Gastkommentar: «Zu viel Übermut kann in Katerstimmung umschlagen»

Der TRAVEL INSIDE Kolumnist und Branchen-Insider Erich Witschi arbeitet für Globetrotter und betreut die Helpline.

Eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Frühling. Dieses Sprichwort kommt einem spontan in den Sinn, wenn man die momentane Hochstimmung bei den Ferienanbietern beobachtet. Zuversicht und Optimismus sind zwar gesund und Bedingung für eine nachhaltige Entwicklung und Erholung des weltweiten Tourismus, aber zu viel Übermut könnte im Herbst/Winter in eine (weitere) Katerstimmung umschlagen.

Wenn man die Bilder des Flughafens Zürich an diesen Wochenenden (Ferienbeginn) betrachtet, könnte der Eindruck entstehen es wäre alles wieder wie vor der Pandemie. Die Zahlen sprechen jedoch eine andere Sprache. Zirka 110’000 Passagiere benutzten den Flughafen Zürich am Wochenende vom 17. Juli; die meisten davon flogen in die Ferien – meist innerhalb Europas.

Das liegt zwar deutlich über dem Vorjahreswert, entspricht aber nur ungefähr der Hälfte des Verkehrsaufkommens vom gleichen Wochenende im Jahr 2019. Der grösste Teil wurde kurzfristig gebucht, und das Volumen war daher schwierig im Voraus abzuschätzen. Der Flughafen war kaum auf diesen Ansturm gefasst, da nach der Pandemie schlichtweg das Personal fehlte. Die Situation wurde zusätzlich durch die Kontrolle der Covid-Dokumente am Check-In verschärft.

Im Herbst dürfte es ähnlich aussehen. Etliche Newcomer bieten diesen Sommer und Herbst Flüge ab CH-Flughäfen an und haben ambitiöse Pläne für den Herbst. An und für sich ist das zu begrüssen, zumindest aus Sicht der Reisefreudigen. Ob die Lokalmatadore Edelweiss & Co daran Freude haben ist indessen zu bezweifeln, denn auch im Mutterhaus LH will man mit Eurowings Discover (die deutsche Edelweiss), ein grösseres Stück des Urlauber-Kuchens abschneiden, vorerst in Deutschland, und damit u.a. den momentanen Platzhirsch Condor angreifen.

Das Verhältnis LH/DE ist nach dem Streit um die Zubringerflüge ohnehin alles andere als harmonisch. Condor markiert zudem gegenwärtig auch in der Schweiz Präsenz und fliegt diesen Sommer ab Zürich nach Kos, Kreta und Rhodos, als Teilcharter in Zusammenarbeit mit Schweizer Veranstaltern; die restlichen Plätze sind im GDS und online buchbar. Im Herbst sind weitere Destinationen, u.a. Kanaren, Balearen, Zypern, Sardinien und Madeira geplant.

Eurowings Discover startet am 24. Juli mit dem Erstflug ab Frankfurt nach Mombasa und Sansibar. Bis Mitte 2022 soll die Flotte dann auf 21 Mittel- und Langstreckenflugzeuge wachsen, welche hauptsächlich nach Destinationen eingesetzt werden die momentan von LH und EW bedient werden oder wurden (viele davon liegen noch brach). Um diese Flottenziele so schnell wie möglich zu erreichen, mietet Discover auch zwei Airbus A330 von Edelweiss – ein Schelm wer böses dabei denkt.

Ein sehr ehrgeiziges Unterfangen, in einer Zeit voller Unsicherheiten! Beim Personal der LH-Gruppe, besonders bei den Piloten, herrscht jedoch kaum eitel Freude über dieses Vorhaben. Die Crews von Eurowings Discover werden angeblich unter «miserablen» Arbeitsbedingungen angestellt. Auch hierzulande wird die «Leihgabe» der zwei «edelweissen» Maschinen noch genauer untersucht, um festzustellen ob dies nicht ein Abbau von Langstrecken in der Schweiz mit einem gleichzeitigen Ausbau in Deutschland bedeutet.

Wie dem auch sei, der Druck auf die etablierten Ferienflieger in CH, wie z.B. Edelweiss, Helvetic, Chair, aber auch Swiss und teilweise auch Easyjet, wird in den nächsten Monaten steigen, denn es drängen noch weitere Konkurrenten auf den CH-Markt, wie z.B. Smartlynx (Lettland) mit Flügen ab Basel (Mittelmeer und Kanaren) – siehe TI-News vom 8.6.21.

Aegean ist eine weitere Airline die sich im Gerangel um Badeferien-Gäste bemerkbar macht. Bis anhin überwiegend nur ab Zürich und Genf nach Athen und Thessaloniki tätig, fliegt der Griechische Carrier neuerdings auch nach Heraklion, Mykonos, Santorini und Rhodos – ein weiterer Konkurrent für Edelweiss & Co. Auch die LCC’s waren in den letzten Monaten fleissig und haben sofort reagiert, sobald irgendwo in Europa eine Feriendestination wieder geöffnet wurde.

Das Buhlen um Feriendestinationen hat mit dem Ansturm auf Mallorca, wohin Edelweiss, Swiss und diverse ausländische Carrier zum Teil mit Grossraumflugzeugen scharenweise sonnenhungrige und pandemiemüde Gäste befördern, einen vorläufigen Höhepunkt erreicht – fast wie in den 1970er und 1980er Jahren, als Condor mit Boeing 747 und LTU mit L1011 TriStar 300 oder mehr Passagiere pro Flugzeug auf der Insel deponierte.

Sogar Legacy Carrier wie KLM/Air France haben die bis anhin eher geduldeten Urlaubsgäste und deren Lieblingsdestinationen wieder entdeckt, nicht zuletzt auch weil sich der Geschäftsreiseverkehr nur zögerlich erholt. Ganz zu schweigen von den diversen Start-ups, die in den Startlöchern stehen um brach liegende Touri-Destinationen für sich zu erobern.

Das umwerben reisewilliger Urlauber wird also noch ein Weilchen andauern, respektive hat eben erst richtig begonnen. Nachhaltig ist dieser Miniboom wohl kaum, denn sobald im Oktober der letzte Mittelmeer-Gast die Maschine in Zürich oder anderswo verlassen hat, ist der Spuk, zumindest vorläufig, vorbei – jedenfalls für Europäische Destinationen.

Wie es danach mit Langstrecken aussehen wird ist noch völlig offen und steht oder fällt mit der Corona-Entwicklung in den Touristenhochburgen Asiens, Ozeaniens, Karibik, USA, Ägyptens, Kanaren, Mexico, etc. und zu guter Letzt auch mit der Wirtschaftslage. Aber eben, erstens kommt es anders und zweitens als man denkt…

(Erich Witschi)