
Im Nachgang zu den Mitteilungen seitens Migros, Dertour und Hotelplan erhielt die Redaktion von TRAVEL INSIDE am Donnerstag, 13. Februar einen 20-Minuten Slot.
Anwesend waren Dr. Ingo Burmester (CEO Central Europe und Mitglied des Executive Boards der Dertour Group), Stephanie Schulze zur Wiesch (CEO Dertour Suisse) und Laura Meyer (CEO Hotelplan Group).
Nachstehend die Fragen und Antworten aus dem Gespräch in voller Länge, die sowohl seitens Dertour und Hotelplan abgesegnet worden sind.
Herr Burmester (IB), weshalb und mit welcher Motivation kauft Dertour die Nummer 1 in der Schweizer Reisebranche, was sind Sinn und Zweck?
IB: Hauptsinn und Zweck ist, dass wir gemeinsam profitabel wachsen wollen. Hintergrund ist natürlich, dass wir überzeugt davon sind, dass Hotelplan mit ihren Marken, ihren Mitarbeitern und ihrem Reisebranchen-Netzwerk eine hervorragende Ergänzung zu unserem Angebot heute ist.
Sie besitzen mit Kuoni bereits die Nummer 2 und jetzt kaufen Sie noch die Nummer 1…
IB: Die ergänzen sich hervorragend. Wir haben eine tolle Expertise bei den Spezialisten und haben viele Ähnlichkeiten auch beim Wertegerüst. Wir teilen zum Beispiel Nachhaltigkeit miteinander als Wert, und starke Kundenzentrierung. Auf der einen Seite haben wir ein nahezu identisches Wertegerüst und auf der anderen Seite haben wir eine sehr gute Marke und auch eine sehr gute Produktion.
Binnen welcher Zeit kann die Branche mit Veränderungen auf beiden Seiten rechnen?
IB: Wir haben erst gestern Abend um 17.30 Uhr das Signing gehabt. Dann beginnt ja üblicherweise noch die Phase bis zum Closing eines solchen Deals. Der Vollzug steht momentan noch unter einem Vorbehalt unter anderem der Kartellbehörden. Und diesen Zeitpunkt müssen wir einfach abwarten. Wichtig ist, dass sich für Kundinnen und Kunden sowie Vertriebspartner nichts ändert.
Rechnen Sie mit Schwierigkeiten von den Kartellbehörden?
IB: Gegenüber dem Air BNB-und Booking-Portfolio beispielsweise repräsentiert der Veranstaltermarkt nur einen vergleichsweise kleinen Anteil des gesamten Reisermarktes.
In welchen Bereichen sehen Sie Synergien für diese zwei Unternehmen?
IB: Ein grosser Teil des Erfolges als Veranstalter und auch im Vertrieb hängt heute an der Systemlandschaft. Und wir haben an zwei unterschiedlichen Stellen jeweils investiert. Die Hotelplan-Gruppe hat viel in digitale Lösungen investiert.
Wir haben mit der Data Group intensiv in eine Renovation des technischen IT-Systems investiert, das ist ATCOM. Damit haben wir eine hervorragende Basis für unsere Wachstum in den letzten 4-5 Jahren mit der Data Group gelegt.
Das sind aber zwei unterschiedliche Welten.
IB: Das kommt darauf an. Die digitalen Lösungen sind ein Teil, den wir vielleicht auch nutzbar machen und viel davon lernen können. Auf der anderen Seite wollen wir die technologische Basis, die wir entwickelt haben, auch für die Hotelplan Group nutzbar machen.
1 und 1 ergibt bekanntlich nicht 2 – mit welchem prozentualen Überschneidungsverlust rechnen Sie?
IB: Wir wollen gemeinsam profitabel wachsen. Und diese Botschaft, dieses Ziel, ist auch erreichbar. Ich glaube sogar, dass durchaus ein Gesamtwachstum entstehen kann – dadurch, dass sich unser Hotelportfolio, unser individuelles Wissen, die Produktportfolios und die neuen Marken ergänzen.
Das haben beide Unternehmen in der jungen Vergangenheit bereits gezeigt, es sind ja beide individuell gewachsen. Die Hotelplan Group, wie auch wir bei Dertour, haben in den letzten beiden aufeinanderfolgenden Jahren beim Umsatz Rekordergebnisse realisiert. Solange das möglich ist, sind wir überzeugt, dass der Schweizer Markt noch viel Potenzial für weiteres Wachstum vorhält.
Wie viel Potenzial sehen Sie da konkret?
