«Corona ist eine Chance!»

Insider-Kolumne von Peter Baumgartner: ehemals Swissair, Swiss und ex CEO Etihad Airways. Zuletzt als Senior Strategic Advisor Etihad Aviation Group tätig.

Die Corona-Krise als Chance für den Schweizer Tourismus

von Peter Baumgartner 

«Solidarität!» heisst es gerade überall, natürlich wegen Covid-19. Und das ist richtig. Aber: Klatschen von den Balkonen ist vergleichsweise einfach. Am ersten «gelockerten» Samstagabend sah es auf den Ausgehmeilen dann schon nicht mehr sehr solidarisch aus.

Ich hoffe für die Reisebranche inständig, dass Solidarität kein kurzlebiges Phänomen ist und nicht bereits im Kleingeldfach des eigenen Portemonnaies endet.  Unsere Tourismusindustrie ist darauf angewiesen, dass wir alle ein tieferliegendes Verständnis von Zusammenhalt vorleben.

Solidarität heisst hier: Sommerferien in der Schweiz! Ein Weekend-Trip ins Engadin oder nach Montreux und nicht nach London oder Paris. Oder zumindest, da sich in kürzlichen Ringkämpfen keine eindeutigen Sieger ergeben haben: Buchen mit Globetrotter oder Reisebüro Künzli und nicht Expedia oder lastminute.com. Fliegen mit SWISS, Helvetic und Edelweiss und nicht Qatar, Singapore oder Vueling.

Aber von nichts kommt nichts: Die Branche ist jetzt ganz besonders verpflichtet, in Chancen zu denken und zu handeln.

Wenn nicht hier, wo dann? Die Schweiz hat einzigartiges Potenzial: Die Marke «Schweiz» lebt von Werten wie Zuverlässigkeit und Verantwortungsgefühl dem Gast gegenüber – das sitzt in unseren (touristischen) Genen. Genau, was aktuell besonders gefragt ist! Und wer aus dem Lockdown kommt, schätzt Sauberkeit, gute Luft, Weitläufigkeit umso mehr.

Wenn nicht wir, wer dann? Auch unsere Reisebüros haben eine einmalige Chance: Niemand kennt Herr und Frau Schweizer und ihre Bedürfnisse besser! Nichts schafft mehr Vertrauen und Sicherheitsgefühl als ein persönlicher, unkomplizierter, kompetenter Service mit Kundennähe – das müssen wir können.

Wenn nicht jetzt, wann dann? Mit Mut, Stolz und Innovation nach vorne. Hat die Krise nicht auch zuletzt Chancen geschaffen, auf die wir fast nicht mehr zu hoffen wagten? Qualität hat wieder einen Namen – und verständlicherweise einen Preis. Das Glas ist also halb voll: Gehen wir mit opportunistischem Mut (fast hätte ich es gewagt, von «Killerinstinkt» zu sprechen) nach vorne – auch wenn das für mich leider allzu oft etwas unschweizerisch tönt.

Die Zeit ist definitiv reif für neue Ideen. Das heisst auch: wirklich individuelle Angebote. Und warum nicht ambitioniert denken: Für jedes Bedürfnis, für jedes Portemonnaie ein touristisches Produkt der Marke Schweiz im Regal. Die Renaissance des Individualproduktes!

Es liegt an der Branche, nicht am Gast, über Masken und Abstandsregeln hinauszudenken und Qualität, Verlässlichkeit, individuellen Service zum Leben zu erwecken; Angebote zu kreieren, die sich am zeitgeistlichen Bedürfnis der Kunden messen.

Ich frage mich auch, wo der nationale Think Tank mit den Big Shots der Branche ist, die zusammen an einem Strick ziehen und mit einem solidarischen Gefühl für Dringlichkeit ein echtes Innovations-Paket zum Wohle der ganzen Branche schnüren. Und wenn das ein wenig staatliches Geld kostet, dann ist dieses hier wohl besser investiert als in eine zeitlich fragwürdige «Das-machen-wir-eben-immer-so»-Imagekampagne, die uns wertvolle Zeit mit sinnlosen Grundsatzdiskussionen raubt.  Aufgepasst, die österreichischen Kollegen sind wohl diese Woche bereits in Klausur! Packen wir die Chance.

PS: Auch wenn einem Airliner wie mir das Herz blutet: Diesen Sommer zeigen Sue und ich unserem Sohn Jaxon die Schweiz! Die Wüste und Palmenstrände kennt er schon. Wenn nötig, rufe ich das auch von meinem Balkon.