Die «neue Normalität» auf Hochsee

Hapag-Lloyd Cruises präsentierte auf einer kurzen Pre-Cruise mit der Europa 2 ihr ausgeklügeltes Hygiene- und Sicherheitskonzept. Erste Erfahrungen und Hintergründe dazu in fünf Etappen.
Blicken positiv in die Zukunft: Carsten Sühring, Leiter Vertrieb Hapag-Lloyd Cruises und Marlies Suhner, Verkaufsleiterin Schweiz. © Beat Eichenberger

Als die Europa 2 am Donnerstag, 30. Juli um 19 Uhr nach monatelangem Stillstand als erstes Schiff der Flotte von Hapag-Lloyd Cruises mit Gästen vom Cruise Center Baakenhöft in Hamburg ablegt, kullert da und dort eine Träne: «Endlich geht es wieder los!», atmen die Crew-Mitglieder auf. Aber auch für die Vertriebspartner ist es ein emotionaler Moment, können sie doch auf dieser kurzen Pre-Cruise in die Nordsee mit Panoramafahrt vor Helgoland als erste nach der Corona-Pause persönlich das «neue Normal» auf einem Hochseeschiff erfahren.

1. Etappe: Dramatisches Vorspiel

«Spätestens als Ende Februar 2020 kurzfristig die ITB Berlin abgesagt wurde, war auf einen Schlag allen klar, dass da etwas auf uns zukommt, was es in dieser Art noch nie gab», blickt Carsten Sühring, Vertriebsleiter Hapag-Lloyd Cruises, während einer der Sessions unterwegs kurz zurück. Annullationen und Umbuchungen bestimmten die folgenden Wochen, dann wurden alle Schiffe bis Anfang Mai zurück «nach Hause» nach Hamburg gebracht, wo sie seither auflagen. «Über 60 Reisen mussten wir bisher absagen, weitere könnten folgen – es ist jedes Mal ein Stich ins Herz», ergänzt Karl J. Pojer, Vorsitzender der Geschäftsleitung.

Während des Stillstands wurden alle Schiffe einer umfassenden Generalreinigung und Desinfektion unterzogen. Die Zeit wurde ebenso genutzt, um den Landstrom-Anschluss der Europa 2 zu zertifizieren, «und inzwischen wurde auch die ganze Flotte wie geplant auf Marine Gasöl umgestellt», ruft Sühring in Erinnerung. In Rumänien fand der erste Kontakt des Neubaus Hanseatic Spirit mit dem Element Wasser statt, bald schon geht es auf die Vard-Werft in Norwegen zum Innenausbau. Sie soll wie vorgesehen im Sommer 2021 ihren Dienst als «adult-only»-Schiff aufnehmen.

Und hinter den Kulissen wird nach dem Einstieg der Royal Caribbean Group bei Hapag-Lloyd Cruises die Verschmelzung von TUI Cruises und HLC vorwärtsgetrieben – «dies hat aber keinerlei Einfluss auf die DNA von Hapag-Lloyd Cruises noch auf den Vertrieb», unterstreicht Sühring. Vor allem aber: Am Headoffice befasst man sich umgehend mit möglichen Zukunftsszenarien und beginnt erste Restart-Möglichkeiten zu evaluieren.

2. Etappe: Koordinierte Konzept-Entwicklung

«Im Laufe der Pandemie zeigte sich rasch, dass ein wunder Punkt die grösseren Menschenansammlungen sind», weist Sühring auf eine grundlegende Krux für Kreuzfahrtschiffe hin. Hier sei Hapag-Lloyd Cruises mit ihren kleineren Einheiten und bereits unter «normalen Umständen» sehr grosszügigen Platzverhältnissen (space ratio Hochseeschiffe zwischen 70 und 80, Expeditionsschiffe 67) im Vorteil – das Risiko von «Rudelbildungen» an Bord sei eh gering. Für den Restart wurde zudem vorläufig eine maximale Auslastung der Schiffe von 60 Prozent beschlossen. Das heisst für die Europa 2 300 statt 500 Pax, für die Europa 230 statt 400 Pax und für die beiden Expeditionsschiffe Hanseatic Nature und Inspiration 150 statt 230 Pax. «Mit dieser Auslastung können wir auch wirtschaftlich arbeiten», ergänzt Pojer.

Bei der Ausarbeitung eines Hygienekonzeptes stand natürlich die grösstmögliche Sicherheit für Passagiere wie Crew im Vordergrund. «Ein optimaler Schutz für jedermann bei möglichst wenig Abstrichen am erholsamen Cruise-Erlebnis für die Gäste», formuliert es Sühring. Zudem stand man als führende Luxus-Reederei unter besonderer Erwartungshaltung, auch in dieser Beziehung Standards zu setzen.

