Der kürzlich publizierte Artikel «Passagiere sind bereits digital, weshalb ist es das Reisen nicht?» hat viele Reaktionen ausgelöst.
Barbara Wohlfarth hat sich zu den Schwierigkeiten der Digitalisierung beim Reisen geäussert, darauf folgten Feedbacks von Dieter Bretscher von Gutmann Travel Zürich und Petra Hubler-Schäfler von El Travel. Nun meldet sich ein TRAVEL INSIDE Leser, der anonym bleiben möchte, zu Wort.
Anonymer TRAVEL INSIDE Leser
«Mit ausgesprochener Verwunderung habe ich Ihren Beitrag ‘Passagiere sind bereits digital, weshalb ist es das Reisen nicht?’ gelesen.
Habe ich irgend etwas verpasst? Oder haben die Schreibenden irgendwie in den letzten 20 Jahren in einem Wolkenkuckucksheim gelebt?
Da steht doch tatsächlich «Passagiere führen ein digital geprägtes Leben. Doch wenn es ums Fliegen geht, werden sie immer noch gebeten: anstellen, ausdrucken, wiederholen» – Hä – Wie bitte?!? Wen haben die befragt?
Erstens: die Reise- und insbesondere die Flugbranche war wahrscheinlich die erste Industrie überhaupt, die jemals digitalisiert hat. Die ersten Ideen für globale, computergestützte Buchungssysteme für Flüge datieren zurück auf das Jahr 1953, die ersten wirklich funktionsfähigen Systeme waren ab 1960 nutzbar.
Sicher – als first mover setzt man irgendwann Standards, die man hinterher nur schwer wieder loswird. Aber warum auch? Genau deswegen bleibt aber auch die grosse digitale Revolution in der Reisebranche aus: es gibt nichts zu revolutionieren, nur noch zu evolutionieren!
Zudem gilt auch hier: if ain’t broke, don’t fix it! Bitte hört endlich auf, uns alle Nase lang neue Standards aufzuzwingen, die rein gar nichts bringen, ausser aufgeblähten Umsätzen für die Technologie-Anbieter. Den Reisebüros an der Front verursachen diese Umstellungen nur Kosten.
Zweitens: wo ist man denn noch zwingend auf Papier angewiesen? Beim aufgegebenen Gepäck? Schön, nur hat dieses in der Regel kein eigenes Smartphone, da ist eine andere Lösung zwingend. Wenn möglich eine ausfallsichere und stossunempfindliche Technologie.
Eine von Elektrizität und digitalen Netzwerken abhängige und auf Beschädigungen anfällige Elektronik ist hier nicht zweckmässig. Die Verwaltung dahinter ist hingegen schon längst digital – einfach nur digitalisieren und der Digitalisierung Willen ist nicht zielführend. Den Gang zum Gepäckband werden wir uns hingegen so oder so nicht wegdigitalisieren können…
Passkontrollen? Natürlich könnte man e-ID auf dem Smartphone realisieren. Und Leute die das wollen, sollen das von mir aus auch nutzen dürfen. Es gibt aber erstens auch Personen, die das aus Datenschutzgründen explizit ablehnen. Und zweitens sind auch unsere Papierpässe bereits elektronisch lesbar. Wo ist ein Unterschied, ein Fortschritt, gar eine Verbesserung, wenn ich ein Smartphone anstelle eines klassischen Passes auf einen Scanner lege? Digital ist beides schon. Und wieso soll dies ein Problem der Branche sein?
Das sind ohnehin hoheitliche Aufgaben, da haben wir nichts reinzureden. Im Gegenteil sehe ich hier mit der um sich greifenden Seuche zu elektronischen ‘Anmeldungen’ (de facto versteckte Visa) eher einen Trend zu komplizierteren Verfahren, welche sich auch in der anderen Diskussion hier im Travel Inside widerspiegelt.
Drittens: Nachhaltigkeit. Ha. Ha. Ha. Da steht ‘Fast 90% der Passagiere würden mehr bezahlen, um Emissionen zu senken. Viele würden sogar langsamer fliegen oder leichter packen, um ihren ökologischen Fussabdruck zu reduzieren.’
Genau, deswegen sind es geschätzt maximal 3% der Passagiere, die ihren CO2-Ausstoss kompensieren.
Langsamer fliegen? Wo sind denn all die etwas langsameren, aber hocheffizienten Turboprops hingekommen?
Weniger Packen? Ja, dann hört mal auf, jedes Mal den halben Hausstand auf Kürzest-Trips mitzunehmen! Ich sehe da nicht ein, wie und wo das in der Verantwortung der Branche liegen soll. Als faule Ausrede für höhere Gepäckgebühren vielleicht?
Die Behauptung, Reisen sei nicht digital, ist so gesehen schlicht Humbug. Was SITA mit dieser ‘Untersuchung’ genau bezwecken will, erschliesst sich mir hinten und vorne nicht. Ein typischer Clickbait-Artikel für LinkedIn-likes?
Ich für meine Wenigkeit jedenfalls habe schon lange keine Airline mehr gesehen, wo man den ganzen Transportablauf nicht auch digital erledigen kann. Oder doch, neulich in Schottland, beim Inselhüpfer auf die Orkneys. Hingehen, der freundlichen Schottin am Schalter Namen und Ziel nennen, mal wollte nicht mal einen Ausweis sehen, eine Bordkarte gab es auch nicht. Und das Gepäck durfte ich auch selbst zum und vom Flieger tragen, denn Gepäckbänder gab es ebenfalls nicht. Zeitlich und von der Unkompliziertheit her unschlagbar…»








