«Wo Expedition drauf steht, ist nicht immer Expedition drin»

Isolde Susset von Hapag-Llyod Cruises über den Boom der Expeditionskreuzfahrten. 
Expeditionskreuzfahrt mit Hanseatic Nature vor Cuverville Island. © Hapag-Lloyd Cruises/Denger

Isolde Susset ist das, was man salopp als ‘Urgestein’ im Bereich der Expeditionskreuzfahrten bezeichnen würde. Sie ist seit Anfang der 1990er Jahre bei Hapag-Lloyd-Cruises beschäftigt und formte die Entwicklung der Branche und des Unternehmens.

TRAVEL INSIDE hat sie an Bord der neuen Hanseatic Spirit über den Wandel im Feld der Expeditionsreisen befragt und was, ihrer Meinung nach, ihr Produkt Hapag-Lloyd ausmacht. 


Isolde Susset, Hapag-Lloyd Cruises
© TI

Isolde Susset, Sie haben die drei Schiffe mitkonzipiert. Wo und wie hebt sich die Hapag-Lloyd Cruises-Flotte ab von den Mitbewerbern? Was muss ein Reisebüro den Kunden sagen, weshalb sie Hapag-Lloyd Cruises buchen sollen?

Weil wir auf dem Expeditions-Markt in dieser Form und mit unseren drei Expeditions-Schiffen einzigartig sind. Das bedeutet: wir haben eine extrem hohe Anzahl an Aussenflächen, was unsere Schiffe auszeichnet. Wir haben einen richtig kreierten Schiffsumlauf, der jederzeit, ausser bei extremer Witterung, und bei An- und Ablegemanövern, genutzt werden kann. Wir bieten aber auch auf unseren Expeditionsneubauten diesen Spagat zwischen Expedition und einem Hotel- und Gastronomieservice.

Man hat an Bord einen bestimmten Komfortbereich, das mindert aber nicht die Aktivität und die Anlandungen. Wir haben ein grosses Expertenteam und haben gleichzeitig Restaurantplätze für alle Gäste auf dem Schiff. An Bord haben unsere Gäste die Wahl zwischen dem Hauptrestaurant, dem Spezialitätenrestaurant und dem sogenannte Lido-Restaurant mit Aussenbereich. Jeder Gast hat die Wahl zwischen Service-Restaurants mit À la carte Gastronomie und Buffetrestaurant. Wir haben einen immens grossen Spa- und Fitnessbereich und auch hier wurde wiederrum drauf geachtet, dass überall grosse Fensterflächen sind.

Unser Fokus lag nicht darauf, in erster Linie schnittig auszusehen, sondern z.B. auch durch die ‘bullige’ Form vorne sehr viel Fensterfläche und Aussenfläche zu schaffen. Das Terrassendeck am Bug ist stufenförmig und die Sicherheitsgläser der Aussenflächen sind hoch, so dass jeder mit einem guten Blick hierdurch fotografieren kann und entsprechend den vorgeschriebenen Sicherheitsvorgaben.

Also alles, was wir auch an ‘kleinen’ Erfahrungen hatten, ist hier mit eingeflossenen. Wir betreiben Expeditionskreuzfahrten intensiv seit 1992 und wir haben nahezu alle Destinationen schon einmal angefahren. Oftmals waren wir auf den Routen Pioniere und wir konnten uns immenses Wissen und Erfahrungen aneignen. Wir haben so viele gute Kollegen hier, die schon extrem lange Teil unseres Teams sind, und auch deren gesamte Expertise haben wir hier versucht reinzubringen. Ich habe im Expeditionsbereich im nächsten Jahr 30-jähriges Jubiläum!

Was hat es mit der Ocean Academy auf sich?

Die Ocean Academy wurde kreiert, weil wir einen Wissensplatz aufbauen wollten. Es gibt natürlich Vorträge, aber wir wollten etwas, das nicht identisch ist mit dem Vortrag. Dann läuft es in etwa so: ich bin im Amazonas, möchte aber etwas über Kamtschatka wissen. Es ist quasi ein Wissens-Atelier, wo man auch Lektoren treffen kann.

Und das entspricht auch den Bedürfnissen Ihrer Kundschaft? Wie sind da die Erfahrungen bisher?

Bisher ist es so, dass sich viele Gäste dafür interessieren und für jeden ist etwas dabei. Der eine möchte lieber hinausschauen, der andere möchte lieber mit Lektoren reden und der übernächste möchte gern jeden Vortrag hören und noch einer möchte gern Mikroskopieren. Für jeden ist etwas gegeben.

Was macht Ihr Angebot absolut einzigartig?

Die Breite unseres Expeditionsangebotes und die Erfahrung von den Menschen hier an Bord und an Land. Ich kann es nur nochmal sagen: die Kombination aus Hardware und Software, die wir hier haben. Wir haben eine aussergewöhnliche Routenführung, das ist eine Stärke, wo diverse Auszeichnungen für sprechen, dass das eine Besonderheit ist.

Und die klassischen Reiseveranstalter, das stört die nicht, dass sie so quasi das eigene Vollprogramm auf den Markt bringen?

Nein, die Reisebüros buchen schliesslich direkt bei uns. Im Expeditions-Bereich sind wir in extremen Gebieten unterwegs und sie müssen dann schauen, dass die Leute hinkommen über drei, vier Stationen. Dann braucht man lange Transfers, bis das alles klar ist. Deswegen bietet sich eine Kombination der Seereise mit An- und Abreisepaket an.Von einer europäischen Station in Deutschland, Österreich oder der Schweiz direkt bis zum Hafen.

