Globetrotter und Knecht – quo vadis?

Corona wird die Schweizer Reiseindustrie verändern – bei den KMU und auch den Big Five.
©TRAVEL INSIDE

Das bald zu Ende gehende Jahr ist für die Reisebranche ein wirtschaftlich verlorenes Jahr. Ob und wie viel besser 2021 wird, ist noch völlig unklar. Was aber glasklar ist: Die Schweizer Reisebranche dürfte erneut grosse Umwälzungen erleben. Eine weitere Strukturbereinigung steht an, neue Hausaufgaben kommen auf sie zu.

Für die KMU geht es ums Überleben, nicht alle werden es schaffen. Im August schrieb die Beraterfirma Hanser Consulting in einem Branchenbericht: «Es ist von einem hohen Konkursrisiko/ Schliessungsrisiko für bis zu 40 % der Unternehmen in der Branche auszugehen.» Inzwischen muss man wohl von einer höheren Zahl ausgehen.

Und wie sieht es bei den Grossen in der Branche aus? Zwei der drei Grossen in der Schweiz können lange durchhalten. Hotelplan und DER Touristik Suisse/Kuoni haben potente Mütter – als finanzstarke Detailhandelskonzerne sind Migros (Hotelplan), die Nummer 1 in der Schweiz, und Rewe (DER Touristik), die Nummer 2 in Deutschland, bestens in der Lage, ihre Töchter durch die Krise zu retten. Zumal beide einen genossenschaftlichen Hintergrund haben und ihnen weder Analysten noch Anleger im Nacken sitzen.

Wenn Migros-Chef Fabrice Zumbrunn in der «Bilanz» sagt, «klar, die Reisebranche wird stark leiden», kommt das einem wohlwollend-gutmütigen Bekenntnis für Hotelplan gleich. In diese Richtung zeigt auch die Nominierung der E-Commerce-Expertin Laura Meyer als Gruppen-CEO-Nachfolgerin für Thomas Stirnimann, der die Reisetochter als Digital-Labor für den Konzern aufgestellt hat. Und in der Schweiz hat Tim Bachmann als neuer CEO die Pflöcke für eine schlankere Organisation und fokussiertere Produkte eingeschlagen.

Etwas anderes, aber nicht akut lebensbedrohlich, ist die Situation bei TUI Suisse. Dem börsenkotierten Mutterkonzern in Deutschland werden zwar auf absehbare Zeit die Investoren auf die Finger klopfen und er musste auch schon mehrmals Geld vom Staat erbitten, gilt aber wegen seiner Grösse als systemrelevant und wird von der Regierung in Berlin kaum fallen gelassen.

Richtig spannend wird es hingegen, bei den beiden Reiseunternehmen nach den Big Three hinzuschauen, bei der Globetrotter Group und Knecht Reisen. Sie sind, wie man sagen könnte, «in einem dummen Rank». Werden sie die Krise überstehen, und wenn ja, wie? Ein altes Phänomen in der Wirtschaftswelt ist, dass in der Krise die Grossen grösser werden, entweder, weil sie die Kleineren fressen, oder das erben, was diese hinterlassen, wenn sie vom Markt verschwinden.

Von diesen Kleineren gibt es zwei in der Schweiz, eben die Globetrotter Group und Knecht Reisen. Beide sind zu gross, um langfristig nur mit eigenem Geld und dem ihrer Besitzer über die Runden zu kommen. Aber sie sind auch klein genug, um einen Grossen zu interessieren. Und beide haben ein grosses Problem gemeinsam: Sie sind eher im Fernreise-Sektor engagiert, der wohl auf absehbare Zeit weiterhin am meisten leiden wird.

Globetrotter hat mit Diethelm Travel Holding und deren Besitzerin Diethelm Keller Holding, einem milliardenschweren internationalen Handelskonzern, ebenfalls eine finanziell hochpotente Mutter im Hintergrund. Diethelm Travel hält seit sieben Jahren 50 % an der Globetrotter-Gruppe, die andere Hälfte teilen sich der Gründer Walter Kamm und der Gruppen-CEO André Lüthi. Das Diethelm-Keller-Konglomerat ist ein Familienunternehmen, dessen Eigentümer, die Brüder Keller, als treue Investoren gelten.

