Opinion: Corona-Chancen für die Kreuzfahrt

Das Coronavirus dürfte grenzüberschreitende Reisen noch einige Zeit massiv beeinträchtigen. Umfassende und strikt eingehaltene Konzepte könnten die Kreuzfahrt als sichere und erholsame Ferien-Alternative neu positionieren.

Das Traumschiff-Image, schon zuvor wegen Umwelt-Bashing arg ramponiert, erlitt spätestens Anfang Februar mit dem medial weltweit aufgegriffenen Coronavirus-Ausbruch auf der Diamond Princess Schiffbruch. Nach einer 17-tägigen Quarantäne im Hafen von Yokohama waren über 700 Personen infiziert, in der Folge verstarben sechs Personen. Heute sind sich die Experten einig, dass das Krisenmanagement sowohl der Behörden wie auf dem Schiff ungenügend war.

Bittere Erfahrungen

Fehleinschätzungen hatten im März auch in Australien drastische Folgen: Nach der Rückkehr der Ruby Princess von einer Neuseeland-Cruise konnten die Passagiere in Sydney trotz vermuteter Infektionen das Schiff unbehelligt verlassen, was letztlich an Land zu rund 800 Ansteckungen und mehreren Todesfällen führte. Auch die Irrfahrt der Zaandam, die Ende März mit Infizierten und Verstorbenen an Bord keine südamerikanischen Häfen mehr anlaufen durfte und sich auf einer dramatischen Fahrt nach Ft. Lauderdale retten musste, wurde nebst weiteren Vorfällen auf anderen Schiffen weltweit von den Medien aufgegriffen.

Das Bild der Kreuzfahrtschiffe als «Brutstätte des Virus» war bald geprägt, und so falsch war dies zu Beginn der Pandemie nicht: Noch wusste man – wie überall – nicht genau, wie mit dieser neuartigen Seuche korrekt umzugehen ist. Die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC spricht für die Periode vom 1. März bis 10. Juli 2020 von insgesamt 2973 Corona-Fällen auf Kreuzfahrtschiffen, die zu 34 Todesfällen führten. Betroffen waren auf 123 verschiedenen Schiffen sowohl Passagier wie Crew – eine bittere Bilanz.

Und dann, ab Mitte März, der totale Stillstand. Ausser einigen Schiffen, die sich noch auf Weltreise befanden und wegen Anlaufverboten so rasch wie möglich nach Hause flüchteten, setzte die gesamte globale Cruise-Industrie ihren Betrieb ein. Die mit menschlichen Schicksalen verknüpfte Heimführung der Crew entpuppte sich wegen Reiserestriktionen, fehlenden Flugverbindung und da und dort stets wieder aufpoppenden Infektionen als erste gewaltige Herausforderung im Shutdown. Doch gleichzeitig mussten sich die Reedereien umgehend mit der alles entscheidenden Frage auseinandersetzen: Wie kann es dereinst wieder weiter gehen?

Detaillierte Schutzkonzepte

Die Herausforderung war klar: Sowohl Besatzung wie Passagiere gilt es möglichst verlässlich vor einer Covid-19 Ansteckung zu schützen und im Falle eines Infektions-Verdachts die richtigen Sofort-Massnahmen zu treffen. In Zusammenarbeit mit staatlichen und regionalen Behörden und Ämtern, wissenschaftlichen Instituten und Experten, der CLIA und weiteren Stellen wurden erste detaillierte Sicherheits- und Hygieneprotokolle entworfen, die – wie wir gleich sehen werden – inzwischen laufend aktualisiert und den neusten Erkenntnissen und Entwicklungen entsprechend angepasst werden.

Schwerpunkte solcher Schutzkonzepte umfassen für die Besatzung zum Beispiel mehrmalige Covid-19-Tests und eine Quarantäne an Bord, bevor sie ihren Dienst aufnehmen kann. Die neuen Massnahmen werden mit der Crew intensiv geschult, der Gesundheitszustand wird täglich überprüft und regelmässig getestet und zur Arbeit gehört stets die Maske oder ein Schild. Vielerorts sind Landgänge für die Besatzung ausgesetzt.

