Gastkommentar: «EU-Kommission muss erneut über die Bücher»

Der TRAVEL INSIDE Kolumnist und Branchen-Insider Erich Witschi arbeitet für Globetrotter und betreut die Helpline.

Sobald der Name Ryanair auftaucht, folgen, auch in unserer Branche, sogleich Wogen der Empörung und es werden hitzige Diskussionen geführt. So geschehen vor zwei Wochen, als in der Presse vermeldet wurde das EU-Richter einen Streit (Aktenzeichen T-665/20) zwischen Ryanair und der EU-Kommission zu Gunsten der irischen Fluggesellschaft entschieden hat.

Die Meldung ging zwar im allgemeinen Corona-Varianten-Trubel etwas unter, aber sie hat doch in diversen branchenbezogenen Medien und Social Media für Gesprächsstoff gesorgt. Besonders unsere nördlichen Nachbarn störten sich daran, das die böse Ryanair einen Direktangriff auf ihr zweites (nach LH) Nationalheiligtum namens Condor lanciert hatte und dabei zu allem Übel auch noch erfolgreich war.

Im Streit ging es um die Frage, ob die EU-Kommission richtig lag, als sie letztes Jahr im April die von der Regierung in Berlin und dem Bundesland Hessen zugesprochene Finanzspritze (Darlehen) von EUR 550 Mio an Condor bewilligt hatte.

Die Richter haben nun entschieden das dem nicht so ist. Das Gericht in Luxemburg rügt vor allem, dass die Entscheidung im April 2020 zugunsten von Condor mangelhaft begründet wurde. Es würde an dieser Stelle zu weit führen das Beamtengewieher ausführlich zu erörtern. Nur so viel:  Was Ryanair hauptsächlich gestört hat ist die Tatsache, dass ein Teil der Begründung aus Brüssel die Annahme enthielt das Grounding von Condor sei in erster Linie im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie und den daraus entstandenen Kosten verursacht worden.

Wie wir alle wissen ist das Drama um Condor nicht wirklich neu. Die Airline schreibt schon seit Jahren Verluste und verfügt über eine alternde Flotte, die in den nächsten Jahren erneuert werden muss. Der Richterspruch ist jedoch trotzdem heikel und die Begründung nicht über jede Zweifel erhaben, denn die im letzten Jahr verhandelte Übernahme der Condor durch die  polnische Luftfahrtholding PGL (Polska Grupa Lotnicza), zu der auch LOT gehört, ist offensichtlich wegen der Coronakrise gescheitert.

Die EU-Kommission muss nun dennoch erneut über die Bücher. Gleichzeitig haben die Richter in Luxemburg das Urteil vorläufig ausgesetzt, mit der Begründung das eine sofortige Umsetzung während der aktuellen Krise die Airline in eine noch grössere Krise stürzen würde. Zudem steht noch eine weitere (überlebens-)wichtige Entscheidung aus Brüssel aus.

Die EU-Kommission muss demnächst darüber entscheiden ob der vorgesehene Verkauf der Condor an einen britischen Investor rechtens ist. Der Deal ist (vom Investor) an die Bedingung geknüpft das die Regierung in Berlin und das Land Hessen je EUR 75 Mio des Darlehens von EUR 550 Mio ‘abschreiben’. Dieser staatliche Zustupf muss nun von Brüssel auch noch genehmigt werden. Condor liess indes verlauten, dass der negative Entscheid aus Luxemburg keine Auswirkungen auf den geplanten Verkauf nach England haben wird.

Nun zurück zu Ryanair. Die Klage gegen die EU-Kommission und Condor ist bei weitem nicht der einzige Schachzug von Ryanair. Michael O’Leary, der streitsüchtige und schillernde Gründer, Übervater und seit 1993 unumstrittener Herrscher über Ryanair hat in den letzten Monaten eine regelrechte Flut von Klagen gegen die EU-Kommission, respektive deren Billigung von Staatshilfen an diverse Airlines, losgetreten. Die Begründung ist immer Wettbewerbsverzerrung.

O’Leary nennt diese Staatshilfen ‘Doping’ und Lufthansa bezeichnete er mal als ‘Crack-Kokain-Junkie’. Meist zieht er vor Gericht den Kürzeren, aber gegen KLM konnte er letzten Monat bereits einen (vorläufigen) Sieg verbuchen. Es ging dabei um 3,4 Mia Staatshilfe (Darlehen) an KLM, dies obschon der französische Staat bereits etliche Milliarden (Darlehen) an Air France bewilligt hatte. Da bekanntlich AF und KL ein Herz und eine Seele sind (zumindest auf Papier), müsste KLM beweisen, dass sie nicht auch von diesem Geldsegen aus Paris profitieren konnten. Dies gelang ihnen scheinbar nicht.

Gegen Air Portugal konnte O’Leary gleichermassen einen Sieg verbuchen. Auch hier wurden die Staatshilfen angeprangert. Alle Urteile werden vermutlich noch revidiert, aber die Mühlen in Brüssel und Luxemburg mahlen bekanntlich sehr langsam und für die betroffenen Airlines bedeutet dies zumindest eine Verzögerung der Hilfsgelder.

Ryanair liess verkünden, dass die Urteile in 2 von insgesamt über 20 Klagen ein ‘Sieg für Konsumenten und einen gesunden Wettbewerb’ darstellt. Weitere Klagen werden wohl bald folgen. Insbesondere KL und TP werden noch mehr Geld vom Staat benötigen, was durch die Urteile sicherlich schwieriger wird.

Ryanair soll übrigens im April 2020 selber 600 Mio Pfund aus dem britischen Covid-Fond zugesprochen erhalten haben. Ob die Gelder jemals geflossen sind ist nicht bekannt. O’Leary hat dies stets verneint. Auch intensive Recherchen im Web waren erfolglos.

Wie dem auch sei; das Enfant Terrible der europäischen Luftfahrt wird auch weiterhin für Unterhaltung sorgen. Das ist auch gut so. Es braucht solche unkonventionellen Persönlichkeiten und die Branche tut gut daran sich damit zu arrangieren. Ohne O’Leary’s wäre die Zivilluftfahrt in Europa den grossen Players gnadenlos ausgeliefert.

Ein perfektes Beispiel für die Notwendigkeit solcher Querdenker in der Airlinebranche ist der 2019 verstorbene Gründer und langjährige CEO von Southwest Herb Kelleher. Er hat die verstaubte Airline-Zunft in den USA Anfang der 70er Jahre aus dem Dornröschen-Schlaf gerissen und die Karten völlig neu verteilt. Wen es interessiert empfehle ich die Lektüre seiner Biographie.

(Erich Witschi)