Allerdings ist auch ihre Geduld nicht unendlich. Das hat sich im Spätsommer gezeigt. Diethelm Travel liess STA fallen, nach vielen Jahren und etlichen Millionen Verlust. Globetrotter hat Diethelm Keller in den letzten Jahren wahrscheinlich einen schönen Batzen abgeliefert. So zumindest stellte es Group-CEO Lüthi kürzlich in einem Interview TRAVEL INSIDE dar.

Jetzt, wo die guten Zeiten vorbei sind, geht es ans Eingemachte. Die Globetrotter-Gruppe mit zuletzt rund einer Viertelmilliarde Franken Umsatz ist über die Jahre stark gewachsen, auch mit Zukäufen von Firmen. Über ein Dutzend AG mit allem Drum und Dran sind heute in der Gruppe vereint – eine teure und aufwendige Struktur, die man sich bisher offenbar leisten konnte, sicher nicht mehr in der Zukunft. Denn der Kleinkonzern braucht frisches Geld – oder einen neuen Eigentümer. Und, wie man hört, laufen Gespräche im Hintergrund.

Zwei Assets hat Globetrotter, die grössere Reiseunternehmen interessieren könnten: einerseits ein Filialnetz mit hochengagierten Mitarbeitern und guten Standorten mit treuen Stammkunden. Das könnte alle drei Grossen interessieren. Andererseits hat Globetrotter eine ganze Palette von Spezialisten- Perlen, die mit einem Angebot von Sprachaufenthalten bis Ayurvedaund Yoga-Reisen ein hochspezialisiertes Segment mit lukrativen Nischenprodukten abdeckt. Ein Teil davon könnte zum Hotelplan-Brand Travelhouse oder auch zur Premiummarke Kuoni von DER Touristik passen.

Bei der Knecht Reisen AG, mehrheitlich in Familienbesitz, stellt sich die Frage anders. Übernimmt Mehrheitseigentümer Thomas Knecht die operative Führung, um das Unternehmen fit für eine Übernahme zu machen? Als ehemaliger McKinsey-Mann ist das eine seiner Kernkompetenzen – wohl mehr, als das tägliche Reisegeschäft. Hier hat die Konsolidierung früherer Firmen zu Marken bereits stattgefunden, auch personell ist das Kader schon um- und abgebaut worden. Interessant für allfällige Käufer sind auch bei Knecht die eigenen Filialen, auf die – anders als bei Globetrotter, der eine andere Geschäftsphilosophie hat – auch ein ausländischer TO ohne eigenes Filialnetz in der Schweiz ein Auge werfen könnte.

Interessant für einen ausländischen Investor wäre auch die Verbindung von Knecht mit den Reisebüros der TTS-Gruppe. Im Tour Operating gewänne Knecht beim Massengeschäft, ein deutscher TO mit Ambitionen in der Schweiz bekäme Zugang zu Premium- Fernreisen, mit denen sich sicher dereinst wieder ordentlich Geld verdienen lässt. Sicher, das Geld sitzt weder bei Schauinsland noch FTI so locker wie vor der Corona-Krise. Doch hinter FTI steckt inzwischen der ägyptische Milliardär Samih Sawiris – und der ist immer für eine Überraschung gut.

Was ist die Konsequenz? Die Schweizer Reisebranche wird noch stärker zweigeteilt aus der Krise kommen. Auf der einen Seite die kleinteilige KMU-geprägte Landschaft mit resistenten und innovativen Unternehmerinnen und Unternehmern. Und auf der anderen Seite weniger, dafür noch grössere Grosse. Das hat nicht nur wirtschaftliche Konsequenzen, sondern auch branchenpolitische Auswirkungen, welche die Branchenverbände mit ebenfalls neuen Strukturen und Ideen begleiten müssen. Es bleibt vermutlich kein Stein auf dem anderen! Ob sich dies nun positiv oder negativ ist, bleibt eine Frage der Betrachtung und eigenen Positionierung.

(Christian Maurer)