Isolde Susset: «Wenn man die Natur erleben will, braucht man Aussenflächen»

Isolde Susset berichtet im zweiten Teil unseres Interviews, wie ihr Job als Leiterin Touristik bei Hapag-Lloyd Cruises aussieht.
Isolde Susset, auf der Hanseatic Spirit. © TI

Isolde Sussets gesamte Laufbahn fand bis heute bei Hapag-Lloyd Cruises statt. Sie zog mit dem Veranstalter von Stuttgart über Bremen nach Hamburg. 2003 wurde das Produktmanagement eingeführt und sie übernahm die Verantwortung für die MS Bremen und die MS Hanseatic. Seit 2013 ist Leiterin Touristik.

Im Interview mit TRAVEL INSIDE auf der neuen Hanseatic Spirit gibt sie Auskunft, wie Expeditions-Kreuzfahrten bei Hapag-Lloyd Cruises funktionieren.


Isolde Susset, Sie kommen aus Stuttgart von einem Tour Operator und sind nun seit 30 Jahren bei Hapag-Lloyd Cruises. Da haben Sie bestimmt einiges schon erlebt und bewegt?

Mit der MS Columbus ging es damals los in Hamburg. 1997 ist sie in Dienst gestellt worden. Im Expeditionsbereich bin ich seit 1992. Ich hatte das grosse Glück in dem Team zu arbeiten, mit dem wir die Premierenrouten vorbereiten. Wir waren die Pioniere damals mit der MS Bremen, die 1996 als erstes Expeditionsschiff Spitzbergen umrundete.

Unsere grosse Stärke ist dieser extreme Teamgeist zwischen Land und Schiff und da kommen uns dann solche Ideen, wie auch 2014 die Nordostpassage, 2015 die Marshallinseln oder jetzt aktuell der Bottnische Meerbusen. Mitte September geht es zum Indian Summer, da war vorher ja auch noch kein internationales Kreuzfahrtschiff und im Winter, da freut sich unser Kapitän so drauf, im Eis Richtung Lappland.

Wofür genau sind Sie mit Ihrem Titel jetzt verantwortlich und zuständig?

Für alles rund um die Expeditionskreuzfahrten. Von der Fahrplan-Gestaltung über die Katalog-Erstellung, über die Preisgestaltung sowie auch die Vermarktung bis hin zur Markenphilosophie und die Expertenteams an Bord. Immer natürlich mit dem Team, Vertrieb und so weiter, und parallel auch für die drei Schiffe.

Was verstehen Sie unter Leiterin Touristik?

Im Bereich Touristik bin ich für die gesamte Flotte von Hapag-Lloyd-Cruises zuständig: für den Landausflugseinkauf, Vor- und Nachprogramme und Flug und auch für die Schiffe Europa und Europa 2.

Wie viele Mitarbeiter sind Ihnen direkt unterstellt?

32. Wir sind schnell und effektiv. Ich habe ein tolles Team und deswegen funktioniert das alles.

Sie sind ja die Pionierin der Expeditions-Reisen. Woher nehmen Sie eigentlich die Ideen für neue Programme?

Das ist so unterschiedlich. Ich glaube, wer im Expeditions-Bereich beheimatet ist, der hat immer bestimmte Ziele im Kopf. Ich durfte auch jahrelang in dem Bereich auf den Schiffen mitfahren und da kommt man zusammen mit den Menschen an Bord und man spricht mit dem Kapitän. Nachdem wir die Nordwestpassage geschafft haben, wollten wir auch mal die Nordostpassage machen.

Das war so ein erklärtes Expeditions-Ziel für uns. Und darauf arbeitet man dann hin. Auf der Route hat Kapitän Natke das Nautische geplant, wir im Büro haben an den Genehmigungen gearbeitet – fast zehn Jahre, bis man die Genehmigung und alles hatte.
Ich glaube, Expeditionen erfolgreich umzusetzen ist, Visionen zu haben und Vorstellungen zu haben. Und Richtung Spitzbergen ist irgendwann mal an Bord entstanden. Wir haben über drei, vier Jahre die Eissituation beobachtet.

