Jürg Müller: «Sehr wahrscheinlich hat es zu viele Airlines am Himmel»

Jürg Müller, Country Manager Emirates Switzerland und Präsident des Boards of Airline Representatives Switzerland (B.A.R) im TRAVEL INSIDE Interview mit Journalist Kurt Schaad.
Jürg Müller,Country Manager Emirates Switzerland und Präsident des Boards of Airline Representatives Switzerland (B.A.R). © TRAVEL INSIDE

Der Eingang zu den Büros von Emirates ist mit Plakaten verstellt, die normalerweise in einem Schaufenster stehen und Lust auf Reisen machen sollen. Jetzt verwehren sie den Zutritt zum Schweizer Hauptsitz und signalisieren: nichts ist mehr normal in diesen Tagen. Jürg Müller öffnet von innen eine versteckte Nebentüre und führt durch eine verlassene, grosszügige Bürolandschaft. In seinem Büro mit fantastischer Sicht auf den Flughafen Zürich hebt während des ganzen Gesprächs eine einzige Maschine auf der Piste 16 ab. Die Piste, auf der normalerweise um diese Zeit fast im Minutentakt Maschinen in andere Kontinente abheben.


Jürg Müller, eine tolle Aussicht, gepaart mit Einsamkeit. Schon etwas seltsam?

Es ist schon ein seltsames Gefühl. Normalerweise arbeiten hier 20 bis 25 Leute. Jetzt sind es zwei bis drei. Die ganze Belegschaft ist in Kurzarbeit. Die Zahlen erholen sich ein wenig, aber nur sehr langsam. Da muss man sich immer wieder einen neuen Motivationsschub geben. Ich bin grundsätzlich positiv eingestellt. Und in den täglichen Videokonferenzen sehe ich, wie die Mitarbeitenden darauf brennen, wieder mehr zu arbeiten.

Ihr Geschäft ist in erster Linie das Langstreckengeschäft. Die IATA hat verlauten lassen, dass man in diesem Bereich frühestens 2024 zur Normalität zurückkehren kann. Das macht sicher keine Freude.

Natürlich nicht, aber es ist realistisch. Die Langstrecke ist in einer grösseren Misere. Gleichzeitig ist die Wertschätzung gegenüber der Luftfracht massiv gestiegen. Wenn man fliegt, ist man auf Gedeih und Verderben auf eine gut funktionierende, gut zahlende Luftfracht angewiesen. Die hat uns in den letzten paar Monaten «gerettet». Nach den generellen Groundings hat man gemerkt, wie die Nachfrage im Luftfrachtgeschäft spielt. Die Preise an gewisse Destinationen hatten sich von heute auf morgen verzehnfacht. Jetzt sind wieder mehr Flieger in der Luft und schon sind die Luftfrachtpreise wieder unter Druck. Die sinkenden Margen müsste man jetzt wieder ergänzen mit steigenden Passagierzahlen. Das ist aber noch schwierig und immer noch sehr fragil.

Das Europageschäft scheint wieder etwas anzuziehen. Das betrifft Sie aber nicht.

Es werden schon einzelne Türchen wieder aufgemacht. Aber eben: einzelne Türchen

Es ist wie ein Schachspiel, wo du zwischenhinein immer wieder mal «Schach!» bist. Grenzöffnungen sind so ein Thema, das ausserhalb unserer Kontrolle ist. Wenn du das Gefühl hast, wieder etwas mehr Verkehr generieren zu können: zack, geht die Grenze wieder zu.

Zum Beispiel Australien, das wir regelmässig anfliegen konnten und gut gelaufen ist. Dann hatten die Behörden Probleme mit der Bewältigung der Quarantänevorschriften, was dazu führte, dass den Airlines ein sehr kleines Maximum an ankommenden Passagieren pro Flug vorgeschrieben wurde. Daraufhin mussten wir das Australiengeschäft entsprechend anpassen. Die Nachfrage wäre da, aber sie kollidiert häufig mit den politischen Entscheidungen. Die Unsicherheiten bleiben und wir müssen lernen, damit zu leben. Aber wenn jede Regierung ohne Koordination Regeln erlässt und sie dann gleich von einem Tag auf den andren umsetzt, ist das äusserst schwierig für unser Geschäft. Mühsam aufgebautes Vertrauen geht dann schnell wieder verloren.

Es scheint, als ob Sie dieses Vertrauen auch mit dem Angebot einer Corona-Versicherung wiederaufbauen wollen. Erhoffen Sie sich davon einen Wettbewerbsvorteil?

