
In den Jahren vor Corona lancierten asiatische Reedereien wie die inzwischen verblichene Star Cruises oder westliche Reedereien wie Costa China als neue und vielversprechende Kreuzfahrt-Destination. Auf Cruise-Routen angelaufene chinesische Destinationen (oder Starthäfen) wie Hongkong, Shanghai, Tianjin (Beijing) oder Xiamen trafen den Nerv der Zeit.
Für internationale Gäste boten China-Kreuzfahrten Schnupper-Einblicke in eine faszinierende Welt und Kultur, die chinesische Mittel- und Oberschicht ihrerseits entdeckte Seereisen ab ihren Heimathäfen in fernöstlichen und südostasiatischen Gewässern als neue Reiseerfahrung.
Dem sich abzeichnenden Boom machte Corona den Garaus. China schottete sich ab 2020 jahrelang von der Aussenwelt ab und das Cruise-Business kam – sowohl im internationalen Markt als Reiseziel wie im nationalen Quellmarkt – zum Erliegen. Zahlen der CLIA belegen den massivsten Taucher, den Corona einem Cruise-Markt bescherte: Kam China 2019 auf 1,9 Millionen Cruise-Pax, brach diese Zahl 2023 auf 156’900 Pax ein – ein Rückgang um unglaubliche 92 Prozent.
Erst nach und nach öffnete sich China wieder für Auslandsreisen ihrer Bevölkerung. So waren ab 2023 erneut Kreuzfahrten nach Südkorea und Japan möglich, während im Frühling 2024 die Visa-Vorschriften für ausländische Besucher gelockert wurden. Die Bürger mehrerer europäischer Länder, darunter auch die Schweiz, konnten nun für 15 Tage ohne Visum nach China einreisen.
Dies galt dann bald generell für Einreisende, die auf ein Kreuzfahrtschiff in einem chinesischen Hafen eincheckten. Hier ein kurzer Überblick, wie einerseits der Domestik-Markt und andererseits die Cruise-Destination China in den letzten Jahren wieder Fuss fasste.
2021 – Visionäres Vorpreschen von Viking
Für eine erste Beachtung sorgte bereits 2021, noch mitten in den Corona-Einschränkungen, das vorausblickende Joint-Venture der US-internationalen Reederei Ocean Viking Cruises mit China Merchants.
In die neu formierte China Merchants Viking Cruises wurde das Schiff Viking Sun eingebracht, das in Zhao Shang Yi Dun (oder für den internationalen Markt kurz Viking Yi Dun) umbenannt wurde und ab Herbst 2021 erste Domestik-Kreuzfahrten entlang der Heimküsten für den chinesischen Markt und später auch nach Südkorea und Japan anbot. Seit 2024 werden Kreuzfahrten mit der Viking Yi Dun auch für internationale Gäste aufgelegt.
2023 – Das Domestik-Comeback
Erst 2023 kam tatsächlich Bewegung in den (vorerst nur einheimischen) Cruise-Markt. Die neue Reederei Blue Dream Cruises startete im Mai 2023 mit der Blue Dream Star (ex-Celestyal Odyssey) und legte damit Domestik-Routen ab Shanghai auf. Blue Dream Cruises war danach auch einer der ersten Anbieter, der die frei gegebene internationale Route für chinesische Gäste nach Südkorea und Japan anbot.
Im Frühling 2024 sorgte Blue Dream Cruises in unseren Breitengraden mit der Übernahme der vormaligen Aida Vita für Beachtung. Das Schiff legt inzwischen als Blue Dream Melody ab chinesischen Häfen Kreuzfahrten in der Region auf.
Bald entwickelte sich der chinesische Markt weiter: Ein anderer interessanter Anbieter ist Tianjin Orient International Cruise Line, der 2023 die vormalige Sea Princess übernahm, in Dream umbenannte und seither damit sowohl Domestik- wie weiterführende Fahrten auflegt. Astro Ocean Cruises kaufte noch vor Corona die einstige Oriana, die nun als Piano Land vor allem für den chinesischen Markt im Einsatz ist.
Und 2024 formierten verschiedene Partner die Holding Huaxia International Cruises, deren Bedeutung und Absichten derzeit noch schwierig einzuschätzen sind. Ein Merkmal des chinesischen Heimmarktes: Es geht hier vor allem um Kurz-Kreuzfahrten, denn der gesetzliche jährliche Ferienanspruch chinesischer Arbeitnehmenden bewegt sich je nach Dauer des Arbeitsverhältnisses zwischen fünf und zehn Tagen.
