Feedback: «Der Schweiz unsere Systemrelevanz zeigen!»

TRAVEL INSIDE-Leserin Birgit Sleegers will ein Zeichen für die Reisebranche setzen.

Birgit Sleegers, Geschäftsleiterin Reisebüro, Glarus

«Es ist Mitte März 2020: Die USA schliessen die Grenzen für Schweizer Staatsbürger und unser Posteingang wird überflutet mit Nachrichten von Ländern, welche ebenfalls nachziehen. Der Bundesrat hält gerade die Pressekonferenz ab und verkündet den Lockdown. Die Telefone laufen bei mir im Reisebüro heiss und Kunden stürmen das Ladenlokal. Was bedeutet dies für unsere Reise, kann ich am Wochenende abfliegen? Der Bundesrat empfiehlt, von nichtdringenden Reisen abzusehen. Nach dem ersten Schockzustand und der Konsternation beginnt die enorme Arbeit, von morgens bis abends und über das Wochenende. Wir versuchen den Scherbenhaufen zu sortieren, Kunden im Ausland zu kontaktieren und anstehende Buchungen in den Herbst umzubuchen. Dann wird es ja schon wieder gehen mit Reisen. 

Mitte Mai 2020: Unser Reisebüro ist nach dem Lockdown wieder geöffnet. Ich kümmere mich weiter um Annullationen und habe grossen Respekt vor der Bewältigung der Sommerferien, weil dann ganz grosse Nordamerika-Dossiers zur Umbuchung anstehen. Wie soll ich dies nur in meiner Kurzarbeitszeit bewältigen? Gleichzeitig die nächsten schlechten Neuigkeiten. Geschäftsführer, Inhaber dürfen ab 1. Juni 2020 keine Kurzarbeit mehr beantragen – meine monatlichen Fixkosten steigen wieder, der immense Umsatzverlust hält aber gleichzeitig an. Kurzarbeit für uns Fluch und Segen zugleich. Wir sind auf die Gelder mehr als angewiesen, gleichzeitig reduziert es die Arbeitszeit massiv. Zeit, welche wir für Kundenbetreuung und Krisenbewältigung dringend benötigen.

Mitte Juni 2020: Die Schweiz öffnet die Grenzen und ein erster Moment ganz kleiner Hoffnung keimt auf. Jetzt kann es langsam wieder los gehen. In vielen Ländern ist die Bereitschaft da, Touristen zu empfangen und ein Ferienfeeling am Strand zu ermöglichen. Der Beratungsaufwand ist riesig, die Abklärungen immens, aber die ersten Kunden reisen ab und kommen mit tollen Feedbacks zurück. Die Strände und Städte sind menschenleer und ein Reiseerlebnis wie nie zuvor wird ermöglicht. Was für ein Hoffnungsschimmer!

Mitte Juli 2020: Einen Monat später sitze ich wieder im Büro und langsam kann ich nicht mehr. Vom BAG wird eine Risikoländerliste veröffentlicht und schon ist die Verunsicherung bei den Kunden zurück. Spätestens aber nach der diffusen Pressekonferenz des BAG mit der rückwirkenden Korrektur der Risikoländer-Liste und der Aufführung von neuen Ländern herrscht Chaos pur. Was gilt denn nun jetzt? Wer muss in Quarantäne, wer nicht? Welche Kunden können reisen, und habe ich jetzt wirklich die letzten Wochen damit verbracht Schweden Buchungen zu annullieren obwohl die Kunden trotzdem reisen könnten? Das Telefon ist ruhig, Buchungen kommen keine mehr rein. Das Ziel der Bundesbehörden ist erreicht und die Lust am Reisen zumindest für diesen Sommer ist vergangen.

Parallel zu meinen Geschehnissen im Reisebüro lese ich in den Medien fast von einer Verteufelung des Reisens. Die steigenden Zahlen an Infizierten können ja nur von Auslandrückkehrern kommen – nicht etwa von Clubbesuchen in den Städten, Wochenendaufenthalten an Badeseen oder von Gruppenlagern in den Bergen.

Und nun warten wir auf Hilfe von Bundesbern. Die Behörden sind in den Sommerferien und unsere Anliegen werden erst Mitte/Ende August wieder behandelt. Spätestens jetzt merke ich, dass wir nicht systemrelevant sind. Nach anfänglichem Kampfeswillen spüre ich, dass die Branche ruhig wird – zu ruhig. Es herrscht Resignation und Konsternation. Wie sollen wir weiterarbeiten, wenn uns ständig Steine in den Weg gelegt werden und wir aktuell nahezu unter einem behördlich angesetzten Berufsverbot leiden? Muss es wirklich soweit kommen, dass viele gut ausgebildete Branchenprofis aufgeben und die Büros still und heimlich geschlossen werden? Muss es zuerst zu Verzweiflungstaten vor dem Bundeshaus kommen, bevor unsere Not erhört wird? Muss ich zuerst ohne Arbeit dastehen, um systemrelevant zu werden? Spätestens aber nach dem Affront an der letzten Pressekonferenz des BAG hätte ich erwartet, dass Exponenten der Reisebranche aufstehen und laut rufen, dass es so nicht sein darf.

Liebe Reisebranche, so kann und darf es nicht weitergehen! Es ist aktuell nicht der Moment, um über Verbandsstrukturen zu diskutieren, es ist nicht der Moment zu überprüfen von wem welche Initiativen kommen, aber es ist auch nicht der Moment, ruhig zu bleiben. Jetzt müssen wir alle mit Vollgas ran und alle Hebel müssen in Bewegung gesetzt werden. Lassen wir den Verbänden Zeit die Gespräche beim Seco und beim BAG zu forcieren, aber parallel müssen auch das politische Netzwerk aktiviert und die Medien aktiv informiert werden. Um ein Zeichen zu setzen fordere ich daher die gesamte Reisebranche auf, die Quarantäne Petition der Aktion Mayday zu unterzeichnen. Nutzen wir die Möglichkeit, um der Schweiz unsere Systemrelevanz aufzuzeigen!»