Hochsee-Flotten im Corona-Strudel 

Die Pandemie hatte 2020 für viele ältere, bekannte Kreuzfahrtschiffe das Aus zur Folge. Ein faktenreicher Überblick von TI-Cruise-Insider Beat Eichenberger.
Das Abwrackgelände von Aliaga (Türkei) – Endstation für Cruiseliner. ©Chris McGrath/Getty Images
Beat Eichenberger, TRAVEL INSIDE Cruise-Spezialist

Seit mehr als zehn Monaten steht die weltweite Cruise-Industrie still – daran ändert auch der punktuelle Neustart in Europa und Asien kaum etwas. Dieser Shutdown hat bereits dramatische Spuren in den Flotten der Reedereien hinterlassen: Knapp 40 Kreuzfahrtschiffe, mithin rund zehn Prozent der bisherigen globalen Flotte von gut 400 Einheiten, wurden 2020 ausgemustert. Einige haben neue Käufer gefunden, die sie weiter betreiben möchten, viele werden kurzerhand verschrottet. Auf der anderen Seite mag es auf den ersten Blick erstaunen, dass in der gegebenen Situation noch nicht mehr Reedereien Schiffe verscherbeln mussten. Dabei waren die ersten Anzeichen alles andere als erbaulich. 

Die Folgen der Pullmantur-Insolvenz… 

Bereits im Juni schreckte die Nachricht auf, dass die spanische Pullmantur, an der die Royal Caribbean Group zu 49 Prozent beteiligt ist, Insolvenz anmelden musste. Pullmantur, vom deutschen ex-TUI-Cruises Manager Richard Vogel als CEO geleitet, betrieb bis dahin drei ältere, von RCL-Reedereien übernommene Schiffe: Die Sovereign (2306 Passagiere) war bei ihrer Inbetriebnahme 1988 als Sovereign of the Seas für Royal Caribbean Int. für kurze Zeit das grösste Kreuzfahrtschiff der Welt. Auch das 1991 in Betrieb genommene Schwesterschiff Monarch war lange Jahre bei RCI im Einsatz. Beide Einheiten finden nun ihr Ende auf dem türkischen Abwrackgelände von Aliaga. Noch nicht klar ist, wie es mit der Horizon (erbaut 1990, 1442 Passagiere) weitergehen soll, die derzeit in Griechenland aufgelegt ist. Das Schiff war einst der erste Neubau für die damalige Chandris-Tochter-Celebrity. 

.. und dem Aus von CVM/Transocean 

Die nächste Schreckensnachricht, die wenig Gutes erahnen liess, folgte bereits einen Monat später im Juli: Die englische South Quay Travel Limited mit Cruise & Maritime Voyages (CMV) und deren deutschen Tochter Transocean Kreuzfahrten musste Insolvenz anmelden. Die Flotte von sechs illustren Schiffen mit bewegter Vergangenheit wurde im Oktober zwangsversteigert. 

Die Vasco da Gama (1260 Passagiere), 1993 als Statendam für Holland America Line erbaut, ging 2015 als Pacific Eden an P&O Cruises über und wechselte 2019 als Vasco da Gama zu Transocean. Nun wurde sie für 9,5 Mio. Euro von der portugiesischen Mystic Holding übernommen, zu der u.a. auch die deutsche Nicko Cruises gehört. Die Vasco da Gama soll nun von Nicko für die deutschsprachigen Märkte zum Einsatz kommen. 

Wenig bis gar nichts weiss man hingegen über die konkreten Pläne, die der griechische Fährreeder Marios Ilioupoulos (Seajets) mit seinen zwei ersteigerten 

CMV-Schiffen vorhat (sowie den weiteren Zukäufen, siehe unten): Die Magellan (1452 Passagiere) wurde 1985 als Holiday für Carnival Cruise Line erbaut, kreuzte später für Ibero Cruceros und stiess 2015 zu CMV. Und die Columbus (1550 Passagiere) nahm 1989 ihren Dienst als Fair Majesty für Sitmar Cruises auf, kannte danach eine Karriere bei Princess, P&O Cruises und Ocean Village, bevor sie ab 2017 bei CMV im Dienst stand. Seajets soll für beide Einheiten rund 9 Mio. Euro bezahlt haben. 

