Legal Matters: Reisefreiheit und das Recht

Die Reiserecht-Kolumne von Dr. iur. Peter Krepper, Rechtsanwalt und Mediator.
Peter Krepper ©zVg

Menschenrechte spielen nicht nur in China oder am Persischen Golf eine Rolle. Auf Deutsch werden sie auch Grundrechte genannt. In Basel wird bald abgestimmt über Grundrechte für nicht-menschliche Primaten.

Aber bleiben wir in dieser Kolumne bei den Menschen. Unsere Bundesverfassung (BV) garantiert uns im Rahmen des Grundrechts auf Persönliche Freiheit (Artikel 10 Absatz 2) Bewegungsfreiheit.

Die Covid-19-Pandemie-Massnahmen von Bund und Kantonen zeigen, dass Grundrechte, wie dieses und wie alle Rechte, nicht absolut gelten. Zunächst einmal sind sie historisch konzipiert worden als sogenannte Abwehrrechte gegenüber einem übermächtigen Staat – was bei der französischen Revolution im absolutistischen Königreich keiner näheren Begründungen bedurfte. Seit der Totalrevision der BV 1999 entfalten sie ausdrücklich auch Drittwirkungen:

Die Grundrechte müssen in der ganzen Rechtsordnung zur Geltung kommen und die Behörden sorgen dafür, dass sie, soweit sie sich eignen, auch unter Privaten wirksam werden. Damit sind wir inmitten der Fragen und Relativierungen angelangt, welche derzeit nicht nur einige tausend entspannte Demonstrant*innen gegen Impf- und Zertifikat-Pflichten da und dort bewegen, sondern auch fundamentale Corona-Leugner.

Oder eben nicht bewegen, es ihnen nicht mehr erlauben, zu gehen, wohin man will. Reisen ist ohne Bewegung nicht möglich, wenn wir hier mal das innerpersönliche, gedankliche, spirituelle Reisen usw. ausklammern. Die Reisefreiheit beginnt vor der eigenen Türe. Sie führt mitunter nur über die Strasse in die nächste Beiz. Oder eben auch rund um den Globus. Und sie wird seit März 2020 ebenso weitherum massiv eingeschränkt; durch Behörden ebenso wie durch Private, zum Beispiel Luftfahrtgesellschaften, die nicht mehr (überall hin) fliegen oder die nicht jedermann dahin mitnehmen (dürfen).

Die BV garantiert uns weitere Grundrechte. Dazu zählt zum Beispiel das Recht auf Hilfe in Notlagen, mit Betreuung und den Mitteln, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind (Artikel 12). Unsere Behörden argumentieren, dass wider eine potentiell für uns alle gefährliche Überlastung der Notfallstationen in den Spitälern die Massnahme Zertifikatspflicht 3G zur möglichsten Eindämmung der weiteren Verbreitung des Virus nötig sei.

Dass unsere demokratisch gewählten Regierungen zu solchen Einschränkungen unserer Bewegungsfreiheit legaler Weise berechtigt sind, steht für den Verfassungsrechtler mit Blick auf Artikel 36 BV ausser Frage. Das Verbot von Willkür (Artikel 9 BV) wird sodann nicht verletzt, da die Zertifikatspflicht für alle gleich gilt – wobei es auch nicht in der Macht und Verantwortung des Staates steht, wenn einzelne Personen sich aus medizinischen Gründen nicht gegen Covid impfen lassen sollten.

Wider ein derzeit zu beobachtendes Überborden individualistischer, um nicht zu schreiben egoistischer, Forderungen nach der eigenen totalen Bewegungsfreiheit ist festzuhalten, dass etwa auch die Fluggesellschaften sich lediglich ans geltende Recht halten, indem sie, oder die vorgelagerten Verantwortlichen im Flughafen, strikt Zertifikate von Reisewilligen verlangen, und ansonst Durchgang und Transport verweigern.

Ob die Zertifikatspflicht im Übrigen wirklich nötig ist, um uns allen die Möglichkeit einer Aufnahme in einer medizinischen Notfallstation offen zu behalten, ist eine andere Frage; die nicht zu verwechseln ist mit einer Impfpflicht, die nicht besteht. Hier spielt unsere persönliche Freiheit uneingeschränkt – wie aber stehts mit der korrespondierenden persönlichen Verantwortung?

In Notzeiten eigene Wege durchzuziehen, kann Sinn machen. Eines der vielen Menschenrechte, hier die Reise- und Bewegungsfreiheit, zu verabsolutieren, ist hingegen von Rechts wegen nicht vorgesehen.

Auf diese Orientierung zum humanitären Ausgleich hin dürfen wir stolz sein. Wer derzeit nicht überallhin Einlass finden kann, mag sich damit trösten, dass auch diese Pandemie vorübergehen wird; je mehr Menschen sich im Bestreben nach einer geordneten Abwehr des Virus und seiner Folgen an die Zertifikats-Pflicht halten, umso rascher, wie ich annehme.


Dr. iur. Peter Krepper lebt und arbeitet als Rechtsanwalt und Mediator in Zürich.

Fragen an peter.krepper@ksup.ch