Seit Monaten quält mich in unregelmässigen Abständen ein Albtraum: Ich befinde mich nachts in einem nahezu leeren und spärlich beleuchteten Grossraumbüro. Nur das geisterhafte Licht einer flackernden Neonlampe spendet etwas Helligkeit. An der Wand ist das Logo einer wohlbekannten Airline knapp erkennbar. In der Mitte des Raumes steht ein einzelnes Pult, umrahmt von drei Trennwänden. Auf dem Pult befindet sich ein älteres Telefon, bestückt mit sechs Leitungen, die unaufhörlich rot blinken, begleitet von einem monotonen Klingeln das den ganzen Raum beschallt. Menschen sind keine zu erblicken.
Nach kurzer Zeit ist das leise Summen eines Staubsaugers zu vernehmen. Kurz darauf erscheint eine Raumpflegerin (ist das woke genug, oder gibt’s da wieder ein Update?) mit besagtem Staubsauger. Als sie in die Nähe des Pults gelangt, hört auch sie das Klingeln des Telefons. Sie ergreift den Hörer, führt ihn zaghaft zum Ohr und sagt leise und verwundert ’Hola?‘.
Danach erwache ich meist schweisstriefend und mit erhöhtem Puls. Dieser Traum ist das Resultat meiner Erfahrungen mit Call Centers in den letzten paar Jahren. Seither meide ich den Anruf bei einem Airline Call Center, Customer Care Center oder einer Airline Hotline und wie sie alle heissen, wie der Teufel das Weihwasser. Als Hauptverantwortlicher der 24/7 Helpline meines Arbeitgebers lässt sich das jedoch nicht in jedem Fall vermeiden. Bereits beim Wählen der Nummer zittern meine Hände, auch wenn ich mir zuvor einen gehörigen Schluck Vodka genehmigt habe.
Doch schon bald ertönt eine freundliche, meist weibliche Stimme, die mich höflichst bittet, mein Anliegen durch das Drücken einer Zahl zu offenbaren. Es folgen weitere Auswahlmöglichkeiten und bereits nach 10 Minuten sowie mehreren Versuchen ist man nahezu am Ziel und freut sich auf die anstehende Kommunikation mit der freundlichen Call Center Person.
Leider ist die Freude meist von kurzer Dauer, denn es folgt in der Regel eine Mitteilung mit folgendem Inhalt: «Im Augenblick erreichen uns viele Anrufe, wir bitten sie um etwas Geduld» oder, auch ganz nett, «Ihr Anruf ist uns wichtig, wir werden sie gleich mit dem nächsten verfügbaren Agenten verbinden». Es wird auch die Möglichkeit vorgeschlagen das Gespräch in Englisch zu führen. Also drückt man eine weitere Nummer, und siehe da, es klingelt wieder verheissungsvoll und man hofft auf eine baldige Conversation with an English speaking (or something that sounds like English) Agent. Leider folgen dann lediglich die oben erwähnten Ansagen in Englisch.
In der Zwischenzeit sind 20 Minuten verstrichen und die Kunden stehen immer noch im Flughafen, weil sie infolge einer Verspätung oder Stornierung den Weiterflug verpasst haben und am Schalter der Airline grad niemand Lust verspürt (oder überfordert ist), ihnen Hilfe zu leisten. Es bleibt also nur das Warten in der Endlosschlaufe, um den nervtötenden Jingle weitere 45 Minuten anzuhören und sich 39-mal versichern zu lassen, dass der Anruf wichtig ist und man doch noch etwas Geduld aufbringen möge. Mit diesem derzeit normalen Szenario werde ich, meist an Wochenenden oder nachts, leider allzu oft konfrontiert.
Gelegentlich haben die Kunden bereits selbst versucht bei der Airline anzurufen, nur um festzustellen das dieses Vorhaben fast chancenlos ist. Ab und zu gelingt es den geduldigen Kunden dennoch; sollten sie jedoch das Pech haben bei unserem Nationalcarrier (und vermutlich auch bei der Muttergesellschaft) zu landen, werden sie höflich darauf aufmerksam gemacht, dass der Flug zwar kostenlos umbuchbar ist, sie jedoch den Flug bedauerlicherweise in einem Reisebüro gebucht haben und demnach eine Gebühr von CHF 50.00 fällig ist. Als Sahnehäubchen obendrauf wird dann noch betont, dass sie das nächste Mal bei LX direkt buchen sollten.
Das ist keine Fantasie – sondern die erschreckende Wirklichkeit. Noch vor ca. 2 Jahren tönte es bei einem Anruf bei LX etwas kundenfreundlicher: «Ihre Wartezeit beträgt zirka 10 Minuten» – und das war meistens auch korrekt! Momentan wartet man mindestens 20 bis 30 Minuten und über die Dauer der Wartezeit herrscht Stillschweigen. Bei anderen Airlines wird man nach 45 Minuten gar unzeremoniell aus der Leitung geschmissen. Noch schlimmer wird’s bei gewissen Ereignissen, z.B. Streiks, schlechtem Wetter, etc. wie z.B. vor ca. 10 Tagen, als in Istanbul wegen Schneefall fast sämtliche Flüge annulliert wurden und die lokale Airline während Tagen überhaupt nicht mehr erreichbar war.
Ich könnte an dieser Stelle noch unzählige Beispiele erwähnen wie Fluggesellschaften heutzutage mit ihren Kunden (dazu gehören auch wir) umgehen. Wer über 30 Jahre in der Branche tätig ist weiss, wie es anno dazumal ausgesehen hat. Aber diese Zeiten sind endgültig vorbei und es wird auch in Zukunft nicht besser werden. Wir müssen uns wohl oder übel daran gewöhnen. Die meisten Airlines und Allianzen basteln bereits an sogenannten ‘Customer Care Centers‘ bei denen in erster Linie per Chat und E-Mail kommuniziert wird.
Call Centers sind Auslaufmodelle und werden wohl bald Geschichte sein. Zwar wird weiterhin mit allen Mitteln um Kunden geworben, sobald diese jedoch das Ticket gekauft haben, ist fertig lustig und die Kunden sind nur noch lästige Störfaktoren. Ich habe fertig!
Erich Witschi
Disclaimer: Dieser Gastkommentar ist die rein persönliche Meinung des Autors und nur beschränkt diejenige seines Arbeitgebers.