«Die Entwicklung des Konzepts war ein langwieriger und aufwendiger Prozess, der in vielen Einzelschritten und Kontakten mit verschiedenen Behörden und Stellen ablief», erzählt Pojer. Berücksichtigt wurden bereits ausgearbeitete Leitlinien zum Beispiel der EU oder der Hotellerie an Land, Forderungen und Inputs von Hafen- und Gesundheitsbehörden, Virologen oder des Robert-Koch-Instituts. «Eine Vielzahl von Meinungen, Erfahrungen und Sichtweisen, die wir alle einbauen mussten», so Pojer. Speziell ist dabei, dass die Ausarbeitung der Konzepte unter der Koordination von Clia Deutschland (Chairman ist Karl Pojer) durch die drei grossen deutschen Reedereien Aida, TUI Cruises und Hapag-Lloyd Cruises gemeinsam erfolgte.

Dass deutsche Reedereien nun wieder sachte in See stechen, zeugt von der Durchschlagskraft des gemeinsamen Vorgehens und äussert sich in der Akzeptanz der getroffenen Massnahmen durch Behörden und Hafenämter. Bei Hapag-Lloyd Cruises gilt nun ein 10-Punkte-Plan, der den Restart ermöglicht.

3. Etappe: Das «neue Normal»

Bereits beim Check-in im Cruise Center Baakenhöft wird rasch klar, dass sich etwas verändert hat: Um grössere Ansammlungen zu vermeiden, erfolgt die Einschiffung in drei vorgegebenen Zeitfenstern. Mit Maske und stets einem Abstand von 1,5 Metern gibt man das ausgefüllte Gesundheitsformular ab, werden die Hände desinfiziert, die Temperatur gemessen und eingecheckt. Maske auf gilt auch stets an Bord wenn man in Bewegung ist, nicht aber am Tisch, im Theater am Platz, an Deck und überall dort, wo mehr als 1.5 Meter Platz vorhanden ist. Und natürlich auch nicht in der Suite, wo Butlerin Larissa wie üblich gleich einen Welcome-Champagner und Kaviar-Häppchen serviert.

«Grundsätzlich gilt an Bord – wie ja auch fast überall an Land – das System AHA: Abstand, Hygiene und Alltagsmaske», bringt Gabi Haupt, Produkt Managerin der Europa und zusätzlich für das Corona-Konzept von HLC verantwortlich, die Massnahmen auf den Punkt. Für die Crew gilt natürlich jederzeit Maskenpflicht und das Tragen von Hygiene-Handschuhen. Die meisten Gästekontakter arbeiten aber mit einem Schutzschild, der die Mimik und das Lächeln sichtbar macht. «Alle Crew-Mitglieder wurden getestet, verbrachten eine Woche an Bord in Quarantäne, wurden nochmals getestet und nahmen erst dann Schulung und Arbeit auf», erläutert Gabi Haupt. Tägliches Messen der Temperatur gehört nicht nur für die Crew dazu, sondern auch für die Passagiere während eines vorgegebenen Zeitfensters. Und an jeder Ecke rufen elegante Desinfektions-Dispenser in Erinnerung, was derzeit Sache ist.

Nicht übersehbar ist auch die regelmässige Reinigung und Desinfektion der Tische und neuralgischer Punkte über das ganze Schiff wie Handläufe und Aufzüge, die im 30-Minuten-Takt erfolgt. Die Suite wird zusätzlich zum Morgen- und Abend-Service neu auch über Mittag aufgefrischt und desinfiziert. «Ja, das ist etwas Mehrarbeit, aber Hauptsache ist, dass wir endlich wieder arbeiten können», erklärt Suiten-Verantwortliche Maureen und strahlte über das ganze Gesicht.

Neu für die Gäste ist auch der etwas abgeänderte Ablauf am Buffet des Yacht-Clubs: Man greift nicht mehr selber zu, sondern lässt sich auf etwas Distanz den Teller von der Service-Staff mit Leckereien belegen. In den Service-Restaurants und Lounges ist überall genügend Abstand zu den Nachbartischen gegeben, das Theater wird nur zur Hälfte belegt, d.h. die Shows finden zweimal abendlich statt. Die generellen Abstands-Regeln von 1,5 Metern gelten natürlich auch für den Ocean Spa oder im Fitness Studio, Tanz- und Poolpartys findet man derzeit nicht im Tagesprogramm.

Für den Fall der Fälle hat Hapag-Lloyd Cruises zudem eine neue Zusammenarbeit mit einem medizinischen Dienstleister initiiert, der die Evakuation und Behandlung an Land einer infizierten Person organisiert. Für Infizierte stehen am Heck spezielle Isolations-Suiten zur Verfügung, bis sie am nächsten Hafen an Land gebracht werden. Dies gilt auch für die Abklärung möglicher Erstkontakte. «Voraussetzung für den Restart war, dass wir von den Häfen die verbindliche Zusage erhielten, im Corona-Falle jederzeit wieder anlegen zu können», unterstreicht Karl Pojer. Ein ganzes Schiff unter Quarantäne soll es nie mehr geben.

