Ökonom: «Für die Reisebranche wird es noch lange schwierig bleiben»

Interview mit Mark Schelker: Er ist Ökonom und Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg und Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen.
Mark Schelker, Ökonom und Professor an der Universität Freiburg. © zvg

Wie weit wurden auch Sie von der Krise überrascht?

Man weiss zwar, dass eine Pandemie möglich ist. Aber wenn ich ehrlich bin: Als in China Spitäler aus dem Boden gestampft wurden, habe ich die Sache immer noch nicht so richtig ernst genommen.

Wie erleben Sie aus ökonomischer Sicht den Krisenverlauf?

Aus meiner Sicht wurde, wie meistens, die Krise zuerst unterschätzt (als das Virus noch in China war) und dann überschätzt. Mir schien, als ob wir – oder vor allem die Medien – fast sehnsüchtig darauf gewartet hätten, bis das Virus in der Schweiz war. Dann kam innert kürzester Zeit enorme Hektik auf. Ich denke, dass die Bilder aus Italien viel damit zu tun hatten.

Also alles falsch gelaufen?

Nein. Es gab grosse Unsicherheiten und der Bundesrat hat zu Beginn gut und abwägend gehandelt und gut kommuniziert. Die Investitionen ins Gesundheitswesen waren absolut angemessen. Das hat sich aber sehr schnell verändert. Die Zentralisierung der Entscheidungshoheit hat zu extrem viel Dirigismus geführt. Das ist gefährlich, weil damit alle das Gleiche machen, und bei Fehlern dann auch alle die gleichen Fehler begehen. Fehler sind unausweichlich, weil man so wenig wusste. Schon Ende März habe ich gedacht, dass die einseitige Fokussierung auf das Virus keine gute Entwicklung nach sich zieht und die Kollateralschäden grösser werden könnten als die Schäden durch das Virus.

Was heisst das konkret?

Es gab keine Abwägungen zu den mit den Massnahmen verursachten Schäden. Und es gibt immer noch keine Strategie, wie wir schnell die notwendigen Datengrundlagen erstellen, um in dieser Lage zu navigieren. Wir sind datenmässig immer noch im Blindflug. Der Bund könnte seit zwei Monaten gezielt saubere Daten erheben, um bessere Entscheidungsgrundlagen zu haben – aber er macht es immer noch nicht. Dazu bräuchte es regelmässige Zufallsstichproben.

Wir sind immer noch so unterwegs, wie wenn man im Winter die Frontscheibe beim Auto nur fünflibergross vom Eis befreit, aber dann die Autobahn benutzt. Den Lockdown wie auch die Lockerungen machen wir im Blindflug. Wir kratzen nicht die ganze Windschutzscheibe frei – und das wissentlich. Dass wir zurzeit Unsicherheiten haben ist logisch und das wird auch noch eine Weile so bleiben. Nur sollte man die Unsicherheiten so weit als möglich reduzieren. Die Erhebung von Zufallsstichproben ist zwar nicht schwierig aber in diesem Ausmass eine logistische Herausforderung. Da ist das BAG schlecht aufgestellt. Das braucht massiv Personal. Genau dafür hätte man die Armee einsetzen können, aber das hätte man veranlassen müssen.

Aus Ihrer Sicht läuft also vieles schief?

Nein, das kurzfristige Massnahmenpaket zur Überbrückung der Wirtschaft war hervorragend ausgestaltet. Aber solche Pakete sind nur etwas für die sehr kurze Frist. Der Staat kann wirtschaftliche Aktivität nicht ersetzen. Alles was jetzt noch dazukommt, wird uns nicht helfen, sondern uns noch lange wie ein Klotz am Beim behindern. Die Grössenordnung der Intervention ist mittlerweile gigantisch und wird uns und die nächste Generation noch lange belasten. Daher ist dieser weitreichende Lockdown eine viel zu grosse Intervention. Die Schäden wären schon ohne den massiven Lockdown verheerend gewesen.

Nachher weiss man immer alles besser

Darum geht es gar nicht. Wichtig ist, dass nicht nur die Kurzfristigkeit, sondern auch die mittlere Frist von Bedeutung ist. Politiker wollen zwar gestalten, aber keine Verantwortung übernehmen. Daher sind die Interventionen zwar riesig, aber begleitet von Massnahmen zum Schutz der Entscheidungsträger. Jeder Corona Tote wird dir als Politiker angerechnet. Das willst du nicht, da schaust du, dass die Zahl so tief wie möglich bleibt. Die Kollateralschäden werden erst in einem halben Jahr oder einem Jahr sichtbar. Je weiter weg, umso weniger kannst du dafür verantwortlich gemacht werden. Das ist Politik. Alles was nicht sofort ist, ist unwichtig.

Ökonomen und Mediziner haben (logischerweise) unterschiedliche Ansatzpunkte was das Krisenmanagement betrifft. Besteht eigentlich ein Dialog zwischen diesen beiden Wissenschaftszweigen?

Da bestand, wenigstens zu Beginn, viel zu wenig Austausch. In normalen Zeiten gibt es halt nur wenig konkrete Überlappungen, bei denen wir gegenseitig voneinander abhängig sind. Sonst wäre der anfänglich viel zu enge Fokus auf das Virus, ohne die mit den Massnahmen verbundenen Kollateralschäden mit einzubeziehen, nicht so zustande gekommen. Der Dialog ist besser geworden.