IB: Es ist verfrüht, heute darüber zu spekulieren. Wir müssen erstmal das Closing abwarten und dann ist die Zeit, um uns Ziele zu setzen.
Die FTI hatte in der Schweiz nicht so einen grossen Einfluss gehabt wie die FTI in Deutschland. In Deutschland wachsen Sie ja vor allem wegen den FTI-Anteilen.
IB: Das ist nicht ganz richtig. Nur mal zur Erinnerung. Wir hatten ein hohes zweistelliges Wachstum bereits vor der FTI-Insolvenz. Wir hatten zwei wesentliche Wachstumsmotoren: Der erste war die Technologie, die wir eingeführt haben. Ein weiterer war die Stärke unserer eigenen Reisebüros und der Partnerbüros.
Ist Ihnen dieser Markt so viel wert, dass Sie jetzt den Marktleader gekauft haben?
IB: Wir glauben fest an den Schweizer Markt als Wachstums- und Entwicklungsfeld. Wir haben ja eine relativ gute Einsicht in den Schweizer Markt über Steffis Aktivitäten mit den Kuoni Marken. Und vor diesem Hintergrund sind wir fest überzeugt, dass es genau der richtige Schritt ist, genau das zu tun.
Stephanie Schulze zur Wiesch (SZW): Ich habe noch eine Ergänzung dazu: Die Rewe ist ja unsere gemeinsame Mutter, welche die Finanzierung sichert. Dies ist ja nicht ihre erste Akquisition im Schweizer Markt, sondern jene in 2015 mit dem Kuoni-Reisegeschäft. Und jetzt folgt die zweite Investition. Das heisst, das Kommittent unserer Muttergesellschaft für den Schweizer Markt ist wahnsinnig hoch. Und wir alle glauben fest an weiteres Potential in diesem Schweizer Markt.
IB: Steffi konnte mit ihrem Team natürlich auch zeigen, dass eine sehr ordentliche Profitabilität und ein sehr ordentliches Wachstum möglich ist.
Das war aber nach der Pandemie praktisch bei jedem so.
IB: Ja, sowohl profitabilitäts- als auch umsatzmässig. Auch das technologische System – also unser Systemwechsel – hat dabei enorm geholfen.
Aber da hatten sie ja auch einen riesigen Nachholbedarf bei den IT-Systemen bei Dertour.
IB: Ja, hatten wir, gebe ich auch ganz offen zu. Aber das hat dann sehr viel bewegt. Das Wachstum, das wir erreicht haben, fusst auf drei grossen Säulen: Erster Punkt das System. Zweiter Punkt: die Produkterweiterung, die wir durchgeführt haben. Dritter Punkt: die starke Verbindung zu den Reisebüros, die wir genutzt haben. Und in der Schweiz ziehen wir diese drei Hebel auch mit ganz grosser Kraft.
Aber was genau ist die Zielsetzung – Das waren ja bislang zwei kräftige Mitbewerber, bleibt das so oder wie stellen Sie sich das vor?
IB: Wir haben ja zwei Unternehmen mit einem ähnlichen Wertesystem, aber sehr unterschiedlichen Stärken. Die Stärken passen, wenn sie sich ergänzen, hervorragend zueinander. Auch die Marken passen: Helvetic, Hotelplan, Kuoni. Das ist eine sehr gute, gesamthafte Abdeckung der Kundenbedürfnisse, ebenso bei den Spezialisten.
Travelhouse mit einem starken Zielgebietsschwerpunkt in den unterschiedlichen Destinationen. Zum Beispiel Nordamerika bieten wir bei Kuoni – Stand heute – gar nicht als Spezialisten Angebot an, Australien genauso wenig. Und dafür ist zum Beispiel Manta Reisen bei Kuoni ein Zielgruppenspezialist, der Tauchreisen explizit anbietet.
Das heisst: Sowohl markentechnisch, als auch bei den Portfolien der Spezialisten ergänzen sich unsere Stärken. Wir haben das sehr sorgsam geprüft und dabei hat sich eben herausgestellt, dass das Wertesystem passt und dass die Produkte und die Marken sich hervorragend ergänzen.
Und was machen Sie mit der Marke Migros Ferien?
IB: Die wird weitergeführt und da freuen wir uns auch sehr drauf. Kundinnen und Kunden können wie gewohnt weiterhin Cumulus-Punkte sammeln.
Und das beisst sich nicht mit ITS Coop?
IB: Nein, wir haben mit ITS Coop andere Kunden, die wir über Coop ansprechen. Wir können die beiden verschiedenen Geschäftsmodelle, die unterschiedlich ticken, mit unterschiedlichen Kundengruppen und unterschiedlichen Reiseformen sehr gut nebeneinander betreiben.
