«Ökologie und Ökonomie sind in der Reisebranche kein Widerspruch»

Sergio Colella, President Europe von SITA, äussert sich zu den technischen Lösungen in den Bereichen Nachhaltigkeit und Effizienzsteigerung rund um die Flugbranche.
Sergio Colella, President Europe, SITA

Die weltweite Luftfahrtbranche ist besonders gefordert wenn es um die Reduzierung des ökologischen Fussabdruck geht und steht gleichzeitig vor grossen Herausforderungen wie Kostensteigerung und Personalmangel.

SITA, einer der weltweit grössten Dienstleister in der Aviatikbranche, entwickelt technische Lösungen sowohl für den Flug- als auch für den Flughafenbetrieb. Wie diese aussehen erklärt deren President Europe, Sergio Colella im nachfolgenden Interview.


Sergio Colella, wie bewältigt die Reisebranche scheinbar widersprüchliche Anforderungen wie die Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks bei gleichzeitiger Erzielung erheblicher geschäftlicher Vorteile und finanzieller Einsparungen? Was kann getan werden, um das Tempo des nachhaltigen Wandels zu beschleunigen?

Wir sehen diese Forderungen nicht als widersprüchlich. Es liegt auf der Hand, dass betriebliche Effizienz der Reisebranche helfen wird, unmittelbare und gleichzeitige finanzielle und ökologische Vorteile zu erzielen.

Ein Beispiel: Die Verbrennung fossiler Brennstoffe trägt am stärksten zu den Emissionen  bei. Daher ist die Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen ein zentraler Punkt um die CO2-Neutralität der Branche bis 2050 zu erreichen. Treibstoff ist auch einer der höchsten Kostenfaktoren und wir beobachten, dass immer mehr Fluggesellschaften digitale, präskriptive Lösungen zur Treibstoffeinsparung an Bord einführen. Die Reduzierung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe bringt mehrere Vorteile mit sich: Steigerung der Produktivität, Rationalisierung des Betriebs und Minimierung der Kosten und des CO2-Ausstoss.

In diesem Bereich unterstützt SITA. Unsere Lösung SITA OptiFlight® beispielsweise senkt den Treibstoffverbrauch und die Kosten und begrenzt die CO2-Emissionen von Flugzeugen in wichtigen Flugphasen. Sie optimiert Starts, Sinkflüge und Flugrouten mithilfe von maschinellem Lernen, historischen Daten und Echtzeit-Updates zu Wetter, Gegen- und Rückenwind. Die Lösung liefert Piloten optimale Empfehlungen für die Routenanpassungen.

Wir weiten die Lösung auf Fluglotsen aus, um eine bessere Zusammenarbeit zwischen Fluggesellschaften und Flugsicherungsdienstleistern zu ermöglichen. Dieser ganzheitlichere Ansatz erleichtert es den Fluglotsen, Anfragen von Piloten zu genehmigen, um optimale Umleitungsempfehlungen zu erhalten und so den Treibstoffverbrauch, die Emissionen und die Kosten zu senken.

Schätzungen zufolge könnte der Luftverkehr 5,6 Millionen Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr vermeiden, wenn alle Fluggesellschaften der Welt allein nur die Steigphase eines Fluges optimieren würden. Wenn man bedenkt, dass eine Tonne Treibstoff heute über 1000 Dollar kostet, sind die Kostenvorteile  erheblich.

Wie würde eine nachhaltigere Zukunft für die Reisenden von heute aussehen?

Bis zum Jahr 2050 mag sich das Reiseerlebnis an einem Flughafen oder in einem Flugzeug mit den Lösungen der Branche für eine CO2-Neutralität erst einmal nicht sonderlich sichtbar verändern – wenn wir zum Beispiel bedenken, dass der Treibstoff an Bord eines Flugzeugs nicht mehr aus fossilen Brennstoffen besteht, sondern zu 100 % aus nachhaltigem Flugbenzin, oder dass der Flughafenbetrieb mit erneuerbaren Energien statt mit fossilen Brennstoffen betrieben wird.

Der Unterschied zwischen dem Passagier von heute und dem Passagier von morgen ist die stärkere Automatisierung. Dies ist der Schlüssel zur Zufriedenheit der Passagiere, zur Erzielung von Effizienzgewinnen – Kohlenstoff- und Kosteneinsparungen – und zu einem nahtloseren Reiseerlebnis angesichts der prognostizierten Zunahme des Reiseaufkommens.

Darüber hinaus werden Reisende mit dem Aufkommen der urbanen Luftmobilität neue Formen des nachhaltigen Reisens kennenlernen, die ihnen mehr Auswahlmöglichkeiten für ihre Reisen bieten.

Wie haben sich die Auswirkungen der Cornona-Pandemie auf die Fähigkeit der Branche ausgewirkt, nachhaltige Ziele zu erreichen? Ist Technologie genug? Kann die Digitalisierung allein die vielfältigen Anforderungen übertreffen, die nachhaltige Ziele an eine kostenintensive Branche stellen?