Keine Zukunft mehr gibt es offenbar für die Marco Polo (848 Passagiere). 1965 als Aleksandr Pushkin erbaut, danach u.a. bei Orient Lines im Einsatz und seit 2008 bei CMV, wird sie nun möglicherweise verschrottet. Dasselbe blüht wohl auch der Astor, einem der beliebtesten Oldies im deutschsprachigen Markt: Das Schiff für 590 Passagiere wurde 1987 für die Marlan Corporation als Astor erbaut und ging 1988 als Fedor Dostoyevskyi an die Black Sea Shipping über. Nach einigen Handwechseln und der Rückbenennung in Astor war das Schiff ab 1996 für Transocean Tours und danach für die Nachfolge-Gesellschaft Transocean Kreuzfahrten im Einsatz. Die Astor hätte eigentlich in diesem Jahr zu einer neuen CMV-Gesellschaft in Frankreich wechseln sollen – nun droht diesem elegant geschwungenen, traditionsreichen Schiff das Aus. 

Keine gesicherten Angaben gibt es derzeit über die Zukunft der zuletzt im CVM-Charter beschäftigten und an ihre Gläubiger-Bank zurückgelieferten Astoria, dem bislang ältesten noch aktiven Kreuzfahrtschiff. 1948 als Transatlantikliner Stockholm erbaut, erlangte das Schiff durch den Crash mit der Andrea Doria «Berühmtheit». Nach einer bewegten Geschichte unter wechselnden Namen und bei verschiedenen Anbietern landete die Astoria 2016 bei CMV. 

Weitere bekannte Abschiede 

Keine Insolvenz, aber die Betriebseinstellung von FTI Cruises führte zum Verkauf der bekannten Berlin (412 Passagiere). Das Schiff wurde 1980 an die Peter Deilmann Reederei ausgeliefert und machte später in der ZDF-Serie «Das Traumschiff» Karriere. Nach weiteren Stationen übernahm 2011 FTI Cruises das Schiff, das nun in an die maltesische Dreamliner Cruises von Royalton Investment verkauft wurde. Sie will das Schiff umbauen und künftig für den Gruppen- und Chartermarkt einsetzen. 

Und noch ein Abschied, der vielen schwerfällt: Phoenix Reisen hat sich aus wirtschaftlichen Gründen von der Albatros getrennt. Das Schiff unternahm ihre Jungfernfahrt 1974 als Royal Viking Sea, erlebte danach während Jahren eine bewegte Geschichte bei verschiedenen Reedereien weltweit und war ab 2004 für Phoenix Reisen im Einsatz. Käufer ist der ägyptische Unternehmer Kamel Abou-Aly, der mit seiner Pick Albatros Gruppe mehrere Hotels in Ägypten betreibt – die Albatros soll künftig als Hotelschiff im Roten Meer zum Einsatz kommen. 

Aderlass bei Carnival Corporation 

Dass bisher nicht weitere Reedereien in die Insolvenz oder zur Betriebsaufgabe getrieben wurden und ihre Flotten aufgeben mussten, erklärt sich aus der stark konsolidierten Struktur der Cruise-Industrie. Rund drei Viertel der globalen Kapazitäten werden von den drei grossen, börsennotierten US-Konglomeraten Carnival Corporation, Royal Caribbean Group und Norwegian Cruise Line Holding mit ihren verschiedenen Marken beherrscht. Zählt man noch MSC Cruises (Genf) und Genting (Hongkong) hinzu, kommt man auf annähernd 90 Prozent. Diese 

Grossunternehmen geniessen bei Banken und Anlegern den Status einer gewissen «Systemrelevanz» und kommen derzeit noch an neues Geld, das den aktuellen «Cash-Burn» mindert. Man könne die Durstrecke noch monatelang durchstehen, versuchen die Grossreedereien nach wie vor zu beruhigen. 

