FDP-Walti: «A-fonds-perdu-Beiträge für die Reisebranche sind gerechtfertigt»

Der Fraktionschef der FDP erklärt sich nach seinem Auftritt im «Kassensturz».
FDP-Nationalrat Beat Walti. ©zVg

Noch bevor das Covid-19-Gesetz, das auch Hilfen für die Reisebüros vorsieht, im Parlament behandelt wurde, hat FDP-Nationalrat und Fraktionschef Beat Walti die Reisebranche mit einem Auftritt in der SRF-Sendung «Kassensturz» nachhaltig verärgert. Im Exklusiv-Interview mit TRAVEL INSIDE erklärt er nun sein Verhältnis zur Reisebranche und plädiert für Staatshilfen für Härtefälle.


Herr Walti, wie buchen Sie Ihre Ferien?

Wir brauchen immer wieder das Reisebüro. Nicht für Standardferien, eine Woche Badeferien, das buchen wir auch diekt online. Aber z.B. Reisen mit einem anspruchsvollen Programm buchen wir im Reisebüro. Diesen Sommer wollten wir drei Wochen nach Brasilien, diese Reise haben wir in einem Reisebüro gebucht.

Wie gut kennen Sie die Reisebranche?

Die Reisebranche ist mir nicht unbekannt. Seit Beginn der Pandemie diskutieren wir sehr intensiv über ihre spezielle Problemlage. Die Rückzahlungspflicht der Airlines war ja schon im Juni ein Thema. Ich habe noch nie ein Reisebüro geführt oder Reisen verkauft, ich bin also kein Insider. Aber das Geschäftsmodell ist mir absolut klar. Und auch, dass Reisebüros jetzt ohne Ertrag einen besonders hohen Aufwand leisten mit all den Rückabwicklungen. Ich bin beruflich stark verbunden mit der KMU-Wirtschaft, sitze auch im Verwaltungsrat von KMU und weiss sehr wohl, wie eine Kosten- und Ertragsseite aussieht, was wann passiert und welche Möglichkeiten man zum reagieren hat – oder eben auch nicht.

Warum haben Sie denn im Kassensturz-Interview so wenig Verständnis für die Reisebranche gezeigt?

Das war natürlich nicht meine Absicht. Eigentlich im Gegenteil, denn mit gezielter Hilfe für betroffene Branchen sollte bessere und grosszügigere Hilfe möglich sein. Unser Konzept war immer, nicht mit der Giesskanne Geld zu verteilen sondern die Mittel gezielt dort einzusetzen, wo sie einen positiven Effekt haben können. Und das ist so bei der Reisebranche, bei der Eventbranche oder den Schaustellern.

Es stellt sich immer auch die Frage des Zeithorizonts und der Perspektive. Mit ist auch wichtig, dass man ehrlich ist mit den Betroffenen. Jetzt haben wir ein Instrumentarium, das bis Ende 2021 gute Ergebnisse zeigen kann. Das löst nicht alle Probleme der Betroffenen, kann aber substanzielle Hilfe bedeuten. Diese Zeit muss man nutzen für längerfristige Überlegungen. Dazu ist jeder Einzelne aufgerufen, das für seinen Bereich und sein künftiges Angebot zu machen.

Der Zeitpunkt dieses Kassensturz-Beitrags war maximal ungünstig, weil er vor dem Anfang der Debatte im Parlament über die Massnahmen lag. Da war die Ausgangslage, dass die Positionen am weitesten auseinanderlagen. Auf der einen Seite Frau Meyer, die mit einem Minderheitsantrag alle Massnahmen für alle bis Ende 2021 weiterführen wollte, was Milliarden kosten würde und nicht auf gewisse Branche fokussiert war. Auf der anderen Seite standen wir und wollten eine fokussierte Härtefallhilfe, so wie sie der Bundesrat in der Woche zuvor in Aussicht gestellt hatte. Bereits zwei Tage später wäre die Ausgangslage komplett anders gewesen, weil mit dem Antrag Paganini und von allen unterstützt die Härtefallhilfe bereits ins Covid-Gesetz geschrieben wurde. Die Sendung wäre da schon ganz anders verlaufen.

Sie haben gesagt, dass sich Reisebüros umstrukturieren sollten – wie genau stellen Sie sich das vor?

Ich habe von «umorientieren» gesprochen. Damit meinte ich überhaupt nicht, dass man beruflich etwas anderes machen soll. Es war als Aufruf gemeint, sein Angebot anzupassen oder weiterzuentwickeln, wenn sich zeigen sollte, dass mittel- bis langfristig der Markt kaputt ist. Airline-Experten erwarten erst für 2024 eine Normalisierung im Fernreiseverkehr. Da muss man sich als Unternehmer schon überlegen, ob man sein Angebot neu ausrichten soll. Natürlich ist das schneller gesagt als getan. Gerade wenn man ein sehr fokussiertes Angebot hat, ist das besonders schwierig.

Haben Sie bei den Anträgen und Änderungen im Covid-19-Gesetz die Anliegen der Reisebranche unterstützt und wie haben Sie in der Schlussabstimmung gestimmt?

Ja. Die ganze FDP-Fraktion hat geschlossen dafür gestimmt. Sehr verwunderlich finde ich übrigens in diesem Zusammenhang, dass mir in einem kritischen Kommentar das «gute Beispiel» eines SVP-Nationalrates (Lars Guggisberg; Anm. d. Red.) vorgehalten  wurde, der sich angeblich für die Branche einsetze – am Schluss das Gesetz aber gar nicht unterstützt und den Betroffenen so den Teppich komplett unter den Füssen wegzieht. Kein Gesetz, keine Hilfe.

