Jetzt Hochsee-Kreuzfahrten empfehlen?

TRAVEL INSIDE-Umfrage bei Schiffsreisen-Veranstalter und -Spezialisten zu den Perspektiven im Cruise-Segment.
Vorläufig noch keine «Entwarnung» auf Kreuzfahrtschiffen. © BE
Beat Eichenberger, TRAVEL INSIDE Cruise-Spezialist

Seit rund einem Jahr steht die globale Cruise-Industrie weitgehend still. Vereinzelte Schiffe kehrten zwar nach der ersten Corona-Welle im letzten Sommer und Herbst in Europa wieder sachte und mit strikten Sicherheitsprotokollen aufs Wasser zurück, in der zweiten Welle schmolz das minimale Angebot aber wieder drastisch zusammen. Und die einzelnen Fahrten, die im asiatisch/pazifischen Raum aufgelegt werden, sind meist nur für lokale Märkte buchbar oder mit Quarantäne verknüpft.

Aktuell nur limitierte Optionen

Derzeit konzentrieren sich die Möglichkeiten vor allem auf die Kanarischen Inseln, wo TUI Cruises und Hapag-Lloyd Cruises regelmässige Fahrten auflegen; bald will auch Aida Cruises im Archipel in die neue Saison starten. Und im Mittelmeer ist aktuell nur MSC Cruises mit Italien-Fahrten aktiv, in Kürze wird aber auch Costa Cruises wieder loslegen. Auch in Nordeuropa sind wieder erste Fahrten möglich.

Man kann allerdings guten Mutes davon ausgehen, dass die Routenvielfalt europäischer Reedereien im Mittelmeer und in Nordeuropa ab Frühling wieder deutlich zunehmen wird – vorausgesetzt die Pandemie und die Einreise- und Quarantänebestimmungen lassen es zu. Die grossen amerikanischen Reedereien ihrerseits haben ihre Betriebspausen bis in den Vorsommer hinein verlängert, für weltweite Seereisen dürfte es noch einige Zeit schwierig bleiben.

Ungewisse Ausgangslage für 2021
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Cornelia Gemperle, Kuoni Cruises
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Wie wirkt sich diese nach wie vor ungewisse Ausgangslage auf die diesjährige Nachfrage bei den Kreuzfahrt-Spezialisten und Veranstaltern aus? «Zu Beginn des Jahres spürte man, dass die Leute ihre Ferien planen und sich auf etwas freuen wollten. Mit den danach verhängten Lockdown-Massnahmen wurde die Buchungslust aber wieder abgewürgt», gibt Cornelia Gemperle, Geschäftsführerin von Kuoni Cruises, zu Protokoll.

Derzeit sei es nach wie vor schwierig, den Kunden verlässliche Informationen zu vermitteln, weil noch weitgehend unklar sei, welche Häfen und Länder überhaupt Kreuzfahrtschiffe zulassen werden. «Ich rechne damit, dass das östliche Mittelmeer gute Chancen für den Neustart hat, während dies im westlichen Mittelmeer mit Anlaufhäfen in verschiedenen Ländern komplizierter sein dürfte», urteilt Gemperle.

George Studer, Geschäftsführer Cruisecenter
©Cruise Center

«Die Nachfrage für Schiffsreisen ist da, insbesondere bei den Stammkunden», sagt George Studer, Geschäftsführer von Cruisecenter. Einerseits wollen Kunden nun ihre Future Cruise Credits für abgesagte Reisen im Jahr 2020 einlösen, andere möchten sofort wieder in See stechen und lassen sich nicht durch behördliche Massnahmen und Schutzvorkehrungen beirren. Diesen Kunden empfiehlt er eine Mittelmeer-Kreuzfahrt, die leicht mit dem eigenen PW erreicht werden kann, oder für eine jüngere Kundschaft Segeln und Yachting im östlichen Mittelmeer.

Es sei aber nach wie vor sehr viel Aufklärungsarbeit notwendig und oft recht frustrierend, die Kunden wegen Verschiebungen immer wieder vertrösten zu müssen, sagt Studer: «Je länger der Shutdown dauert, desto kürzer wird die Buchungssaison 2021». Mehr Planungssicherheit erhofft er sich deshalb für das Kundensegment, das längerfristige Optionen verfolgt und inspiriert werden möchte.

Roman Pfister, Cruisetour
© Geri Born

Bei Cruisetour verkauft man derzeit auf eher geringem Niveau vor allem Last-Last-Minute auf kleineren Schiffen, die derzeit in den Kanaren kreuzen. «Generell gesehen konzentriert sich die Nachfrage in diesem Jahr auf Sommer und Frühherbst mit Fahrten im Mittelmeer und in Nordeuropa», sagt Geschäftsführer Roman Pfister. Die Nachfrage seit zwar unter einem «Normaljahr», das Buchungsverhalten bewege sich aber tendenziell ansteigend.