Zum Teil geht es ja auch gar nicht anders, weil wir unseren eigenen Charter einsetzen müssen, weil es gar keine Linienverbindungen gibt. Wenn Sie zum Beispiel nach Kangerlussuaq in Grönland wollen, da kommt man sehr schwer hin. Wenn Sie Pech haben, fliegen Sie da über Montreal. Wir haben einen Charter von Hannover, der nach Kangerlussuaq geht.

Haben Sie sonst noch spektakuläre Sachen, die Sie gerade als Projekt in der Planung haben?

Ehrlich gesagt: in der aktuellen Lage immer wieder etwas zu schaffen, das ist schon ein Projekt an sich. Aber wenn Sie mich vor drei Jahren gefragt hätten, ob ich als Mission habe, den Bottnischen Meerbusen aufzunehmen, hätte ich auch nein gesagt. So nutzen wir diese Zeit eben auch für Neu-Entdeckungen. Wir sind da offen und man kann nie wissen.

Vielleicht gibt es doch das eine oder andere, das einem auf der Fahrt einfällt. Ich finde, im Bereich Russland und Ferner Osten gäbe es noch etwas, das wir hinbekommen können, aber diese Gebiete sind auch besonders herausfordernd mit Blick auf Genehmigungen.

Der Markt explodiert derzeit an Neubauschiffen. Denken Sie, dass sich Angebot und Nachfrage halten können? Oder kommt es irgendwann zu einer Preisschlacht?

Ich denke nicht. Es werden auch gleichzeitig einige Schiffe ausser Dienst gestellt. Und wo Expedition draufsteht, ist nicht immer Expedition drin. Es hat auch viel mit der Schiffsgrösse, mit einer Eisklasse und mit der Erfahrung zu tun. Und ich denke, vor allem am deutschsprachigen Markt sind wir mit unserem Expertentum sehr gut aufgestellt.

Stichwort deutschsprachiger Markt: Sie sind auf diesen Markt fokussiert, aber andere Mitbewerber sind viel internationaler. Das ist für Sie kein Thema?

Unser Hauptmarkt aktuell ist der deutschsprachige Markt und die Inspiration fährt deutsch- und englischsprachig auch für internationale Märkte ausserhalb der pandemiebedingten Einschränkungen. Aber es gibt auch einen bestimmten Wissensanspruch bei den Gästen und wenn sie Expertenvorträge hören in Geologie und Biologie versteht das nicht jeder auf Englisch. Das ist im Expeditionsbereich einer unserer Vorteile. Auf der Inspiration gibt es diese natürlich sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch, aber bestimmte Vorträge sind eben schwierig zu verstehen, wenn es nicht in der Muttersprache ist.

Wie beurteilen Sie denn die Situation im Bereich Over-Tourism?

Wir sind ja auf Expeditionsrouten in der Regel abseits bekannter Pfade unterwegs. In der Antarktis ist es zum Beispiel geregelt und es dürfen nur 100 Personen gleichzeitig an Land und man hat nur maximal 3 Stunden. Damit reguliert sich einiges und das ist richtig so. Es gibt auch Orte in der Antarktis, wo 300 Leute an Land dürfen, aber wir fahren gezielt mit 199 Passagieren, damit man mehr Anlandungen in der Antarktis machen kann und man bekommt auch Slots von der IAATO zugewiesen.

Aber ja, rein faktisch sind heute mehr Schiffe da als vor dreissig Jahren und auch grössere Schiffe. Natürlich hat sich das geändert, aber die IAATO hat da Gott sei Dank richtige Regeln eingeführt, welches Schiff wo hin darf zu welcher Zeit.

Eine Besonderheit für unsere Gäste ist, dass wir mit einem Schiff die Semi-Circumnavigation fahren und somit ein Angebot an die Gäste anbieten können, dass viele andere nicht machen können. Mit unserer Eisklasse können wir zu bestimmten Zeiten sogar bis in die Wedell-See. Das können auch nicht alle, da haben wir andere Möglichkeiten.

Wo sehen Sie bei Ihren Expeditionskreuzfahrten die Grenzen im Bereich Nachhaltigkeit? Die Kreuzfahrschiffe leiden da ja ein bisschen unter diesen Vorurteilen.

Wenn ich sehe, was wir alles machen… Wir haben ganz früh angefangen und haben nur Marinegasöl in den Expeditionsgebieten genommen. Da wo wir fahren, können wir dies überall aufnehmen, ich wüsste nicht, wo man das nicht bekommt. Schon seit Jahrzehnten setzen wir diesen Treibstoff in den polaren Regionen ein – immer ab dem 60. Breitengrad. Das war unsere Verantwortung. Und seit letztem Jahr fährt unsere gesamte Flotte weltweit ausschliesslich mit dem schwefelarmen Marinegasöl 0,1%.

Wir haben auch gesagt, wir nehmen bewusst nur kleine Schiffe in die Antarktis mit 199 Gästen. Unsere Experten sind auch wirklich Experten von der Erfahrung her. Unsere Amenities sind biologisch abbaubar – Sie werden hier kein Plastik finden. Wir produzieren unser eigenes Wasser. Wir haben viele Kleinigkeiten, wo wir unseren Teil zu Nachhaltigkeit beitragen wollen.

Und der Landstrom ist abhängig vom Angebot?

Ja. Wir haben es, weil wichtig ist, entsprechend vorbereitet zu sein. Aber zu sagen, wir fahren nur noch dort hin, wo es Landstrom gibt, können wir nicht. Da sind die Grenzen.

(Interview: Angelo Heuberger)


Im 2. Teil eines TRAVEL INSIDE Interview gibt Isolde Susset einen Einblick in ihren Job als Leiterin Touristik bei Hapag-Lloyd Cruises. Mittwoch, 1.9.2021.