Der wohl spannendste Namen in diesem Zusammenhang ist Adora Cruises, ein Joint Venture der China State Shipbuilding Corporation (CSSC) und Carnival Corporation. Adora Cruises startete ihre Aktivitäten 2023 mit der einstigen Costa Mediterranean (heute Adora Mediterranean) und Domestik-Fahrten.
Bereits 2021 wurde aber auf der staatlichen Waigaoqiao-Werft in Shanghai in Kooperation mit der italienischen Fincantieri-Werft der Bau des grössten je in China erstellten Kreuzfahrtschiffes in Auftrag gegeben. Die Adora Magic City entstand auf der Basis der Vista-Klasse von Carnival (135’000 BRZ, Carnival Vista, Horizon und Panorama sowie Costa Venezia und Firenze – seit 2024 Carnival Venezia und Carnival Firenze), die Fincantieri zwischen 2016 und 2020 ablieferte.
Seit Anfang Jahr ist die neue Adora Magic City nun ab Shanghai im Einsatz, ein Schwesterschiff steht im Bau. Die etwas grössere Adora Flora City soll Ende 2026 ausgeliefert werden und danach ab dem Basishafen Guangzhou zum Einsatz kommen.
2024 – Das internationale Comeback
Die gelockerten Visa-Bestimmungen für Besucher befeuerten 2024 schliesslich das China-Comeback internationaler Reedereien. Als erster internationaler Kreuzfahrt-Anbieter legte MSC Cruises nach der Pandemie mit der MSC Bellissima im letzten Sommer wieder Kreuzfahrten ab dem chinesischen Festland auf.
In diesem Winter ist nun bis April 2025 die MSC Splendida ab Shenzhen und Xiamen unterwegs, während die MSC Bellissima im Januar 2025 nach verschiedenen Asien-Fahrten in ihren Heimathafen Shanghai zurückkehrte und von dort aus Kreuzfahrten auflegt. Auch Royal Caribbean kehrte 2024 umgehend nach China zurück und bietet seither mit der Spectrum of the Seas ab Shanghai Kreuzfahrtenn in der Region auf.
Und Viking Cruises konnte sich – wie erwähnt – mit der Viking Yi Dun dem internationalen Markt öffnen. Gleichzeitig nahmen erneut erste internationale Schiffe auf Asien- und Fernost-Törns chinesische Anlaufhäfen ins Programm auf.
Inzwischen hat sich die Zahl von Kreuzfahrten mit China-Anläufen internationaler Reedereien wieder massiv erhöht – kaum ein relevanter Anbieter, der nicht mal das Reich der Mitte besucht. Die Liste der geplanten Anläufe 2025 in Shanghai zum Beispiel reicht von Oceania über Hapag-Lloyd Cruises, Silversea oder Regent Seven Seas Cruises bis Aida und TUI Cruises. Weitere China-Routen haben etwa auch Costa, Norwegian Cruise Line, Holland America Line, Carnival Cruise Line, Princess Cruises, Celebrity Cruises, Azamara, Seabourn oder Cunard im Angebot.
Während die auf ein internationales Publikum ausgerichteten China-Kreuzfahrten internationaler Reedereien wieder zurück sind, ist die Cruise-Industrie natürlich auf die weitere Entwicklung des chinesischen Heimmarktes gespannt.
Können chinesische Reedereien oder Joint-Ventures wie Adora Cruises einen neuen Boom befeuern, oder werden westliche Reedereien mit weiteren Kooperationen oder speziell auf den Markt China ausgerichteten Schiffen den Markt stärken? Denn das Potenzial wäre bei einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen ohne Zweifel riesig.
Der seit Jahren stärkste Cruise-Markt USA mit 346 Millionen Menschen generierte 2023 16,9 Millionen Kreuzfahrt-Pax, was 4,9 Prozent entspricht. Entwickelt sich der Cruise-Markt in China mit den Jahren ähnlich, so beträgt das Potenzial 69 Millionen chinesische Cruise-Pax. Das dürfte natürlich langfristig in den Cruise-Chefetagen Fantasien wecken.
Beat Eichenberger