George Studer: «Wer schützt jetzt den Vertrieb?»

George Studer, Geschäftsführer des Schiffsreisen-Spezialisten Cruise Center, im Interview mit Beat Eichenberger, TRAVEL INSIDE Schiffsreisen-Experte und Chefredaktor «cruisetip».
George Studer © Beat Eichenberger

George Studer, Geschäftsführer des Schiffsreisen-Spezialisten Cruise Center, fordert eine Neudiskussion im Verhältnis zwischen Reedereien und Vertrieb.


George Studer, wie geht es dem Cruise Center in Corona-Zeiten?

Mit einem Umsatzeinbruch von über 80 Prozent wie überall. Zum Glück konnten wir den Personalbestand dank Kurzarbeit und schon zuvor geplanten Abgängen weitgehend stabil halten. Auf diesen Bestand sind wir auch angewiesen um unseren Job weiterhin erfüllen zu können.

Wobei dieser Job seit Monaten nur die Abwicklung stornierter Seereisen umfasst. Wie reagieren die Kunden: Wollen sie ihr Geld zurück oder buchen sie um?

Ja, die Bearbeitung all der Stornos ist eine enorm aufwendige Sache, die uns tagtäglich fordert. Im Verhältnis wählen die Kunden mehr Umbuchungen oder eine Gutschein-Lösung als dass sie annullieren und den Reisepreis zurückfordern. Das ist erfreulich und gelingt uns vor allem dank dem Einsatz unserer Mitarbeitenden, die in vielen persönlichen Gesprächen die Kunden von den Alternativen überzeugen. Vereinzelt machen es uns aber die Reedereien nicht eben einfach, indem sie etwa bei einer Umbuchung auf einer Optionsfrist von gerade mal 24 Stunden bestehen. Für Reise-Entscheide, die das nächste Jahr betreffen, muss man den Leuten mehr Spielraum geben.

Zunehmend kritisiert wird im Vertrieb auch, dass es vereinzelt mit der Rückerstattung der Reisepreise harzt. Was sind Ihre Erfahrungen?

Es ist tatsächlich nicht einfach und von Reederei zu Reederei verschieden. Während wir mit amerikanischen Reedereien diesbezüglich kaum Probleme haben, ist die Situation bei einzelnen europäischen Reedereien, wo man da und dort von der aktuellen Lage offenbar überfordert ist und keine klaren Krisenkonzepte und -Verantwortlichkeiten zu kennen scheint, schwieriger.

Oft braucht es viel Druck und Aufwand, bis endlich eine Rückzahlung erfolgt. Bei allem Verständnis für die schwierige Lage der Reedereien: Es ist wahrlich keine tolle Sache, wenn der Vertrieb für grosse Milliarden-Unternehmen Bank spielen muss, um den berechtigten Forderungen der Kunden nachzukommen. Angesichts des grossen Aufwands, den wir derzeit betreiben müssen, ist es aus meiner Sicht auch nicht länger haltbar, dass bei einer Stornierung durch die Reederei die Basiskommission für den Vertrieb wegfällt.

Liegt eine solche Forderung angesichts der aktuellen Lage nicht etwas quer in der Landschaft?

Im Gegenteil! Jetzt ist der Zeitpunkt, um gewisse Missstände, die sich auch im Laufe der Jahre im Verhältnis zwischen Anbieter und Vertrieb eingenistet haben, auf den Tisch zu bringen. Der Schutz der Kunden ist in Krisenzeiten gegeben – doch wie sieht es mit dem Schutz des Vertriebs aus? Wir arbeiten seit März gratis und erbringen täglich Dienstleistungen für die Reedereien, ohne dafür honoriert werden – das kann es doch nicht sein. Dem Kunden können wir die Arbeit nicht verrechnen, denn er hat die Stornos ja nicht verursacht. Doch es gibt noch weitere Punkte…

Wir sind gespannt…

Angebracht wäre auch, dass bei einer Stornierung durch den Kunden die volle Basiskommission ohne Kürzung gewährleistet ist – der Buchungsaufwand wird für den Vermittler ja dadurch nicht geringer. Und wenn Änderungen einer bestehenden Buchung wie zum Beispiel Routenanpassungen oder Hafenwechsel durch den Veranstalter oder Reederei erfolgen, sollte zwingend eine Aufwandsentschädigung zur Anwendung kommen. Wir sind es ja, die das Dossier zur Hand nehmen und den Kunden informieren müssen.