Aber jetzt wird möglicherweise ein Überreagieren kommen, bei dem die Mediziner zu wenig Gewicht haben könnten. Die Wirtschaftskrise wird richtig hart einfahren. 20 Prozent Arbeitslose in den USA, bei uns 6 bis 7 Prozent Arbeitslose: das sind dramatische Herausforderungen, wie wir sie  seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr hatten. Im Moment ist noch alles eingefroren durch die massiven Überbrückungsaktionen der Länder. Aber jetzt beginnt es aufzutauen. Es wie auf einem Schlachtfeld. Wenn sich der Pulverdampf verzieht sieht man wer noch steht und wer angeschlagen ist. Das werden wir erst noch sehen. Jetzt die Zukunft zu prognostizieren ist enorm schwierig.

Was wären denn jetzt die wichtigsten Massnahmen?

Neben der besseren Datenerhebung sollten wir so schnell als möglich die ausserordentliche Lage beenden, damit die Kantone wieder entscheiden können. Damit sie entscheiden können, was lokal wieder funktionieren kann. Wir haben ein brillantes System mit einem unglaublich erfahrenen Föderalismus. Das haben wir in einer ersten Runde gleich aufgegeben. Das muss sofort wieder zurück, damit wir besser lernen können, was funktioniert und was nicht. Das Coole bei den Kantonen ist: du kannst beobachten, wer was gemacht hat, wer gut, wer nicht gut reagiert hat. Im Moment kannst Du den Bundesrat mit niemandem vergleichen.

Eine der am stärksten betroffenen Branchen ist die Reisebranche. Was raten Sie einem Besitzer eines Reisebüros, wie er sich verhalten soll?

Für die Reisebranche ist klar: für sie wird es noch lange schwierig bleiben. Das sind die ersten, die typischerweise eine Wirtschaftskrise spüren. Das bleibt noch über längere Zeit ein grosses Problem. Das war also erst der Anfang. Die wichtigsten Fragen, die man sich stellen muss: wie ist es vor Corona gelaufen? Hast du regelmässig Gewinne geschrieben, eine solide Kapitaldecke aufgebaut? Machtest du etwas, was andere nicht konnten? Hast du ein Business Modell, das nicht so schnell kopiert werden kann? Was sind deine realistischen Zukunftsaussichten?

Möglicherweise musst du schrumpfen. Aber wenn du vorher schon von der Hand in den Mund gelebt hast, dann musst du jetzt die Konsequenzen ziehen. Das wird ganz harte Entscheidungen für einige geben. Wenn aus einer Wiedereröffnung kaum Deckungsbeiträge erwirtschaftet werden können und das Geschäft schon vor der Krise schleppend war, dann sollte nicht weiter Kapital verbrannt werden.

Die Airlines sind weltweit besonders betroffen

Der Wettbewerb war schon vor der Krise halsbrecherisch. Die Margen waren extrem klein, die Preise ständig unter Druck. Die Airlines sind die anfälligsten in der Industrie. Das wissen alle und eigentlich hätten sie sich entsprechend absichern und eine gesunde Kapitaldecke bilden müssen – das war aber wegen der tiefen Margen nicht möglich. Leidtragende sind unter anderem auch die Reisebüros, die lange auf die Rückerstattung bereits bezahlter Tickets warten müssen.

Keine erfreulichen Aussichten

Es wird eine Konsolidierungswelle geben. Viele Airlines werden eingehen, was zu einer Verstaatlichungswelle führen wird. Viele Länder werden nicht zulassen, dass ihre Airline ganz flöten geht, was ordnungspolitisch ein Problem ist. Der halsbrecherische Wettbewerb wird demzufolge weitergehen. Dadurch hat man weiterhin zu tiefe Preise. Dabei müsste es eine preisliche Bereinigung geben, weil auch die Umweltkosten eingepreist werden müssten. Dann gingen die Preise hoch und es würde weniger geflogen. Das wird nicht geschehen, solange staatlicher Stolz mit einer Airline verbunden ist.

Sind Sie denn der Meinung, dass die Swiss in der jetzigen Situation keine finanzielle Unterstützung durch den Staat bekommen sollte?

Doch, natürlich. Dass es eine Intervention braucht ist verständlich, weil die Swiss auch direkt von staatlichen Massnahmen betroffen ist.

Es gibt das Argument, dass die Swiss Millionengewinne nach Deutschland abgeliefert hat und deshalb kein Geld von der Eidgenossenschaft bekommen soll.

Nationalismus bringt nichts in dieser Diskussion. Die Swiss hat unter dem Flügel der Lufthansa gut gewirtschaftet. Sie wäre allein kaum so erfolgreich gewesen. Hätte sie keinen Gewinn gemacht, hätte sie ein Business, das nicht funktionierte. Dann sollten wir auf keinen Fall das Überleben sichern. Aber die Swiss hat ja funktioniert und das ist toll. Die Gewinne gehen  dann halt dorthin, wo die Eigentümer sind. Das ist kein Problem. Die Gewinne von Nestlé gehen ja auch nicht einfach nur an die Schweizer Aktionäre.

(Interview: Kurt Schaad)