Worin besteht bei der Marke Travelhouse die Ergänzung zu den Kuoni Spezialisten?
SZW: Wir haben zwei kerngesunde Unternehmen mit Marken und Zielgruppen, die sich hervorragend ergänzen und die unterschiedliche Zielgruppen und Gäste ansprechen. Und diese Gäste und Zielgruppen, die wollen wir auch weiter mit genau den gleichen etablierten Marken bedienen. Wir stellen die Marken nicht in Frage und wir stellen auch die unterschiedlichen Kundengruppen nicht in Frage.
Aber wer entscheidet künftig genau, was bei Kuoni läuft und wer entscheidet, was bei Hotelplan läuft, wie gehen Sie mit Überschneidungen um?
IB: Ich verdeutliche das gerne mit einem Beispiel: Wir haben heute beispielsweise eine Produktlinie für die Malediven, mit der wir unterschiedliche Zielgruppen ansprechen. Daher ist sie bei der Dertour Suisse an drei Stellen im Verkauf: Wir bieten Malediven-Reisen bei Helvetic Tours, bei Kuoni und bei Manta Reisen an.
Die Produktlinie wird dazu jeweils ausdifferenziert – mit spezifischen Unterschieden für die jeweilige Zielgruppe. Wir stellen fest, dass dies sehr gut funktioniert.
Und jetzt kommt noch Hotelplan dazu.
IB: Genau. Aber wir haben festgestellt, dass wir zum Beispiel Australien oder Nordamerika überhaupt nicht abdecken im Spezialisten Bereich. Und das macht Hotelplan heute hervorragend mit kundenspezifisch individuellen Angebote für eine Australien- und Nordamerika-Rundreise . Die Ergänzung ist hervorragend.
In den Bereichen, in denen wir im Angebot Überschneidungen haben, gibt es diese heute schon. Durch den Zuschnitt der Angebote auf die spezifischen Zielgruppen ist dies kein Problem.
Das heisst, die Überschneidung, die Wettbewerbssituation, bleibt bestehen?
IB: Es ist verfrüht, dazu jetzt eine detaillierte Auskunft zu geben. Was wichtig ist: Die Marken bleiben erhalten.
Das ist aber die entscheidende Frage in der Branche.
IB: Das kann sein, aber wir müssen erstmal das Closing abwarten. Ich sage nur, es gibt kein Verbot von Überschneidungen. Natürlich nicht, denn wir erlauben es ja heute schon in unserem eigenen Portfolio und stellen fest, dass es mit entsprechenden Ausdifferenzierungen – je nach Zielgruppe – gut ist für den Kunden.
Laura Meyer (LM): In der Zielgruppe gibt es keine Überschneidung, aber es gibt Produkte, die verschiedene Zielgruppen ansprechen, in denen ihr bei Dertour verschiedene Brands habt. So könnt ihr mit einer Produktlinie verschiedene abschöpfen, also insofern keine Überschneidungen.
Alle haben im Vertrieb einen Direktkanal, einen Onlinevertrieb, einen Filialvertrieb, aber auch einen Fremdagentenvertrieb. Die Branche macht sich Sorgen, dass jetzt diese unterschiedlichen Wettbewerbspartner miteinander kooperieren und sich miteinander absprechen. Die einen Fremdagenten wissen jetzt, was die anderen Fremdagenten für Konditionen haben und umgekehrt.
SZW: Nein, wissen wir nicht, weil wir uns ja tatsächlich noch wie Wettbewerber verhalten. Auch wenn dann das Closing vollzogen ist, ist es ähnlich wie bei den Tour Operator Marken. Auch die Vertriebsmarken, :Kuoni und Hotelplan, die bleiben bestehen.
Also die Filialen werden nicht umfirmiert?
SZW: Nein. Die Vertriebsmarken bleiben definitiv erhalten und ich glaube fest an Marken. Marken haben ein bestimmtes Produktangebot, ein Serviceangebot und so weiter. Da differenzieren sich heute Kuoni und Hotelplan tatsächlich und haben auch jeweils ihre ‘Fans’ – ihre Stammkunden. Und die werden wir aufrechterhalten und weiter bedienen.
Und das bedeutet auch: in der Zusammenarbeit mit den Agenten setzen wir die Zusammenarbeit wie gewohnt fort. Ganz konkret am Beispiel von Kommissionsmodellen, das sind ja auch Themen, die dann die Agenten hinterfragen werden. Es gibt bestehende Kommissionsmodelle. Es gibt Verträge und die behalten ihre Gültigkeit.