 Nach dem Ende der Covid-19-Pandemie sah sich die Branche mit erschöpften Ressourcen und Personalengpässen konfrontiert, während die Reisetätigkeit wieder auf das Niveau von 2019 angestiegen ist. Das Augenmerk liegt verstärkt auf der Widerstandsfähigkeit der Unternehmen und der betrieblichen Effizienz, um Personal und Ressourcen effektiver zu verwalten und nachhaltiger zu wirtschaften – in ökologischer und finanzieller Hinsicht. Wir sehen eine Branche, die darauf bedacht ist, vermehrt Technologien zu nutzen, um sich nach der Pandemie besser und umweltfreundlicher zu erholen.

Auch unserem Bericht “2021 Air Transport IT Insights” kann man entnehmen, dass Fluggesellschaften und Flughäfen dieser Meinung sind. Trotz der finanziellen Belastung durch Covid-19 werden 84 % der Fluggesellschaften und 81 % der Flughäfen im Jahr 2022 voraussichtlich gleich viel oder mehr für IT ausgeben als 2021. 

Technologie ist ein wichtiger Bestandteil der Strategie der Branche, um das Netto-Null-Ziel bis 2050 zu erreichen. Wir sind uns jedoch darüber im Klaren, dass die Nachhaltigkeitsherausforderungen der Branche nicht allein durch Technologie bewältigt werden können, sondern dass wir auf Zusammenarbeit angewiesen sind.

Hier bei SITA arbeiten wir beispielsweise mit anderen zusammen, um neue Lösungen zu entwickeln um Nachhaltigkeitsziele schneller zu erreichen. So haben wir uns mit dem globalen Netto-Null-Partner und Technologieführer im Bereich Artificial Intelligence of Things (AIoT), Envision Digital, zusammengetan, um eine Kohlenstoffmanagementlösung zu entwickeln, die Flughäfen auf ihrem Weg zum Netto-Null-Ziel unterstützt.

Können Sie uns konkrete Beispiele von Produkten bzw. Massnahmen, die SITA in der Vergangenheit zur Verringerung der CO2-Emissionen eingesetzt hat nennen, insbesondere am Flughafen Zürich? 

Wir haben uns in erster Linie auf die grösste Emissionsquelle, den Treibstoff (Scope 1 für Fluggesellschaften, Scope 3 für Flughäfen), und die Rolle fokussiert, die Flughäfen bei der Reduzierung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe spielen können.

SITA Collaborative Decision Making ist eine weitere Lösung, die dazu beiträgt, Emissionen in der Luft zu reduzieren. Die Technologie ermöglicht den Austausch von Erkenntnissen und Daten zwischen den verschiedenen Akteuren und unterstützt so die Entscheidungsfindung in Echtzeit, um kostspielige Verspätungen und Störungen zu minimieren, die den CO2-Ausstoss erhöhen. Unsere Collaborative Decision Making Tools am Flughafen Zürich haben zu erheblichen jährlichen Einsparungen geführt – 2.300 Tonnen Treibstoff, 7.300 Tonnen CO2, 78,9 Tonnen CO (Kohlenmonoxid), 8,8 Tonnen NOx (Stickoxide), Euro 1,8 Mio. an Treibstoffkosten und Euro 1,9 Mio. an Kosten wegen Verspätungen.

Wo genau wurden die SITA Prozessänderungen oder technischen Vorteile in Gang gesetzt?

Flughäfen wie der internationale Flughafen Athen haben vom Einsatz von SITA Airport Management profitiert, um ihre Prozesse zu verbessern, den Betrieb zu rationalisieren und irreguläre Vorgänge (Irregular Operations – IROPs) zu bewältigen.

Mithilfe von SITA Airport Management kann der Flughafen Athen nun wichtige Betriebsdaten in Echtzeit an seine Stakeholder – wie Fluggesellschaften, Behörden und Flugsicherungsdienstleister – weitergeben, um fundiertere betriebliche Entscheidungen zu treffen. Das Betriebsteam des Flughafens kann zum Beispiel sehen, wann ein Flug sein Ziel verlassen hat und wann er voraussichtlich in Athen ankommen wird. So kann das Team den Betrieb am Boden planen und z. B. die Verwaltung von Ressourcen wie Check-in-Schalter, Gates, Stände und Brücken rechtzeitig in Gang zu setzen, um unnötige Verspätungen zu vermeiden.

Die Technologie hat Athen auch geholfen, IROPs besser zu bewältigen, wie etwa einen unerwarteten Schneesturm Anfang 2022, der für Athen ungewöhnlich war und eine Enteisung der Flugzeuge erforderlich machte. Das Flughafenteam hat das Tracking-Raster so konfiguriert, dass alle Beteiligten die Enteisung/Anti-Vereisung effektiv planen konnten.

(TI)