Gastkommentar: «Kurzstreckenflüge zu verbieten, ist unmöglich»

Der TRAVEL INSIDE Kolumnist und Branchen-Insider Erich Witschi arbeitet für Globetrotter und betreut die Helpline.

Das Thema ist nicht neu, wurde aber durch die Pandemie in den letzten Monaten etwas in den Hintergrund gedrängt. Trotzdem taucht es in unregelmässigen Abständen immer wieder auf, wie der unliebsame Onkel an Geburtstagen und Weihnachten. Je nach persönlicher Gesinnung wird das Thema als Frage oder als Forderung formuliert. Soll man Kurzstreckenflüge in Zukunft verbieten? Oder: Kurzstreckenflüge gehören verboten! Diese Formulierungen enthalten zwei Worte, die vor jeder Diskussion erst mal ausdefiniert werden müssten.

Zum einen handelt es sich um das Wort ‘Kurzstreckenflug’. Was ist das? Wo zieht man die Grenze? Es gibt keine verbindliche Definition. Für die einen sind es Flüge unter 2 Stunden, für andere wiederum ist die Distanz massgebend. 1000 Kilometer werden genannt; in 2 Stunden kann aber auch eine Strecke von bis zu 1500 Kilometer zurückgelegt werden. Die EU-Fluggastrechteverordnung definiert Kurzstreckenflüge bis maximal 1500 Kilometer. Sagen wir mal hypothetisch man einigt sich auf 1000 Kilometer. Was passiert dann, wenn die Distanz 1010 Kilometer beträgt, oder sonst knapp darüber liegt? Luftlinie Zürich – Ibiza zum Beispiel beträgt 1095 Kilometer. Wird dieser Flug dann auch untersagt?

Das zweite Wort lautet ‘Verbot’ oder ‘verbieten’. Wie heisst es doch so treffend: Wo Argumente fehlen, gibt’s Verbote. Das Wort ‘Verbot’ löst bei den meisten bereits eine starke Gegenreaktion aus. Warum lässt sich dieses Thema nicht anders formulieren? Zum Beispiel ‘Mit welchen Massnahmen kann man die Anzahl Kurzstreckenflüge in Zukunft reduzieren?’ Diese Fragestellung ist offen für konstruktive Vorschläge. ‘Soll man Kurzstreckenflüge in Zukunft verbieten?’ hingegen ist eine Frage, die sich nur mit ja oder nein beantworten lässt.

Bei einer Online Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur im Mai 2021 wurde das Flugverbot von knapp 25% der Befragten befürwortet. Ich behaupte jetzt mal das sind alles Mitmenschen, die das Flugzeug gar nie benutzen, oder vielleicht 1x pro Jahr in den Urlaub fliegen. Ungefähr 35% möchten die Kurzstrecken mit einer Steuer behaften und so unattraktiver machen. 26 Prozent der Befragten lehnten jegliche Veränderung ab.

Darüber ob und wie stark Kurzstreckenflüge das Klima tatsächlich mehr belasten als andere Verkehrsmittel gibt es keine verlässlichen Zahlen. Was ist, wenn für die ‘verbotenen’ Kurzstrecken die Hälfte der Pax das Auto benutzt? Es gibt zwar unzählige Studien mit völlig unterschiedlichen Befunden, je nach dem wer sie in Auftrag gegeben hat, aber aussagekräftige Zahlen gibt es keine, nur Vermutungen, Schätzungen und Prognosen – wie so oft bei Themen zu Umwelt und Klima.

Kurzstreckenflüge gibt es auf der ganzen Welt, das dürfte allen klar sein. Es wird aber auch einleuchten, dass es unmöglich ist ein allfälliges Verbot in ganz Europa einzuführen, geschweige denn global. In vielen Ländern der Erde werden Kurz- und Ultrakurzflüge von den Regierungen subventioniert, da sonst abgelegene Siedlungen keine Verkehrsanbindungen mehr hätten, besonders im Winter (Sibirien, nördliches Kanada, Alaska und Skandinavien). Auch Inselstaaten wie Indonesien sind auf das Flugzeug angewiesen. Der kürzeste Flug der Welt findet täglich auf den Orkney Inseln im Norden Schottlands statt. Der Flug von Westray nach Papa Westray dauert durchschnittlich gerade mal 2 Minuten. Es ist eine Verbindung zwischen zwei Inseln, die meist infolge widriger Witterung nicht mit der Fähre bedient werden kann.

Eine der Hauptgründe warum das Thema im letzten Jahr intensiv diskutiert und auch zu Beginn dieses Jahres als ‘flavour of the day’ gehandelt wird, war der Wahlkampf bei unseren nördlichen Nachbarn. Geht es nach den Grünen im Bundestag sollen alle Kurzstreckenflüge bald verboten werden, zumindest mal in und ab Deutschland. Diese Absicht wurde beim Wahlkampf auch mantramässig bei jeder Gelegenheit wiederholt. Was aber bis jetzt ausbleibt ist eine genaue Auslegung, ein Plan oder eine Diskussionsvorlage, wie das vonstattengehen soll. Oder war das Ganze nur ein Wahlkampfslogan?

Wie dem auch sei; das Vorhaben, zumindest in Deutschland, alle Kurzstreckenflüge zu verbieten (das wären dann eigentlich sämtliche Domestic Fluge) wird auf vehementen Widerstand stossen, da der Platzhirsch Lufthansa mit ihrem Hub & Spoke System (Frankfurt und München) auf die Inland-Zubringer angewiesen ist. Die meisten Passagiere auf Kurzstreckenflügen sind ohnehin im Transit, nicht nur in Deutschland.

Man darf davon ausgehen, dass auch hierzulande nur noch wenige Pax Point-to-Point von Zürich nach Genf oder vice versa fliegen. Auf Flügen ab Zürich nach Frankfurt, Paris, Milano, etc. dürfte es ähnlich aussehen. Was bei der ganzen Polemik immer wieder vergessen wird, ist die Tatsache, dass in den letzten Jahren im In- und Ausland bereits viele Kurzstreckenflüge verschwunden sind. Ich erinnere daran, dass man vor nicht allzu langer Zeit auch hierzulande ab Zürich nach Basel und Lugano, sowie ab Bern nach Lugano und Basel (!), ja vor ca. 20 Jahren sogar noch ab Bern nach Genf (Air Engiadina) fliegen konnte. Ob diese Flüge aus ökologischen oder ökonomischen Gründen eingestellt wurden, sei dahingestellt. Ich tippe mal auf das Zweite.

Also, entweder die Befürworter des Verbots unterbreiten uns einen plausiblen, durchführbaren und mit Fakten unterlegten Vorschlag oder wir lassen ganz einfach den Markt spielen. Gleichzeitig sollten Airlines vermehrt mit den jeweiligen Bahngesellschaften zusammenarbeiten und gemeinsam ein System entwickeln, das es dem Reisebüro (GDS oder Internet) oder dem Direktkunden (Internet) ermöglicht, zwischen Bahn und Flugzeug zu wählen und den ganzen Trip auf der gleichen Plattform mit einem E-Ticket zu buchen (Utopie, ich weiss).

Ich bin überzeugt das man mit Durchgangstarifen und einer einfachen Buchungsmethode viel mehr erreicht als mit einem generellen und willkürlichen Verbot. Wie gesagt: Wo gute Argumente vorhanden sind, braucht es keine Verbote.