Dann werden die Reedereien in Zukunft dies direkt mit dem Kunden erledigen.

Das dürfen sie ruhig tun, doch dann erwarte ich, dass auf der entsprechenden Mitteilung klar vermerkt wird, wer der letzte Vermittler dieser Reise ist. Und dass dieser Vermittler gleichzeitig wie der Kunde über die Änderungen informiert wird. Weitere Punkte umfassen zum Beispiel die Provisionierung für den Verkauf von Nebenleistungen wie Landausflüge oder aktuell die Gutschein-Handhabung: Diese sollten nur bei dem Vermittler einlösbar sein, wo auch die ursprüngliche Buchung erfolgt ist. Dafür sollte es zehn Prozent Provision geben, auch wenn sich der Kunde dann für eine Rückzahlung entscheidet.

Forderungen sind das eine – wie sind sie durchsetzbar?

Es wäre nun die hehre Aufgabe der Reiseverbände oder ihrer Kompetenzgruppen, sich solchen brennenden Fragen des Vertriebs anzunehmen. Wie beim Service-Entgelt oder der Auftragspauschale sollte es aber nicht einfach bei einer Empfehlung bleiben, sondern es müssen neue Bedingungen erarbeitet werden, damit der Vermittler auch in Zukunft eine Überlebenschance hat.

Und wie sieht die nächste Zukunft für Sie aus? Wird wieder neu gebucht?

Nur sehr vereinzelt und vor allem erst für das nächste Jahr im Mittelmeer. Für den aktuellen Neustart mit ersten limitierten Angeboten in Europa ist die Nachfrage noch kaum existent. Wir befürworten natürlich alle Aktivitäten der Reedereien, müssen aber abwägen, wem wir solche Fahrten, die derzeit noch meist ohne Landgang erfolgen, empfehlen können. Wir wollen nicht riskieren, dass Kunden enttäuscht zurückkehren und wir ihn dadurch für weitere Reisen verlieren.

Mit flexiblen Storno-Bedingungen versuchen die Reedereien den Kunden die Ängste erneuter Absagen zu nehmen.

Da muss man ganz genau hinschauen, denn da ist oft viel Augenwischerei dabei. Solche 48-Stunden-Storno-Angebote sind zum Teil zeitlich limitiert oder mit anderen Einschränkungen verknüpft. Zudem: Kostenlos annullieren heisst noch nicht in jedem Fall spesenfrei. Jede Reederei bastelt sich seine eigene Lösung, was erneut für den Vertrieb viel Arbeit bedeutet, weil wir die unterschiedlichen Konditionen im Detail kennen müssen.

Die Aussichten für das Cruise-Jahr 2021 sind also weiterhin kritisch?

Und es ist aus unserer Sicht natürlich geprägt durch die vielen Umbuchungen, die nun in der Corona-Krise erfolgten, und an denen wir nichts mehr verdienen. Die Frage in Bezug auf Neubuchungen wird sein, was im nächsten Jahr überhaupt alles möglich sein wird und auch wie sich die Preise entwickeln, wenn die Schiffe weiterhin nicht voll ausgelastet werden können. Trotzdem: Nun wären die Reedereien trotz aller Widrigkeiten gefordert, ein Reanimationsprogramm zu entwickeln und beim breiten Publikum mit einer offenen und ehrlichen Imagekampagne wieder Lust an Seereisen zu wecken.

(Interview: Beat Eichenberger)