Geissberger: «Ausser Lüthi war keiner wirklich vernetzt in der Schweizer Politik»

Roger Geissberger, SRV-Vorstandsmitglied über die Zukunft der Reisebranche und des Verbandes.
Roger Geissberger, Chairman Knecht Reisen und SRV-Vorstandsmitglied. @ TRAVEL INSIDE

Roger Geissberger ist seit zweieinhalb Jahren als Vertreter von Knecht Reisen im Vorstand des SRV (Schweizer Reise-Verband). Aktuell ist der Verband mit neuen Strukturen beschäftigt, eine Arbeitsgruppe hat diese zum Ziel. Das Ergebnis soll zur nächsten Generalversammlung des SRV präsentiert werden. Geissberger ist zudem in der Findungskommission für die Nachfolgeregelung von Präsident Max E. Katz.

TRAVEL INSIDE hat ihn zur Kritik am Verband, zur Aktion Mayday, zum Pauschalreisegesetz und seinen persönlichen  Zielen innerhalb der Verbandsarbeit gefragt. Im Interview äussert er sich zudem zur wirtschaftlichen Situation der Branche und zur Härtefallhilfe.


Roger Geissberger, wie beurteilen Sie die aktuelle Lage im SRV?

Ich bin zu 100 Prozent der Meinung, dass viel Kritik, die auf den SRV niederprasselte, plakativ war und nicht der Meinung der Mehrheit entsprochen hat. Ich finde der SRV hat in dieser schwierigen Zeit zwar einen Fehler gemacht, denn die Kommunikation war nicht optimal. Gerade zu Beginn mit Mayday. Das hat man jedoch aufgearbeitet. Dafür hat man Kommunikationsberaterin Christine Maier mandatiert. Zusammen mit ihr wurde die Geschichte zwischen Mayday und SRV sauber aufgearbeitet.

Inhaltlich behaupte ich, dass der SRV sehr viel gemacht hat. Und auch André Lüthi verdanken wir viel. Er blieb hartnäckig. Er ist der Leader des Ressort Politik und sehr gut vernetzt, der Geschäftsführer und der Präsident haben ihn im Hintergrund stark unterstützt. Aber die gesamte Taskforce ist sehr schnell beim Seco über den SRV herausgegangen.

Sonja Laborde, Luc Vuilleumier, Max E. Katz, Walter Kunz und André Lüthi waren da in der Taskforce und haben einen grossartigen Job gemacht. Jeder Vorstand hat im Rahmen seiner Möglichkeiten Sachen bewerkstelligt.

Ich denke, dass einige Leute nicht wissen, wie Politik funktioniert. Es nützt nichts, wenn man einen Tag vor einer Abstimmung mit Trompeten und Pauken auf dem Bundesplatz rumsteht. Hier braucht es monatelanges Lobbying und ihm Rahmen der Möglichkeiten hat man sehr Vieles durchgebracht.

Wie soll sich der SRV für die Zukunft aufstellen?

Zur Neuorganisation: Der SRV hat bereits im Frühling 2020 gesagt, dass darüber diskutiert werden muss, ob es sinnvoll ist, dass es drei oder vier verschiedene Verbände gibt. Könnte man das nicht einfacher machen, vielleicht mit einem oberen Dachverband mit verschiedenen Gefässen. Eine andere Sachfrage ist, wie viele Grosse und Kleine im Vorstand.

Ist der SRV von den Grossen dominiert?

Die Kleinen schreien mir über den Tisch, dass sie möglichst wenig Grosse möchten, die Grossen haben aber nie ihre Macht im SRV-Vorstand missbraucht – im Gegenteil, sie helfen uns, indem sie beispielsweise die Lehrlingskurse garantieren. Also ich habe die Grossen nie als Übermacht oder dominierend empfunden und bin auch der Meinung, dass sie im Verband nicht übervertreten sind. Die neue Arbeitsgruppe wurde gegründet und besteht aus vier Vorständen und vier Nicht-Vorständen.

Wollten Sie nicht auch ein Teil diese Arbeitsgruppe sein?

Nein, bewusst nicht.

Warum?

Weil ich nicht mehr operativ tätig bin. Ich bin auch der Meinung, dass jetzt jüngere Generationen zum Zug kommen sollten. Da haben wir bewusst darauf geschaut. André Lüthi ist der Einzige, der aufgrund seines politischen Netzwerks noch in dieser Taskforce ist.

Wie funktioniert diese Taskforce?

Brigitte Sleegers ist Präsidentin dieser Taskforce. Das Ganze wird rapportiert an den Vorstand und von dort kommt es dann an die nächste SRV-GV.

Die Taskforce hat kürzlich einen Aufruf an die Mitglieder gestartet – was versprechen Sie sich davon?

Ich bin nicht darüber informiert, was die Arbeitsgruppe für einzelne Schritte macht. Ich denke aber, dass es darum geht den Puls zu spüren. Wie bereits gesagt, der SRV hat die Schwächen der Kommunikation erkannt.

Was hat der SRV in Bezug auf die Härtefallhilfe bisher bewirken können?

Zuerst haben praktisch alle Kantone unter dem Motto «genügend Liquidität» die Reisebüros abgelehnt. Jetzt purzelt ein Kanton nach dem anderen und macht für die Reisebranche neue Kategorien. Das ist primär dem SRV und einer seiner koordinierten Aktion zu verdanken. Jeder Kanton hat einen eigenen Taskforce-Chef, ich bin zuständig für den Kanton Aargau, zusammen mit Karim Twerenbold und Dominic Eberhard. Hier wurde sehr viel erreicht.

