MSC-Chef Selke: «Vor Corona zeichnete sich ein Rekordjahr ab»

TRAVEL INSIDE Interview: Im 1. Teil wie MSC die Pandemie überstanden hat. Morgen im 2. Teil, welche Perspektiven Sebastian Selke für MSC und die Branche sieht.
Sebastian Selke von MSC Cruises ©MSC

Sebastian Selke ist seit 2012 bei MSC Cruises Schweiz und seit 2018 Geschäftsführer. Für die Kreuzfahrtbranche stellte die Pandemie eine extrem grosse Herausforderung dar.

Wie der totale Shutdown war und der jetzige Restart bei MSC Cruises läuft erklärt Sebastian Selke im 1. Teil des Interviews von Cruise-Spezialist Beat Eichenberger mit TRAVEL INSIDE.


Sebastian Selke, kurzer Rückblick: Vor über 18 Monaten musste die gesamte Cruise-Industrie ihren Betrieb einstellen. Wie hat MSC Schweiz den Shutdown überlebt?

Wir waren wie die gesamte Branche in Kurzarbeit und alle arbeiteten im Homeoffice. Damit konnten wir uns ohne grosse Probleme über Wasser halten.

In welcher Grössenordnung bewegte sich die Zahl der Storno-Buchungen, die es nach der Einstellung des Betriebs zu bearbeiten galt?

Vor Corona zeichnete sich für 2020 ein neues Rekordjahr ab. Bedingt durch den Shutdown mussten dann allein in der Schweiz Buchungen in der Höhe einer mittleren fünfstelligen Zahl bearbeitet werden. Über das gesamte Unternehmen lag diese Zahl in einem satten sechsstelligen Bereich.

In diesem Zusammenhang beklagten einzelne Reisebüros die schlechte Erreichbarkeit von MSC Cruises – was lief schief?

Da niemand wusste wie sich die Pandemie entwickeln würde, erfolgten die Absagen über Monate schrittweise. Das hatte selbstverständlich laufend Nachfragen der Vertriebspartner zur Folge. Nun muss man berücksichtigen, dass unser Service-Center für die deutschsprachigen Märkte in Salzburg nicht darauf ausgerichtet ist, eine derart aussergewöhnliche Flut an Änderungsfragen zu bearbeiten. Wir hielten das Service-Center jedoch immer offen, kappten keine Leitungen und nahmen immer alle Anrufe entgegen – aber ja: Es gab Wartezeiten, das ist korrekt.

Hat diese Erfahrung das zentralisierte Call Center in Frage gestellt? Wird dieser Service wieder nach in Zürich zurückgeholt?

Nein, im Gegenteil: Weil die drei Märkte von unterschiedlichen Annullations-Wellen betroffen waren, konnten wir das Personal dort einsetzen, wo gerade Not am Mann war. Diese Flexibilität entpuppte sich als sehr vorteilhaft und hat sich bewährt.

Die Cash-Burn-Raten der grossen börsenkotierten Reedereien waren während des Shutdowns gewaltig, laufend musste neues Kapital aufgenommen werden. Wie stark ist MSC Cruises als Gesamtunternehmen finanziell betroffen?

Unsere Ausgangslage ist eine andere: Hinter MSC Cruises steht ein finanzstarkes Schifffahrtskonglomerat, zu dem eine starke Cargo-Muttergesellschaft gehört, die sich auch in der Krise gut geschlagen hat. Kurz: Wie die Migros bei Hotelplan oder Rewe bei Kuoni steht bei MSC Cruises eine starke Mutter als Sicherheit im Rücken, die es erlaubt, herausfordernde Situationen weitgehend selbst zu meistern.

Musste trotzdem Fremdkapital aufgenommen werden?

Als familiengeführtes Unternehmen können wir uns wie erwähnt innerhalb der Gruppe selbst refinanzieren. Natürlich entschärften auch Massnahmen wie Kurzarbeit oder das Einfrieren der Marketing-Investitionen die Situation. Dies alles hatte zur Folge, dass MSC Cruises während der Pandemie eine der geringsten Cash-Burn-Raten in der Industrie zu bewältigen hatte.

Kann man dies etwas näher beziffern?

Nein, das wird nicht näher beziffert, aber wir können sagen, dass MSC Cruises ohne längerfristige Belastungen wie Kreditverschuldungen oder hohe Zinszahlungen vorwärts gehen kann. Und ausser der Kurzarbeitsentschädigung mussten wir als ein in Genf domiziliertes Schweizer Unternehmen auch keine anderen staatlichen Corona-Hilfen in Anspruch nehmen.

Wo lagen all die Schiffe während des Shutdowns eigentlich?

Nach dem Shutdown Mitte März 2020 verharrten die Schiffe dort, wo sie bis zu jenem Zeitpunkt verkehrten. Es gab ja immer wieder Pläne für einen Restart und deshalb wollten wir die Schiffe vor Ort bereithalten und unnütze Repositionierungen vermeiden. So blieben zum Beispiel die MSC Meraviglia und die MSC Divina nach der Einstellung des Betriebs in den USA und kommen nun auch dort wieder zum Einsatz. Und die Bellissima blieb in Dubai und kreuzt nun ab Saudi-Arabien, also in der Region.

Man unterscheidet bei der Stilllegung eines Cruiseliners zwischen einem «cold lay up» mit sehr wenig verbleibender Crew an Bord und einem «warm lay up» mit mehr Besatzung. Wie ging MSC Cruises vor?

Alle Schiffe verharrten mit je rund 70 Crew-Mitgliedern in einem warm lay up. Dies um möglichen Rost- und anderen Schäden entgegenzuwirken und laufend die Motore zu warten, die ansonsten leiden. Wir wollten die Schiffe ständig in einem guten Zustand erhalten und pflegen, damit sie auch rasch wieder einsatzbereit sind.