Es ist sicher eine Massnahme, um mehr Vertrauen zurückzubringen. Bei unseren Kunden kommt das gut an. Seit dem 1. August muss man in Dubai auch einen höchstens drei Tage alten, negativen Covid Test vorweisen, auch für Transits. Bis jetzt funktioniert das gut und schafft aus unserer Sicht weiteres Vertrauen seitens der Reisenden. Es erinnert mich an das gelbe Impfbüchlein, in dem man beispielsweise seine Gelbfieberimpfung vorweisen musste. Das ist jetzt die neue Normalität. Eine Massnahme, um mehr Vertrauen zurückzubringen. Aber wir müssen uns daran gewöhnen und die Prozesse verbessern. Da könnte übrigens auch die Branche etwas aktiver kommunizieren im Sinn von «die Branche empfiehlt folgendes: …

… Das Gespräch wird durch einen startenden A330 der Swiss unterbrochen (Anmerkung des Interviewers) …

… Schauen sie mal – ein Flugzeug. New York sehr wahrscheinlich. Und sehr wahrscheinlich nicht ausgebucht.

Auch die Emirates-Flieger werden wohl kaum voll sein.

Der Durchschnitt ist schon ganz ok, aber nicht, wo wir sein wollen. Wichtig ist aber auch, dass wir Zürich und Genf wieder regelmässig anfliegen, Zürich täglich und Genf 3x die Woche. Und wie gesagt, die Passagiere ergänzen im Moment das sehr gute Frachtgeschäft.

Wir waren bei der Branchenkommunikation.

Es gibt Leute, die reisen wollen. Wenn wir mehr und besser als Branche informieren würden, könnte das auch mehr Vertrauen zurückbringen. Man muss aber auch unmissverständlich sagen: Jeder war und ist in einer sehr schwierigen Situation. Die Branche stand in der Kritik mit dem Thema Refunds. Wenn wir das ganz normal gemacht hätten, wären die Systeme explodiert. Welcher Finanzchef, der nichts mehr verkauft, hätte das zugelassen?

Den Vorwurf: Ihr könnt euch doch nicht durch Ticketverkäufe vorfinanzieren muss man so stehen lassen. Er zeigt, wie knifflig das Geschäftsmodell ist. Auch Emirates ist übrigens in Bezug auf die Refundprozesse seit dem 1. August wieder auf Normalbetrieb, d.h. Refunds via GDS sind wieder möglich.

Die Geschäftsmodelle der Airline-Branche sind generell nicht krisenresistent.

Das ist so mit diesen Margen. Wenn die Branche 4 bis 5 Prozent Marge in einem guten Jahr macht, ist man schon zufrieden. Das ist historisch so gewachsen. Und jetzt ist der Zeitpunkt, um das zu hinterfragen. Die Amerikaner mit ihrem Oligopol haben sensationell gut gearbeitet. Mit Margen von 15%. Und jetzt sitzen sie im genau gleichen Boot. Hängen am Staatstropf wie fast jede Airline auf der Welt. Eine Kapitaldecke von 10/15 Milliarden sollte im Normalfall reichen. 50% der Kosten hast du sowieso. Und wenn du einen Flottenpark von Dutzenden Milliarden finanzieren musst, aber gerade keine Einnahmen hast, dann wird die Diskussion mit Kapitalgebern und Leasingfirmen spannend.

Ich nehme an, dass der Staat auch Emirates unterstützt.

Das ist so. Das Ausmass ist aber nicht bekannt. Das wird nicht kommuniziert. Ich weiss es nicht. Emirates gehört dem Staat, welcher sicherlich ein Interesse an einer weiterhin gut funktionierenden Airline hat. Es ist sicher eine wohlwollende Unterstützung. Welcher Staat ist bereit, Systemrelevanz anzuerkennen? Man sieht: es sind ganz viele. Daneben kämpfen zum Beispiel in Europa die Lowcost Airlines gegen diese Staatssubventionen. Auch das verstehe ich.

Der Wettbewerb wird noch mehr verzerrt. Siehe Alitalia, denen mit der Coronakrise wohl nichts besseres hätte passieren können. Oder South African Airways, Air Mauritius….

Wie schon gesagt, jeder Staat ist nun gefordert in Bezug auf die vermeintliche Systemrelevanz der jeweiligen „nationalen“ Airline. Das führt kurz- und mittelfristig sicherlich auch zu Wettbewerbsverzerrungen. Eine komplexe Frage. Aus volkswirtschaftlicher Sicht – auch aus meiner Branchensicht – profitieren wir alle, wenn die Schweiz eine Swiss sowie wichtige Partner der Aviatikinfrastruktur unterstützt.

Bei Emirates soll es 9’000 Entlassungen geben.

Das habe ich auch so gelesen. Ich weiss es nicht. Aber es ist schon so, dass wir uns leider von vielen guten Leuten trennen mussten. In der Schweiz sind wir noch stabil mit dem Mechanismus der Kurzarbeit. Aber: was bringt die Zukunft?

Emirates hat viele Leute angezogen mit der Offerte, gratis in Dubai wohnen zu können und keine Steuern zahlen zu müssen. Das sind auch die, denen man kurzfristig sagen kann, tut uns leid, ihr müsst wieder gehen.