Was halten Sie von der Aktion Mayday?

Ich hatte nie etwas gegen Mayday. Das ist eine tolle Sache. Mayday ist eine Informationsplattform, aber kein SRV. Der Austausch, der durch Mayday ermöglicht wurde und noch immer wird, ist wichtig. Die Zusammenarbeit mit Mayday ist heute sehr gut.

Weshalb sind denn so viele kleine Reiseunternehmer immer noch unzufrieden mit der Arbeit des SRV?

Weil sie schlicht die Details nicht sehen. Die Frage, die ich mir als Neumitglied beim SRV auch gestellt habe: Weshalb haben wir nicht mehr Lobbying im Bundeshaus? Im Vergleich zu den Bauern oder Baumeistern sind wir mit Parlamentarier viel dünner aufgestellt. Die Reisebüros haben nur einen Parlamentarier mit Andreas Aebi. Wir sind nicht über Parlamentarier vertreten gewesen und unter diesem Aspekt glaube ich, dass das Bestmögliche getan wurde.

Der Tourismus Inbound/Outbound ist zu klein und gehört nicht zu den fünf wichtigsten Wirtschaftszweigen der Schweiz. Auch wichtig in diesem Zusammenhang ist: Bis Corona kam, hatte die Reisebranche keinen Grund sich in der Schweiz zu beklagen. Bessere Konsumentenschutzorganisation, das EU-Recht musste nicht von der Haftpflicht adaptiert werden und der Mehrwertsteuersatz blieb ausgeklammert.

Es war alles optimal und es musste daher auch in den letzten 20 Jahren nicht politisiert werden. Dann kam Corona und es hat auf einmal gewechselt und ausser André Lüthi war keiner wirklich vernetzt in der Schweizer Politik.

Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Situation der grossen, mittleren und kleinen Reiseunternehmen in der Reisbranche?

Ich glaube die drei Grossen (TUI, Kuoni, Hotelplan) werden die Krise überstehen, und zwar u.a. auch, weil sie Geld von anderen Quellen erhalten haben. Twerenbold und Globetrotter sehe ich eigentlich auch als sicher, wobei es mir nicht zusteht ein Finanzbild im Detail über diese Firmen zu machen. Ich sehe auch kein grosses Problem bei den kleinen Retailer, weil sie mit der Hilfe der Fixkosten definitiv über die Runden kommen sollten. Das Problem sehe ich eher zwischen den Big 6 und dem Mittelfeld– aber ich möchte da niemand an den Pranger stellen, ich kenne die Details dieser Unternehmen nicht.

Sie sehen also wegen der Härtefallhilfe kein so grosses wirtschaftliches Fiasko?

Ich glaube schon, dass es eine Bereinigung gibt. Wie viel kann ich nicht sagen. Die kleinen Reisebüros werden mit der Härtefallhilfe aber sicher einen Schub bekommen, wo ihr Überleben für dieses Jahr sicherstellen sollte.

Was sind die zukünftigen Hauptaufgaben des SRV?

Das Thema Politik muss neu aufgearbeitet werden. Da muss man besser vernetzt sein. Ebenfalls wichtig sind Hilfeleistungen für Mitarbeiter (Politik, Kundengeldanzahlung, Airline Verhandlungen)

Der SRV verhandelt mit Airlines?

Seit zwei Jahren sitzen wir dreimal im Jahr mit der obersten Spitze der LH Group zusammen. Gerade Themen wie NDC, Direct Connect, Rückerstattungen der Gelder oder Refundable Fares werden auf diesem Level, auch im Namen des SRV, besprochen und verhandelt.

Wer ist da dabei?

Dieter Zümpel, Tim Bachmann, André Lüthi, Philipp von Czapiewski, Max E. Katz, Walter Kunz, Karim Twerenbold und ich.

Ist auch das Pauschalreisegesetz noch ein Thema?

Ja, auf SRV-Basis. Leider ist die Bundesbehörde in diesem Thema noch nicht sehr weit. Das PRG wird überarbeitet, aber die Gruppe, die dafür zuständig ist, ist nicht so schnell vorwärtsgekommen, wie geplant. Ich denke das dauert auch noch ein bisschen bis es neu geschrieben ist. Man hat zwar Inputs in der Taskforce mit dem BAG geteilt und dem Bund ist auch klar, dass das Gesetz schärfer geschrieben werden muss, aber man ist noch nicht sehr weit gekommen. Es wäre ja mal die vage Hoffnung gewesen, dass es bis Ende Jahr ein neues Gesetz gibt, aber das sei nicht machbar.

Im Moment stützt sich die Allgemeinheit darauf, dass der TO schuld ist und bezahlen muss. Er muss sogar Bank spielen für die Airlines. Das kann es einfach nicht sein.

Der Artikel 15C ist unklar und es gibt keine Rechtsprechung in der Schweiz, dass der nicht angewendet werden kann (Ausnahmeregelung für TO).

Werden Sie als Nachfolger von Max E. Katz als SRV-Präsident kandidieren?

Nein, das ist keine Option für mich. Das würde meine Freiheiten zu stark einschränken. Zudem möchte ich in meinem Alter nicht mehr so im Fokus und in der Öffentlichkeit stehen.

Wer kommt denn Ihrer Meinung nach in Frage für die Nachfolge?

Ich bin im Gremium für die Nachfolgeregelung, zusammen mit Max E. Katz und Stéphane Jayet. Entschieden wird dies dann in der Vollversammlung. Wir bringen einfach die Vorschläge und Ideen sind viele da – gute und schlechte.

(Interview: Yannick Suter/Angelo Heuberger)