Expedition bedeutet Geduld. Man hat die Vision, man hat eine Idee und dann muss man sehr lange und sehr sorgfältig recherchieren und beobachten, bis man diese wirklich dann umsetzen kann. Und zu normalen Zeiten gibt es im Team auch Kollegen, die auf Scouting-Reisen gehen.

Das aktive Scouting machen also nicht nur die Kapitäne?

Es gibt Destinationen, da können wir ein Scouting machen. Aber wie z.B. damals bei den Marshallinseln, da gibt es kein Scouting, da sind wir auf einer Pionierroute tatsächlich hingefahren und die Gäste waren Teil dieser besonderen Expedition. Wir hatten Lektoren und Experten, die waren vertraut mit dem Gebiet. Diese erzählen einem davon und dann fängt man an, zu recherchieren und aktiviert sein Netzwerk. Und deswegen meine ich, Expedition ist reine Teamarbeit.

Bei diesen drei neuen Schiffen waren Sie in der Planung von Anfang an mit dabei. Was war für Sie persönlich denn extrem wichtig?

Für mich war es wichtig, dass wir ein Expeditions-Schiff konstruieren, mit dem wir authentische Expeditionen fahren können. Beispielsweise, dass wir die höchste Eisklasse für Passagierschiffe haben (PC6), damit wir weltweit in den Eisgebieten operieren können. Dann war es für mich wichtig, dass man mindestens 32 Tage autark fahren kann, damit wir die Semi-Circumnavigation fahren können und auch entlegene Gebiete in der Südsee bereisen können.

Das wird immer vergessen: wenn ich in extreme Gebiete z.B. in der Südsee fahre, gibt es auf diesen kleinen Inseln keine Möglichkeit, Treibstoff oder Proviant aufzunehmen. Daher ist diese Einbeziehung einer autarken Fahrzeit so grundlegend für unsere Expeditionsschiffe. Die Schiffe sind dafür ausgestattet, Landstrom nach einer entsprechenden Testphase zu nutzen, wo es das gibt. Und dann war für mich wichtig, dass wir sehr viel Aussenflächen haben. Wenn man die Natur erleben will, braucht man Aussenflächen und Freiraum.

Als Sie mit den Expeditions-Reisen angefangen haben, was die Flotte noch nicht so komfortabel. Was hat Sie dazu bewogen, diesen explosionsartigen Schritt in die 5-Sterne-Luxus-Kategorie zu starten?

Ich denke, das ist zweigeteilt. Wir hatten als 5-Sterne Schiff die Hanseatic und als 4-Sterne-Schiff die Bremen und alle hatten ihren Fankreis. Aber uns ist doch aufgefallen, dass auch bei Expeditionen, die weit weg führen und deshalb entsprechend hohe Kosten im Flug in der An- und Abreise anfallen, auch der Wunsch eines entsprechenden Standards an Bord sich abzeichnete. Ein gutes Beispiel ist der Wunsch nach Balkonkabinen.

Weiterhin haben wir den Wunsch unserer Gäste nach Gastronomischer Auswahl vernommen: Die Gäste haben gesagt, es ist ja schön im Restaurant zu Essen, aber eigentlich wäre ein Lido-Restaurant mit Aussenfläche auch schön. Der eine ist es gewohnt, abends nur eine Kleinigkeit zu essen, der andere möchte sehr ausgedehnt speisen, noch einer möchte zum Essen Zeit haben und bedient werden. Und so ist eins zum anderen gekommen.

Dann ist es auch so, dass viele unserer Gäste, die von der MS Europa 2 kommen, auch jüngere Gäste sind und Expeditions-Kreuzfahrten machen möchten und über die gesamte Flotte hinweg auch einen gewissen Standard erwarten. Hapag-Lloyd Cruises steht nun einmal für gehobene Kreuzfahrten. Der Service-Gedanke streckt sich über die ganze Flotte.