Wie die Entscheidungen getroffen wurden kann und will ich nicht kommentieren.

Gratis wohnen und keine Steuern zahlen sind eigentlich indirekte Subventionen.

Hören Sie auf mit dem Thema Subvention. Ich weiss seit 13 Jahren, welchem Produktivitätsdruck wir ausgesetzt sind. Thema Kosten reduzieren, Verkaufszahlen erhöhen, Servicequalität verbessern…

So funktioniert die Aviatikwelt.

Und die funktioniert zur Zeit mit einer enormen Dynamik, die viel Druck bringt. Ein Grounding geht ganz schnell, aber den Flugbetrieb langsam wieder hochzufahren ist äusserst anspruchsvoll. Ich bewundere die Leute, die das machen. Mittlerweile sind wir bei 68 Destinationen, die wieder regelmässig angeflogen werden. Ein Aufbau mit Anschlussverkehr ist ein ungeheurer Challenge. Mit welchen Wochentagen fängt man wieder an? Was ist das Beste für die Fracht? Die hat eine andere Dynamik. Am Wochenende ist der Zoll zu. Alles unter einen Hut bringen ist eine grosse Herausforderung.

Für uns ist wichtig, dass Dubai wieder offen ist. Dubai war in den letzten Jahren enorm attraktiv in allen Bereichen mit einem enormen Volumen. Sechs Stunden Flugzeit ist schon fast eine Konkurrenz zu den europäischen Städtereisen. Dubai machte 35 bis 40 Prozent des in der Schweiz generierten Verkehrs aus. Mit diesen Zahlen bist du nicht mehr so abhängig, Destinationen über Dubai hinaus zu Tiefstpreisen verkaufen zu müssen. Machst du in diesem Kampf mit, z.B. nach Bangkok, wo fast einzig der Preis zählt? Wir haben uns, wie bei anderen Destinationen auch, dagegen entschieden. Deshalb ist es wichtig, dass Dubai wieder funktioniert. Das wird auch zuerst wiederkommen.

Wie realistisch ist es, dass man das, was man gehabt hat, wieder zu wollen? Ist es richtig, den Zustand zurückzuwollen, den man vor Corona hatte?

Das verlange ich nicht. Vieles hängt vom Angebot in den jeweiligen Zielländern ab. Wir fliegen nicht täglich nach Bali oder nach Phuket, nur weil wir das cool finden. Wir fliegen dorthin, weil es ganz viel Verkehr hat, weil es eine Tourismusinfrastruktur gibt, die europäische Kunden hereinholen will – darauf basiert unser Angebot. Wenn gewisse Destinationen jetzt eher auf dem Bremsklotz stehen, um die Gelegenheit zu nutzen, Qualität/Anzahl Gäste zu optimieren, dann sind das zu diesem Zeitpunkt gerechtfertigte Überlegungen.

Die Airline Industrie wird sich dem Angebot anpassen müssen. Man muss nicht dorthin kommen, wo man mal war, aber das ist nicht unsere Entscheidung als Luftfahrtbranche. Das hängt davon ab, wie sich die Destinationsländer geben. Sehr viele Länder sagen ja ihren Bürgern: bleibt doch zu Hause. Auf einmal hast du Schweiz Tourismus als Gegner. Eigentlich sollten die unsere Freunde sein. Wir bringen ihnen normalerweise viele Gäste aus dem Ausland.

Survival of the fittest?

Unsere Industrie ist in vielen Ländern als systemrelevant deklariert worden. Deshalb geht es im Moment weniger um die Fitness sondern primär um das kurz- und mittelfristige Überleben. Subventionen können nicht in einem Endlosband daher kommen. Das ist dann der Zeitpunkt, an dem konsolidiert werden muss. In welcher Art und Weise? Ich weiss es nicht.

Sagen Sie mir, wo die Konsolidierung stattfindet, solange die nationalen Interessen übergelagert sind. Vieles hängt davon ab, wer sich wie erholen kann. Wer den Schnauf hat, woher der Schnauf auch immer kommt. Sehr wahrscheinlich hat es zu viele Airlines am Himmel, wo der Kampf im Gang ist zwischen historisch gewachsenen Airlines und neueren, frecheren Gebilden, die es aber auch nicht einfach haben im Moment.

Veränderungen werden so oder so kommen.

Wenn die Nachfrage in einem vernünftigen Rahmen nicht zurückkommt, heisst das vor allem: vieles wird kleiner. Gesundschrumpfen ist aber auch nicht immer die beste Methode. Wir sind nach wie vor gut positioniert wegen der Verkehrsachsen, die wir bedienen, dank denen wir stark gewachsen sind. Es war ein tolles Geschäft und wird es hoffentlich wieder. Wie weit es zurückkommen wird, weiss ich, Stand heute, nicht.

(Interview: Kurt Schaad)