Trotzdem musste Carnival Corporation, mit über 100 Schiffen und neun Marken weltweiter Marktleader, inzwischen die Handbremse ziehen und hat sich bereits von 18 älteren Schiffen getrennt. Dies, um angesichts einer unsicheren Zukunft die Layout-Kosten für nicht mehr umgehend benötigte Einheiten zu reduzieren, wohl aber auch, um sich anstehende Modernisierungen im Bereich Klima und Umwelt zu ersparen. Bei der Stammmarke Carnival Cruise Line betrifft dies vier Schiffe: Die Carnival Fantasy (erbaut 1990, 2056 Passagiere), das älteste Schiff der bisherigen Flotte, wurde verkauft und endet in der türkischen Abwrackstation Aliaga. Es handelt sich dabei um den ersten Typen der sechs Einheiten umfassenden Fantasy-Klasse. Dasselbe Schicksal erleiden zwei weitere Schiffe dieser populären Bauserie, die Carnival Imagination (1995) und die Carnival Inspiration (1995). Die Carnival Fascination, (erbaut 1994) wurde an die auf den Marshall Islands domizilierte Century Harmony Cruise Ltd. verkauft, die den Oldie wohl als Hotelschiff einsetzen wird. 

Auch Costa reduziert die Flotte… 

Die italienische Costa hat sich ebenfalls von ihren zwei ältesten Einheiten getrennt: Die 1993 erbaute Costa NeoRomantica (1800 Passagiere) wurde an die griechisch-zypriotische Celestyal Cruises verkauft, die das Schiff in Celestyal Experience umbenannt hat und ab März 2021 in der Aegäis zu neuem Leben erwecken will. Die Costa Victoria hingegen (erbaut 1996, 1932 Passagiere) wird voraussichtlich in Italien zerlegt und verschrottet. Schon vor Corona wurde zudem kommuniziert, dass die Costa Atlantica (2000, 2114 Passagiere) und die Costa Mediterranea (2003, 2118 Passagiere) zum Carnival-chinesischen Joint-Venture CSSC (China State Shipbuilding Corporation) überwechseln sollen. 

… ebenso Holland America Line… 

Holland America Line reduziert ihre Flotte gar um vier ältere Einheiten: Die Amsterdam (erbaut 2000, 1380 Passgiere) sowie die Rotterdam (1997, 1404 Passagiere) wurden an die englische Fred Olsen verkauft und sollen dort inskünftig als Bolette und Borealis zum Einsatz kommen. Anderseits hat sich Fred Olsen von den zwei Schwesterschiffen Black Watch (1971 erbaut als Royal Viking Star, 800 Passagiere) und Boudicca (1971 erbaut als Royal Viking Sun, 840 Passagiere) getrennt, die nun abgewrackt werden. HAL hat sich ebenso von der Maasdam (1993, 1258 Passagiere) und der Veendam (1996, 1350 Passagiere) getrennt. Die beiden Schiffe wurden von der griechischen Seajets gekauft und in Aegean Myth und Aegean Majesty umbenannt. 

… wie auch P&O Cruises…. 

Von P&O Cruises wurde die Oceania verkauft (2000, 2016 Passagiere) – auch dieses Schiff ging an Seajets und erhält den neuen Namen Queen of the Oceans. Und von P&O Australia hat Seajets noch die Pacific Aria übernommen (1994, 1258 Passagiere) und in Aegean Goddess umbenannt – damit kommt das griechische Unternehmen auf total sechs zugekaufte Oldies. Was Seajets damit vorhat, ist wie bereits gesagt noch unklar. P&O Australia hat sich im Weiteren von der Pacific 

Dawn getrennt (1991, 2020 Passagiere): Das Schiff ging an Ocean Builders, die gemäss Medienberichten das Schiff unter dem Namen Satoshi vor der Küste Panamas als eine Art Apartment-Schiff einsetzen will. Die Pacific Dawn wie die Pafific Aria sollten übrigens ursprünglich an CMV verkauft werden, was dann aber Corona und die Insolvenz des britischen Unternehmens verhinderten. 

… und Princess Cruises 

Bereits vor Corona entschieden wurde, dass P&O Australia dafür zwei Princess-Schiffe erhalten wird, nämlich die Golden Princess (2001, 2600 Passagiere) und die Star Princess (2002, 2600 Passagiere), die in Pacific Adventure und Pacific Encounter umbenannt werden. Princess Cruises hat zudem ihre zwei ältesten Einheiten verkauft: Die Sea Princess (1998, 2016 Passagiere) geht an die chinesische Sanya Int. Cruise Development und wird in Charming umbenannt. Das erste Schiff dieser Bauserien, die Sun Princess (1995, 2016 Passagiere) hat die japanische NGO Peace Boat übernommen, die es im nächsten Jahr unter dem neuen Namen Pacific World einsetzen will. Auf der anderen Seite hat sich Peace Boat von der Ocean Dream getrennt, die 1982 als Tropicale für Carnival erbaut wurde, später als Costa Tropicale kreuzte und 2012 zu Peace Boat stiess. Das Schiff wird nun wohl abgewrackt. 