Auch für Buchungen über 2025 hinaus?
SZW: Absolut, die behalten ihre Gültigkeit.
LM: Die Saison 24-25 läuft normal weiter und selbstverständlich gelten auch die bereits für 25/26 kommunizierten Kommissionssätze. Wir nehmen natürlich jetzt auch schon Buchungen fürs nächste Geschäftsjahr entgegen.
Wie läuft das Business bei Hotelplan Suisse stand jetzt?
LM: Sehr gut. Speziell, wenn wir berücksichtigen, was wir für ein Jahr gehabt haben. Wir hatten ein Jahr lang Unsicherheit. Jede Woche Berichterstattung, teilweise Spekulation, die nicht förderlich ist und auch nicht immer wahr war.
Dass wir uns in so einem Jahr als Gruppe mit Wachstum entwickeln konnten, und auch in der Schweiz abgesehen von Rundungsdifferenzen auf hohem Niveau stabil geblieben sind, zeigt, wie grossartig unsere Leute das gemacht haben. Ich bin enorm dankbar. Wenn man die Umstände mitberücksichtigt, sind wir sehr gut unterwegs.
IB: Ich bin wirklich tief beeindruckt, sowohl mit welcher Kraft im Eigenvertrieb, also in den Filialen, weiter das Geschäft gemacht wird, aber auch in der Produktion. Unglaublich, mit welcher Kraft weitergearbeitet worden ist und sowohl ergebnisseitig als auch umsatzseitig so ein Erfolg erzielt werden konnte.
Was mir persönlich sehr wichtig ist, dass diese künftigen Sitzungen – nach dem Closing – als Sitzungen auf Augenhöhe stattfinden. Und ich habe das schon gesehen – das ist ja eine tolle Stimmung hier. Ich bin heute Morgen zum ersten Mal in dieses Gebäude (Hotelplan Hauptsitz) gekommen und bin wirklich begeistert, mit welcher Passion, Motivation und Professionalität wir auch ein ganz warmes Willkommen hatten.
Und wir haben uns eben im Management erst kurz kennengelernt, beim Lunch. Da hat Laura mit ihrem Team wirklich eine ganz tolle Arbeit geleistet. Man merkt, dass es Freude macht, hier zu arbeiten – das ist eine ganz wichtige Basis.
Apropos Team, wie ist die Stimmung bei Hotelplan nach dem Entscheid – gerade auch an der Basis?
LM: Wir spüren sehr, sehr grosse Erleichterung, dass wir endlich Klarheit haben, wo es hingeht und auch zu wissen, was die Pläne der Dertour sind. Die Pläne stehen für Kontinuität und gemeinsames Wachstum.
Kennen Sie mehr detailliertere Pläne?
LM: Ich kenne das, was wir heute besprochen haben. Bis gestern Abend hatten wir noch kein Signing. Erst nach dem Closing können wir effektiv im Detail zusammenarbeiten auf der Business-Ebene. Aber mit der Bekanntgabe dieser Pläne waren sicher einige erleichtert.
Laura Meyer, dürfen wir noch eine unangenehme Frage stellen – wie schätzen Sie ihre persönliche Zukunft ein, braucht es noch einen Group CEO bei Hotelplan?
LM: Wie das Hotelplan-Management aussehen wird, wird zu einem späteren Zeitpunkt kommuniziert. Aber was sicher ist – und da spreche ich für die ganze Konzernleitung – unser voller Fokus liegt jetzt auf der Closing-Phase und darauf, das Geschäft weiterhin erfolgreich weiterzuführen.
Wie lange rechnen Sie mit der Closing-Phase?
LM: Wir können keine Zeitangabe machen, weil das von den Behörden abhängt.
Stephanie Schulze zur Wiesch, wie war denn die Wahrnehmung bei den Kuoni-Leuten?
SZW: Genauso. Die Kuoni-Mitarbeitenden sind ja schon bekannt in der Branche mit den Hotelplan-Kollegen. Und auf unserer Seite bei der Belegschaft war auch Erleichterung, dass es jetzt endlich klar ist. Und die Katze aus dem Sack ist – vorbehaltlich dessen, was jetzt die Behörden entscheiden.
Und beide rapportieren jetzt separat an Herr Burmester?
LM: Nein, ich rapportiere nach wie vor an den von der Migros bestellten VRP. Das bleibt bis zum Closing so. Und wie es nachher aussieht, das ist noch nicht bestimmt.
Interview: Angelo Heuberger, Christoph Fontanive