Bianca Gähweiler, Hotelplan
© Hotelplan

Bei Hotelplan rät man den Kunden, Kreuzfahrten aktuell kurzfristig zu buchen, das heisst mit einer Vorlaufzweit von bis zu zwei Wochen. «Der Verlauf der Pandemie kann niemand vorhersagen, weder wir noch die Reedereien», sagt Pressesprecherin Bianca Gähweiler. Ob die geplanten Kreuzfahrten in diesem Jahr durchgeführt werden, hänge stark vom Verlauf der Pandemie und in diesem Zusammenhang auch mit den Einreisebestimmungen der verschiedenen Länder ab.

Attraktive Preise locken

Um das Geschäft wieder anzukurbeln, werde es aber bestimmt noch kurzfristige Aktionen und Promotionen der Reedereien geben, ist Studer (Cruisecenter) überzeugt. Nur: «Je schneller sich die Krise stabilisiert, desto rascher werden die Preise wieder steigen, denn die Situation der Reedereien ist nach einer derart langen Betriebspause nicht einfach». Er geht aber auch davon aus, dass der Preiskampf im Mainstream-Segment unverändert intensiv bleiben wird.

«Schnäppchen erhält man aktuell bei fast jeder Reederei mit grossen Kapazitäten, während Schiffe mit tieferer Passagierzahl zu üblichen Preisen erhältlich sind, da und dort aber mit einem Upgrade oder einem anderen Vorteil verknüpft», bestätigt auch Gemperle (Kuoni). Wer genau wisse, welche Kreuzfahrt er unternehmen möchte, sollte jetzt buchen und sich seine Lieblingskabine jetzt sichern. Denn: «Sollte ein Boom für kurzfristige Reisen ausbrechen, was nicht ausgeschlossen ist, können die Preise rasch wieder ansteigen», gibt sie zu bedenken.

Pfister (Cruisetour) hält schliesslich zum aktuellen Preisbild fest: «Das Niveau liegt aktuell unter Vergleichsjahren. Entsprechend lohnt es sich jetzt auch, davon zu profitieren». Auch die attraktiven Umbuchungsmöglichkeiten bei einer Reise-Verschiebung oder -Absage würden derzeit für rasches Buchen sprechen. Auch bei Hotelplan bestätigt Gähweiler, dass die Preise im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit aktuell verhältnismässig tief seien.

Kulante Umbuchungsbedingungen

Es wurde angetönt: Weil derzeit noch vieles ungewiss ist, kommt den Storno- und Umbuchungsbedingungen der Reedereien derzeit besonderes Gewicht zu. Generell ist es so, dass bei einer Absage durch den Kunden wegen einer Corona-Erkrankung dasselbe gilt wie bei einem Unfall oder einer anderen Krankheit. «Deshalb empfehlen wir dringend eine Reiseversicherung mit Schutz bei einer Covid-bedingten Absage», sagt Cornelia Gemperle.

«Oft lässt sich aber auch mit der Reederei als Alternative eine kostenlose Umbuchung arrangieren, wobei hier das Reisebüro die Kunden zusätzlich unterstützen kann», ergänzt Roman Pfister. George Studer weist in diesem Zusammenhang aber darauf hin, dass man in jedem Falle die Konditionen genau prüfen soll, da es erhebliche Unterschiede zwischen einer kostenlosen Umbuchung und einer keineswegs kostenlosen Stornierung gebe.

Bei Cruisecenter hat man deshalb in Zusammenarbeit mit der Allianz-Versicherung ein «Sorglos»-Versicherungspaket mit Corona-Schutz geschnürt. «Ausserdem bezahlen bei uns die Kunden bei Neubuchungen nur eine Anzahlung von 200 Franken, respektive bei längeren Fahrten von zehn Prozent», ergänzt Studer.

Wird die Reise durch die Reederei abgesagt, ist die Lage einigermassen klar: Der Kunde kriegt das Geld zurück oder er kann kostenlos umbuchen, «wobei vielerorts noch ein ‘Zückerchen’ in Form eines zusätzlichen An-Bord-Guthabens für eine nächste Kreuzfahrt zur Anwendung kommt», unterstreicht Gemperle.

Schutzkonzepte bewähren sich

Möglichen Befürchtungen, auf einer Kreuzfahrt mit einer Corona-Erkrankung konfrontiert zu werden, begegnen die Reedereien längst mit (auch behördlich verordneten) strikten Covid-Massnahmen. Dazu gehören unter anderem eine deutlich reduzierte Auslastung der Schiffe, negative Covid-Tests von Passagieren und Crew, Maskenpflicht im Innern, neue Abläufe um Ansammlungen zu vermeiden, keine Self-Service-Buffets mehr, intensive Reinigung und Desinfektion an Bord und Landausflüge ausschliesslich in der geschützten Gruppe («Bubble»).

«Bis anhin haben wir von unseren Kunden noch keine negativen Rückmeldungen erhalten», kann Gähweiler zu den bisherigen Erfahrungen mit den Schutzkonzepten mitteilen. Und Pfister ergänzt: «Die Konzepte der bisherigen Reisen wurden mit langer Vorlaufszeit konzipiert und simuliert, entsprechend haben die Konzepte die Erwartungen der Kunden bisher sogar übertroffen».