Auch RCL muss reagieren 

Während sich also die Nummer 1, Carnival Corporation, über verschiedene Marken bereits von 18 älteren Einheiten trennte, gab es bis anhin noch keine ähnlichen Signale von den beiden anderen Grossreedereien – bis kürzlich Royal Caribbean Int., die Nummer 2, den Verkauf ihrer zwei ältesten Schiffe bekannt gab: Die Empress of the Seas (1600 Pax) wurde 1990 erbaut, die Majesty of the Seas (2380 Pax) nahm ihren Dienst 1992 als dritte Einheit der Sovereign-Klasse auf (die beiden Schwesterschiffe Sovereign und Monarch of the Seas fuhren wie bereits angeführt zuletzt für Pullmantur und werden nun verschrottet). Die Empress und Majesty sollen von einem noch unbekannten asiatischen Käufer erworben sein, der die beiden Schiffe möglicherweise weiterhin für Kreuzfahrten einsetzen will. 

Offen bleibt noch die Frage, ob sich auch die Nummer 3, Norwegian Cruise Line Holding, gezwungen sieht, sich vom einen oder anderen älteren Schiff zu trennen. Das könnte allenfalls die zwischen 1998 und 2001 erbauten Norwegian Spirit, Norwegian Sky und Norwegian Sun betreffen, die je rund 2000 Passagiere aufnehmen. Bei der Nummer 4 der grössten Cruise-Gesellschaften, der in Genf beheimateten MSC Cruises im Besitz der Familie Aponte, sieht die Ausgangslage etwas anders aus: Die Schiffe der ältesten, zwischen 2001 und 2004 erbauten Lirica-Klasse (MSC Armonia, Sinfonia, Lirica und Opera) wurden erst vor wenigen Jahren kostenintensiv verlängert und modernisiert – ein Abstossen dieser Einheiten dürfte für die ambitionierte Reederei kaum opportun sein. 

Weitere Karriereenden 

Aber auch einige in den hiesigen Märkten weniger bekannte Reedereien mussten Federn lassen. So hat sich die englische Marella Cruises (ex-Thomson Cruises), Teil der TUI Group, von zwei ihrer Schiffe getrennt: Die Marella Celebration (1250 Passagiere) wurde 1984 als Noordam für Holland America Line erbaut und fuhr seit 2005 für Marella. Und die Marella Dream (1500 Passagiere) nahm ihre Karriere 1986 als Homeric für Home Lines auf, kreuzte später als Westerdam für HAL und als 

Costa Europa. Die Homeric war übrigens das erste Kreuzfahrtschiff, das die deutsche Meyer Werft gebaut hat. Beiden Marella-Schiffen droht nun wohl das definitive Aus auf dem Schrottplatz. 

Dasselbe gilt wohl auch für die Grand Celebration von Bahamas Paradise Cruise Line. Die 1987 Celebration wurde einst als dritte Einheit der Fantasy-Klasse für Carnival erbaut und später von Bahamas Paradise übernommen – nun soll das Schiff in Indien abgewrackt werden. Noch ein anderes, einst bekanntes Schiff ist inzwischen auf einem Abwrackgelände in Indien gelandet: Die Karnika der indischen Jalesh Cruises wurde 1990 als Crown Princess erbaut, fuhr dann einige Zeit als Aida Blu für Aida Cruises, später als Pacific Jewel für P&O Australia und wurde erst 2019 von Jalesh Cruises übernommen. 

Kurz: Corona hat die Flotten der Kreuzfahrtschiffe 2020 bereits massiv dezimiert und durcheinandergewirbelt. Aller Voraussicht nach wird auch 2021 für die Cruise-Industrie ein schwieriges Jahr werden, weitere Anpassungen sind deshalb zu erwarten – TRAVEL INSIDE wird Sie weiterhin kompetent informieren. 

(Beat Eichenberger)