige Facebook-Posts oder Demonstrationen auf dem Bundesplatz Zeit zu investieren sollte die Energie dafür aufgewendet werden, sich über seine Stärken und Fähigkeiten Gedanken zu machen und aktiv an einer Veränderung zu arbeiten, damit man wieder eine Perspektive hat. Zukunftsvisionen und -hoffnungen nachzuhängen, die keine mehr sind, bringen nichts. Viele werden sich komplett neu ausrichten müssen. Wer die letzten Monate nur auf Besserung gewartet hat, für den ist der Zug vielleicht bereits abgefahren.

Könnten Sie sich vorstellen, in die Reisebranche zurückzukehren, sofern sich die ganze Situation eines Tages komplett normalisiert?
Nein, denn ich habe nun mit 54 Jahren nochmals eine Chance bekommen und werde meine ganze Energie dafür investieren. Aber mein Herz wird für den Rest meines Lebens für die Reisebranche schlagen.

(Interview: Urs Hirt)

Christina Gloor – eine Vollblut-Touristikerin
Nach der Verwaltungslehre bei der Stadt Brugg wechselte Christina Gloor 1985 mit einer Anstellung bei Frei Carreisen in Zürich in die Reisebranche, der sie seit damals bis jetzt treu geblieben ist. Hotelplan, Esco, Popularis/Helvetic Tours sowie RW Tours in Lupfig waren weitere Stationen ihrer Karriere, und dies immer im Verkauf und im Touroperating sowie als Filialleiterin. Ende Januar 2006 , an ihrem 40. Geburtstag, eröffnete sie ihr eigenes Reisebüro in einem Parterrelokal in Windisch/AG. 2015 wechselte sie mit ihrem Büro als Untermieterin von Columbus Tours nach Brugg/AG. Die Kunden sind ihr all die Jahre treu geblieben. (UH)