Ähnliches kann Gemperle vermelden: «Persönlich war ich leider noch nicht an Bord, aber Mitarbeitende von mir bestätigen, dass die Konzepte der Reedereien rigoros eingehalten werden. Gleiches hören wir von gereisten Gästen». Der Tenor gehe gar dahin, dass man an Bord geschützter sei als zu Hause.

Auch Studer spricht von «hervorragenden» Schutzkonzepten der Reedereien, die von den Kunden unterstützt und geschätzt würden. «Auch wenn es eine 100-prozentige Sicherheit nie geben kann, sind die momentan geltenden Einschränkungen an Bord nicht grösser als im Alltag in der Schweiz». Die äusserst seltenen Covid-Fälle mit umgehender Isolation und medizinischer Versorgung der Betroffenen sowie Tests aller Gäste belegen zudem, dass die rigiden Massnahmen an Bord funktionieren.

Gute Perspektiven für 2022/23

Von Interesse ist natürlich auch der Blick über das aktuelle Cruise-Jahr hinaus auf die nächsten Jahre. «Wir hoffen und gehen davon aus, dass sich die Situation im nächsten Jahr wieder einigermassen normalisiert – vorhersagen kann das aber niemand», sagt Gähweiler. Sie empfiehlt aber, die entsprechende Planung rechtzeitig in Angriff zu nehmen: «Insbesondere die besten Kabinen-Kategorien sind teilweise sehr schnell ausgebucht, daher kann es sich lohnen, die Buchung bereits jetzt vorzunehmen».

Für Pfister spricht noch ein anderes Argument dafür, sich jetzt um mittelfristige Seereisen zu kümmern: Die zum Teil sehr attraktiven Frühbucher-Rabatte, welche verschiedene Reedereien derzeit auflegen. «Tatsächlich ist die Nachfrage für 2022 und 2023 erfreulich. Hier werden vor allem längere Reisen gebucht, so auch Weltreisen und Teilstrecken davon», sagt Pfister.

Auch bei Cruisetour wird mittel- und längerfristig gebucht. «Im Trend sind etwa Südamerika, die Südsee, Australien, die Antarktis, Positions- und Weltreisen oder Transatlantikfahrten», sagt Studer. Er empfiehlt, solche Reisen in den nächsten zwei, drei Monaten zu buchen, denn die Kapazitäten hätten sich verringert und ab 2022 sei mit einer Preissteigerung ab sieben Prozent zu rechnen. «Auch Familien sollten sich deshalb bereits jetzt Gedanken zu einer geplanten Sommer- oder Herbstkreuzfahrt im 2022 machen», rät er.

«Die Nachfrage für 2022 und 2023 ist da, aber noch nicht auf dem gewohnten Niveau», hält schliesslich Gemperle fest. Auch hier sind es vor allem längere Reisen und exotische Destinationen, die im Vordergrund stehen. Wie in «normalen» Zeiten bucht jetzt vor allem, wer explizit eine bestimmte Suite oder Kabine wünscht oder eine Kreuzfahrt mit wenigen Abfahrtsterminen ins Auge fasst. «Aber auch die Hoffnung, dass der Fahrplan gemäss Ausschreibung eingehalten werden kann, ist ein wichtiges Argument», sagt Gemperle.

(Beat Eichenberger)


«Game Changer» Impfpflicht?

Derzeit ist noch ein negativer Covid-Test Voraussetzung für den Zutritt auf ein Schiff. Doch inzwischen stellt sich die Frage, ob dazu bald eine Covid-Impfung notwendig sein wird, wie dies erste Reedereien bereits angetönt haben. «Ja, es könnte sich in diese Richtung entwickeln», glaubt Cornelia Gemperle. Vor allem für die Crew wird wohl eine Impfpflicht bald Standard, ist sie überzeugt.

Für die Passagiere dürften Impfungen vor allem dann ein Thema werden, wenn angelaufene Länder einen solchen Nachweis verlangen, wie dies da und dort bereits diskutiert oder gar in Aussicht gestellt wird. Dieser Hinweis auf die Bestimmungen von Häfen ist auch für Roman Pfister der ausschlaggebende Punkt.

George Studer ist da aber noch etwas kritischer eingestellt: «Eine generelle Covid-Impfung kann ich mir mit Ausnahme für gewisse Risikogruppen mit Vorerkrankungen oder ab einer bestimmten Altersgrenze derzeit nicht vorstellen». Und für Bianca Gähwiler würde eine Impfpflicht fürs Reisen nur dann Sinn machen, wenn auch genügend Impfdosen zur Verfügung stehen. Nicht zuletzt würden ansonsten die Reedereien, die nun dringend auf Gäste angewiesen sind, einen Teil davon ausschliessen.

Entscheidend dürfte aber die derzeit noch ungeklärte Frage sein, ob Geimpfte nicht nur sich selber schützen, sondern tatsächlich auch das Virus nicht mehr weitergeben können. «Solange dies nicht klar ist, wird es keine Impfflicht geben», ist Cornelia Gemperle deshalb überzeugt. Und nicht zuletzt müsste ein «Impfzwang» auch  gesellschaftlich breit akzeptiert sein. (BE)