Trotzdem konnte der grösste Teil der Crew nicht mehr weiter beschäftigt werden und musste in ihre Länder zurückgeführt werden. Wie ist die Crew in einer solchen Situation abgesichert?

Gemäss internationaler Konvention ist die Crew für den Dienst an Bord bezahlt. Kann dieser nicht erfolgen, fällt die Bezahlung durch die Reederei weg. Wir haben uns aber verpflichtet alle Verträge, die wegen Corona abgebrochen werden mussten, mit dem Restart zu erfüllen. Das heisst, alle betroffenen Crew-Mitglieder haben bei uns das Anrecht auf einen Arbeitsplatz. Was die Arbeitslosigkeit in den Heimatländern betrifft, gelten die jeweiligen staatlichen Sozialsysteme.

Den ersten Restart wagte MSC Cruises bereits im letzten Sommer mit der MC Grandiosa. War das nicht etwas voreilig?

Ja, wir waren Vorreiterin, haben aber die Zeit davor intensiv genutzt und unsere Hausaufgaben gemacht. Zusammen mit einer grossen Gruppe von internen und externen Experten, unter anderem dem Universitätsspital Genf, haben wir ein umfassendes Covid-Schutzkonzept entwickelt, das heute als Branchenstandard gilt und zeigt, dass Kreuzfahrten auch im Pandemiefall möglich und sicher sind. Bis heute konnten wir schon eine mittlere sechsstellige Zahl an Gästen an Bord unserer Schiffe begrüssen, ohne dass es zu nennenswerten Zwischenfällen kam.

Wer kontrollierte das Schutzkonzept und gab grünes Licht für eine Wiederaufnahme des Betriebs?

Wir haben unser Konzept den CLIA-Gremien vorgestellt, mit EU-Behörden diskutiert und es mit verschiedenen internationalen, nationalen und lokalen Behörden abgestimmt. Letztlich braucht es für den Restart die Zustimmung der Länder, von denen aus wir starten und die wir anlaufen, wobei überall nationale Bestimmungen zu berücksichtigen sind.

Der eigentliche Restart kam dann ab diesem Frühling ins Rollen – wie hat sich die Nachfrage nun entwickelt?

Wir konnten schon im letzten Jahr feststellen, dass der Markt positiv reagiert. Den eigentlichen Aufschwung erzielen wir nun seit diesem Frühling, wobei sich gerade der Schweizer Markt gut entwickelt: Hinter den grossen Quellmärkten Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien kommt bereits die Schweiz und verzeichnet damit mehr Passagiere als grössere Länder wie zum Beispiel Belgien, Schweden oder die Niederlande. In der Schweiz sind vor allem die Abfahrten ab Genua ins zentrale und westliche Mittelmeer gefragt oder in diesem Sommer die in Verbindung mit einem Charterflug aufgelegten Abfahrten ab Triest ins östliche Mittelmeer.

Die Schiffe sind ja aktuell mit reduzierter Kapazität unterwegs, wobei man hört, dass auch diese limitierte Auslastung noch nicht immer optimal ist. Wo liegt denn der Break-even?

Das beziffern wir nicht näher. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass wir dank der internationalen Ausrichtung unseres Unternehmens den Umständen entsprechend eine gute bis sehr gute Auslastung erzielen und Gäste aus verschiedenen Märkten gewinnen können.

Wobei MSC Cruises aktuell aber nur Schengen-Gäste an Bord zulässt.

Das gilt für die Kreuzfahrten in Europa und entspricht den Bestimmungen unseres hauptsächlichen Ausgangslandes Italien. Mit ganz wenigen Ausnahmen ist die Einreise und der Transport von Nicht-Schengen-Gästen nicht erlaubt und amerikanische Gäste müssen 14 Tage in Quarantäne. Da wir dies nicht kontrollieren können, lassen wir vorläufig in Europa keine Non-Schengen-Gäste zu.

Wie haben Sie eigentlich während des Shutdowns und nun im Restart die Betreuung der Reisebüro-Vertriebspartner aufrechterhalten?

Seit diesem Juli sind alle unsere 16 Mitarbeitenden wieder aus der Kurzarbeit zurück und unser Pricing, die Gruppen-, Marketing- und Vertriebsabteilung funktionieren Vollzeit. Bereits zuvor kehrte unsere Vertriebsstaff wieder vollständig an die Arbeit zurück. Im letzten Jahr betreuten wir unsere Vertriebspartner noch Online und mit regelmässigen Webinaren, in diesem Frühling ging es wieder mit einem persönlichen Sales-Blitz los. Dies haben wir im Hinblick auf die Wintersaison nun auch im Oktober geplant. Wir haben auch bereits drei Studienreisen organisiert und neue Marketing- und Werbe-Aktivitäten entwickelt, um Gäste ins Reisebüro zu bringen.

Wurde an der Kommissions-Schraube gedreht?

Für unsere Triest-Charteroperation und einige andere Produkte hatten wir diesen Sommer eine Bonus-Kommission von fünf Prozent lanciert, und wir weiten dieses Angebot nun flächendeckend auf sämtliche Winterbuchungen aus. Das bedeutet für ein Reisebüro mit einer Basiskommission von 12 Prozent, dass es nun auf 17 Prozent kommt.

(Interview: Beat Eichenberger)


Im 2. Teil des TRAVEL INSIDE-Interviews berichtet Sebastian Selke über Perspektiven der Cruise-Industry am Beispiel MSC Cruises. Dienstag, 5. Oktober 2021.