Coronavirus und die Branche: Die Nerven liegen blank

In Ausnahmesituationen sind aber auch Ausnahmereaktionen nötig.
3-D-Modell from Coronavirus 2019-nCoV. © Keystone Centers for Disease Control and Prevention

O P I N I O N

Seit sich das Coronavirus Covid-19 rasant auch in Europa ausbreitet, liegen die Nerven blank – ganz besonders in der Reisebranche. Wo noch vor wenigen Tagen Zuversicht herrschte, ist inzwischen das grosse Zähneklappern ausgebrochen. Nicht ohne Grund, wenn die Kunden nichts mehr buchen und eigentlich nur noch für die Stornierung der schon gebuchten Ferien ins Reisebüro kommen. Keiner weiss, wie man damit umgehen soll, und noch weniger weiss man, wie lange diese Situation noch dauern wird.

Es bringt nun aber gar nichts, wenn eine ganze Branche in Angst vor den Auswirkungen des Virus erstarrt und sein Abläufe und den Umgang mit den Kunden nach üblichem Schema F organisiert. Ob in einer Krise, wie es sie in der Reiseindustrie noch nie gegeben hat in den letzten 40 Jahren, der Verweis auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) die richtige Antwort an verunsicherte oder gar verängstigte Kunden ist, müsse sich weisen, schrieb TRAVEL INSIDE am Donnerstag in einem Kommentar – was beim Schweizer Reise-Verband (SRV) offenbar zu empörten Reaktionen führte, während bei der Redaktion direkt aber auch Zustimmung einging.

Was auch immer das einzelne Reisebüro, der einzelne TO tut, das muss das Unternehmen nach seinen eigenen Möglichkeiten entscheiden. Sicher ist, dass es jetzt im Umgang innovative und vor allem auch kundenfreundliche Angebote und Signale braucht. Zum Beispiel für Neubuchungen grosszügige Storno-Möglichkeiten, für den Fall, dass die Ausbreitung des Virus weitergeht. Vielleicht hilft das ja, dass der eine oder andere Kunde doch noch Ferien bucht. Ein spezialisierter TO macht das Angebot, bis Ende April kostenlos zu stornieren, auch Reisen mit Frühbucherrabatt. Das ist sehr mutig, er nimmt damit ein erhebliches finanzielles Risiko auf sich. Aber wenn sich die Coronavirus-Gefahr verflüchtigt, hat er gewonnen und hoffentlich volle Auftragsbücher. 

Das Signal, welches die «grössten Reiseunternehmen» über eine Mitteilung des SRV an den Markt und damit an ihre potenziellen Kunden aussenden, ist derzeit offenbar ein ganz anderes: Man halte unisono und strikt an den AGB fest, wird da verkündet.

Anscheinend wurde aus Kreisen der grössten Reiseunternehmen der SRV beauftragt bei dem Spezialisten-TO – jede Person in der Branche weiss, hier ist Bentour gemeint – zu intervenieren. Bentour hatte gestern Donnerstag kommuniziert, positive Signale in einer für den Markt schwierigen Zeit zu lancieren, wie Deniz Ugur gegenüber TRAVEL INSIDE sagt.

Das Festhalten an den AGB ist das gute Recht eines jeden Reiseunternehmens. Dass AGB grundsätzlich immer gelten, ist ja unbestritten, macht auch Sinn. Jedenfalls in normalen Zeiten. In Ausnahmesituationen sind aber auch Ausnahmereaktionen nötig. Und wir sind nun mal in einer Ausnahmesituation, wie es sich noch nie gegeben hat. Sogar die ITB Berlin wurde inzwischen abgesagt.

Angelo Heuberger & Christian Maurer, Chefredaktion TRAVEL INSIDE