Was auch wichtig ist und man nicht vergessen darf: Es gab einen Moment, wo klar war, dass eine neue Hardware benötigt wird. Das sind sensible Destinationen, die man anfährt, und ab einem gewissen Moment war klar, wir möchten die Expeditions-Flotte modernisieren. Und dann ging die Gestaltung los: wir fingen an und brachten unsere ganze Erfahrung auf den Tisch und nahmen die Kundenwünsche dazu und hatten jetzt die Chance, ein ganz neues Produkt zu kreieren.

Aber der Inhalt ist der gleiche?

Ja, die DNA ist die gleiche. Inhaltlich ist es dasselbe. Wir haben es damals schon mit der Hanseatic sehr gut geschafft, diesen Spagat hinzubekommen zwischen gehobener Gastronomie, aber sobald du diesen Platz verlässt, bist du der Entdecker. Ich ziehe meine Gummistiefel an und ich habe meinen Parka und ich wandere raus in die Natur und schaue mir Tiere an. Aussen bin ich der Entdecker und an Bord habe ich den gehobenen Standard.

Sind sie auch schon mit Mitbewerber-Schiffen gereist? Wie ist ihre neutrale Bewertung?

Ich möchte Mitbewerber nicht vergleichen, da bin ich nicht so gut drin. Ich bin 100% davon überzeugt, was wir hier geschaffen haben, ist etwas, das extrem zukunftsfähig ist.

Was macht Sie da so sicher, dass es zukunftsfähig ist?

Ich bin von der Hardware, die wir geschaffen haben, total überzeugt. Wir haben Freiraum für die Gäste, wir haben die höchste Eisklasse, können mit Semi-Circumnavigation fahren und wir haben es geschafft, in auch schwierigen Zeiten unser Team zusammen zu halten. Man hat es extrem gemerkt in der Pandemie: Wir alle haben ein Ziel, wir wollen weiter Expeditionen machen. Wir hätten es uns auch leicht machen können, aber das wollten wir nicht.

Wir wollten den Kunden zeigen, dass wir auch Expeditionen machen können, wenn uns das Planen wirklich schwer gemacht wird. Wir haben nach wie vor unseren Pioniergeist, obwohl wir schon seit 20 Jahre dabei sind. Pioniergeist heisst nicht «Ich erfinde die Welt neu», sondern «Ich schliesse neu zusammen», beispielsweise alle fünf Azoren-Inseln oder alle fünf Kanal-Inseln.

Oder jetzt in der schwierigen Zeit «Reissen wir uns jetzt mal zusammen. Wie können wir jetzt fahren?» Jeder aus dem Team, der Kapitän oder die Experten oder jeder, der Inspirationen hatte, hat uns Tipps gegeben. Und das Team an Land hat versucht, die Genehmigungen zu bekommen. Nicht immer haben wir Genehmigungen erhalten. Da mussten wir uns dann etwas Neues suchen.

Und so fahren wir ganz neue Expeditionsrouten entwickelt: in Schweden, in Dänemark, Gebiete, die vor der Haustür sind. Wir waren dieses Jahr öfter auf Helgoland, als in Ushuaia – sonst sind wir um diese Jahreszeit immer in Ushuaia. Ich glaube, dass die Software auch für die Zukunft ist. Kollegen, die lange dabei sind und die die Erfahrung haben. Es gibt keine Trennung zwischen Land und Schiff: es gibt nur uns gemeinsam.

Es gibt wahrscheinlich wenige Leute, die sich in diesem Expeditionsmarkt weltweit so auskennen.

Alle unsere Kapitäne und Expeditionsführer kennen sich gut aus. Das sind Kollegen, die bleiben und die haben sich mit uns verschworen. Der Schweizer Roman Obrist ist als Kapitän z.B. schon lange dabei, der steigt auf den Azoren ein. Unser General Expedition Manager Matthias Mayer hat mit mir angefangen. Oder Heike Fries, unsere Expertin, ist auch seit Urzeiten dabei.

(Interview: Angelo Heuberger)


Im 1. Teil des TRAVEL INSIDE Interview hier gibt Isolde Susset einen Einblick in das Unternehmen der Hapag-Lloyd Cruises und die Expeditions-Kreuzfahrten.