Inzwischen ist die Reisebranche offiziell eine Härtefall-Branche. Richtig aus Ihrer Sicht?

Auf jeden Fall! Wenn die Reisebranche kein Härtefall ist, welche ist es dann? Auf Branchen wie diese ist die Härtefall-Klausel ausgerichtet. Sie können theroetisch Ihr Geschäft betreiben, aber faktisch können Sie das nicht und der Ausfall ist in einem Ausmass, das auf jeden Fall die Härtefall-Dimension erreicht.

Ist es für Sie auch in Ordnung, wenn ein Bundesrat die Bevölkerung zu Ferien in der Schweiz auffordert? Ist das nicht wettbewerbsverzerrend?

Der Bundesrat sollte sich bewusst sein, dass er wettbewerbsneutral kommunizieren sollte. Ich glaube, das ist ein gutes Beispiel dafür, dass gut gemeint häufig das Gegenteil ist von gut. Die Idee war, die touristischen Strukturen in der Schweiz nicht hängen zu lassen, sondern etwas zu tun, was volkswirtschaftlich etwas bringt. Nicht bedacht war, dass dies für viele Reisebüros ein Akt der Abwerbung war.

Sie wollen Geld nicht mit der Giesskanne verteilen. Wer soll denn Geld bekommen?

Die Giesskanne ist bereits verhindert indem im Covid-19-Gesetz besonders betroffene Branchen explizit aufgeführt sind. Die weiteren Kriterien sind noch ziemlich allgemein formuliert, es geht etwa um einen Umsatzverlust von mindestens 60 Prozent – das wird die Reisebranche leider problemlos erfüllen. Die Verordnung für die operationelle Umsetzung wird noch geschrieben, aber das kann schnell gehen. Die Konkretisierung der Kriterien für die Überlebensfähgikeit von Unternehmen wird sich an der Bilanzstruktur und der Profitabiliät in den letzten Jahren messen lassen. Ebenfalls in der Verordnung muss noch geregelt werden, wie gross der Umfang der Hilfe sein wird. Das Gesetz sieht ja auch A-Fonds-Perdu-Beiträge vor.

Sind Sie zu haben für A-fonds-perdu-Beiträge an die Reisebranche?

Die A-fonds-perdu-Beiträge stehen so im Gesetz. Jetzt soll man diese Möglichkeit auch nutzen. Auch hier ist entscheident, dass man die Überlebensfähigen so untersützt, dass sie überleben können. Ich kann mir auch vorstellen, Unterstützungsbeiträge à fonds perdu für spezielle Aufwendungen zu sprechen, die gerade wegen der besonderen Situation anfallen.

Was meinen Sie damit?

Zum Beispiel, wenn jemand Entwicklungsaufwand für eine neues Angebot hat und dafür neben eigener Zeit auch externe Ressourcen braucht. Das sind Kosten, die man gerade in dieser Situation ohne Umsatz nicht immer selber stemmen kann. Hilfsgeld à fonds perdu in solche Projekte für die Zukunft zu investieren, erscheint mir sinnvoll.

Schweiz Tourismus hat ja bereits 40 Millionen Franken zusätzlich erhalten und subventioniert seither mit grossflächigen TV- und Pressekampagnen Kampagnen für abseitige Regionen die SRG und die grossen Medienhäuser.

Das ist eine gute Zusammenfassung – und rechtfertigt in gewissem Mass auch A-fonds-perdu-Beiträge an die Reisebranche. Man hat sie andernorts ja auch gegeben, für den Tourimus, die Medien und die Kultur.

Unterstützen Sie und die FDP die Idee, das Pauschalreisegesetz, das letztlich ein Konsumenteschutzgesetz ist, so zu ändern, dass nicht der Reiseveranstalter für alles haftet, sondern auch der Kunde ein gewisses Risiko tragen soll?

Gut, dass Sie das ansprechen. Dem Gesetz haftet der Fluch der guten Tat an. Man wollte die Konsumenten maximal schützen, und das passiert im Stressfall eben auf dem Buckel der Reisebüros. Das ist offenkundig, und man hat es auch schon früher gewusst, aber es hat sich diesem Ausmass bisher noch nie gezeigt. Man kann sich schon fragen, ob es da nicht andere Absicherungslösungen für die Konsumenten gäbe, zum Beispiel über Versicherungen analog zu Annullationsversicherungen. Wir sind auf jeden Fall immer zu haben für eine Diskussion über ein sinnhaftes Gleichgewicht. Hier sind die  Konsumentenschutzanliegen schon sehr absolut ins Gesetz geschrieben worden.

Die Reisebranche hat eben erst gelernt, dass sie ihre Interessen aktiv in der Politik einbringen muss. Was muss sie jetzt tun, damit sie weiterhin Gehör findet?

Ich möchte die Reisebranche ermuntern, ihre Stimme einzubringen bei den Arbeiten an der Verordnung und über die bestehenden Strukturen bei den Kantonen und beim Bund vorstellig zu werden. Die Betroffenen müssen sich für gute Lösungen engagieren. Bei anderen Bereichen wie den Medien, der Kultur oder auch dem Sport merkt man, dass sie gut organisiert sind und einen guten Draht in die Politik haben, weil sei ohnehin von der öffentlichen Hand abhängig sind. Von deren Lobbying kann die Reisebranche sicher etwas lernen.

(Interview: Christian Maurer)