4. Etappe: Die Restart-Angebote

Als «kontrollierter Neustart mit Entdeckungen in der Nähe» bezeichnet Pojer die Rückkehr von Hapag-Lloyd-Cruises aufs Wasser. Am Sonntag, 2. August ging es für die Europa 2 unter dem bestbekannten Kapitän Jörn Gottschalk mit ersten offiziellen Reisen los: Im August sind neu entwickelte Panoramafahrten ohne Landgänge ab Hamburg nach den norwegischen Fjorden und in die Ostsee im Programm. Bereits einen Tag früher stach die Hanseatic Inspiration unter dem Schweizer Kapitän Roman Obrist erstmals in See: Sie legt nun 5-tägige Fahrten durch den Nord-Ostsee-Kanal und stets in Küstennähe rund um Dänemark auf.

«Trotz einer sehr kurzen Vermarktungszeit von rund einem Monat sind wir mit der Nachfrage zufrieden», sagt Vertriebsleiter Sühring. Vor allem Stammgäste konnten kaum erwarten, wieder an Bord zu gehen. Es dürften aber noch etwas mehr Schweizer sein, fügt er bei. Das aktuelle Angebot mit spannenden Passagen in Fjorden, durch Schärengärten oder um Inseln sei auch ohne Landgänge attraktiv.

Doch bald geht es auch wieder los mit ersten Landgängen: In der zweiten Phase des Restarts ab September nehmen nicht nur zusätzlich zur Europa 2 und Hanseatic Inspiration auch die Europa und Hanseatic Nature ihren Betrieb wieder auf, sondern es sind auf neuen Reisen in der Nord- und Ostsee auch Stopps in Häfen wie Tallinn, Riga, Klaipeda, Kopenhagen oder Aarhus geplant. «Der eine oder andere Hafen erlaubt zwar uns das Anlegen, nicht aber grösseren Schiffen», kann Pojer die «Renaissance kleiner Schiffe» belegen. Die geplanten Stopps sind natürlich dannzumal von den generellen Umständen und behördlichen Freigaben abhängig.

Viel weiter als über den Monat Oktober hinaus kann noch kaum verlässlich geplant werden: «Wir fahren derzeit auf Sicht und versuchen, Annullationen wenn möglich hinauszuschieben», sagt Pojer. Man analysiere die weltweite Entwicklung der Pandemie laufend und müsse derzeit von sehr kurzen Vorläufen für neue Programme ausgehen – eine riesige Herausforderung. Das Jahr 2021 zeichne sich aber grundsätzlich positiv ab – «es hat sich von Umbuchungen zu Neubuchungen gedreht», so Pojer. Mit kulanten Stornobedingungen, speziellen Konditionen für Einzelreisende (nur 20% Zuschlag) und ebenso Goodies für den Vertrieb hofft Vertriebsleiter Sühring auf einen weiterhin positiven Geschäftsgang. Denn: «Der stationäre Vertrieb war, ist und bleibt unsere wichtigste Säule», unterstreichen Pojer wie Sühring mehrmals.

5. Etappe: Ein erstes Fazit

Wie sind nun die konzeptionelle Entwicklung eines komplexen Massnahmenpakets für den Restart durch die drei deutschen Reedereien und die konkrete Umsetzung von Hapag-Lloyd Cruises einzuordnen? Die Erwartungen waren hoch, denn HLC will sich ja generell als «Qualitätsleader» verstanden wissen. Die Ernsthaftigkeit und die «deutsche Gründlichkeit», mit der die Hygiene- und Sicherheitsbestimmungen umgesetzt wurden, verdienen ohne Zweifel Respekt. Dass dabei die «Leichtigkeit des Seins» nur geringfügig eingeschränkt wird, beeindruckte.

Viel dazu trug die ausserordentliche Service-Bereitschaft, Zuvorkommenheit und Motivation der Crew bei, den Gästen «Gutes zu tun». «Wir haben die Zahl der Crew auf unseren Schiffen trotz geringerer Auslastung nicht reduziert um den Gästen die kleinen Einschränkungen mit einem Mehr an Service zu kompensieren», sagt Karl Pojer dazu. Letztlich unterscheidet sich die «neue Normalität» an Bord eines Kreuzfahrtschiffes nicht grundsätzlich von all den Massnahmen in vielen Ländern der Welt, an die wir uns allmählich gewöhnen oder gewöhnen müssen.

(Beat Eichenberger, Hamburg)