Die Massnahmen für die Gäste beginnen bereits im Vorfeld mit einer detaillierten Selbstdeklaration zum Gesundheitsstand, das Check-in und Boarding im Terminal erfolgt in kleinen Gruppen unter Einhaltung strikter Abstands- und Hygieneregeln. An Bord wird im Innern eine Schutzmaske verlangt (nicht im Sitzen), die Temperatur wird täglich überprüft. Sämtliche Räumlichkeiten werden permanent gereinigt und desinfiziert, den Gästen stehen überall Dispenser zur Verfügung. Selbstbedienung im Buffet-Restaurant ist derzeit gestrichen, in den Restaurants und Lounges wird zwischen den Tischen Abstand gewahrt, stehend konsumieren an der Bar geht nicht mehr und das ganze Entertainment ist auf kleinere Personengruppen ausgerichtet. Vor allem aber: Die Schiffe sind nur noch mit einer Belegung von 60 bis 70 Prozent unterwegs. Und im Verdachtsfall stehen Isolierkabinen zur Verfügung und es wurden medizinische Notfallpläne entwickelt.

Lehrreicher Neustart

Mit solchen Massnahmen starteten bereits im Juni die ersten Flussschiffe in Europa erfolgreich. Auf Hochsee legten kleinere Schiffe von Hurtigruten und Seadream in Norwegen wieder erste Fahrten auf, und auch Ponant kehrte rasch mit Fahrten entlang der Küsten Frankreichs aufs Wasser zurück. Im Juli und August starteten die deutschen Reedereien TUI Cruises und Hapag-Lloyd Cruises mit grösseren Einheiten auf «Blaue Reisen» und Panoramafahrten ohne Landgang in die Nord- und Ostsee, inzwischen wagten auch MSC und Costa im Mittelmeer ihr Comeback. Der Neustart konzentriert sich (mit einzelnen exotischen Ausnahmen) derzeit noch auf Europa, Fahrten ab US-Häfen und in die Karibik sind vorläufig noch nicht möglich. Ob die wichtige Wintersaison gerettet werden kann, ist noch offen.

Die bisherigen Erfahrungen des sachten Cruise-Neustarts sind ermutigend: Mit ganz wenigen Ausnahmen, die letztlich die Funktionalität des Systems bestätigen, haben sich die getroffenen Massnahmen bisher bewährt. Nur Hurtigruten erlitt auf der wohl zu rasch und inkonsequent wieder in Betrieb genommenen Roald Amundsen einen massiven, medial breit aufgegriffenen Corona-Zwischenfall, der die Reederei zur vorläufigen Stornierung des geplanten Expeditions-Programm zwang und auch personelle Folgen hatte. Es mag dabei erstaunen, dass solche Vorfälle auf Schiffen es sofort in die Medien schaffen, während man aus der landgestützten Hotellerie, die wohl kaum gänzlich von ähnlichen Ereignissen verschont bleibt, kaum etwas hört.

Trotzdem: Man darf festhalten, dass sich die Cruise-Industrie offenbar der eminent wichtigen Bedeutung eines möglichst reibungslosen Neustarts bewusst ist und ihre Massnahmen zudem laufend anpasst: So wurden und werden zum Teil immer noch erste Fahrten nicht nur geografisch begrenzt, sondern auch nur für bestimmte Zielmärkte durchgeführt – etwa national limitiert oder auf Schengen-Staaten bezogen. Inzwischen wird zudem fast überall von den Gästen ein negativer Covid-19-Test verlangt, was sich vorläufig wohl als neuer Cruise-Standard etablieren wird. Mit ersten Hafenstopps werden da und dort auch die Landgänge so organisiert, dass man nur im Rahmen eines von der Reederei organisierten Ausflugs («Bubble») vom Schiff darf um unkontrollierte Land-Kontakte zu vermeiden. Dass es den Reedereien damit sehr wohl ernst ist zeigte MSC auf einer ersten Reise, als sie eine Familie, die sich auf eigene Faust von der «Bubble» entfernte, nicht mehr aufs Schiff zuliess.

«Sichere Alternative»

Niemand kann derzeit mit letzter Verlässlichkeit sagen, wie lange das Coronavirus noch unser Leben mitbestimmen wird. Ebenso unklar ist, ob dereinst eine Impflösung oder Medikation das Virus Knall auf Fall zum Verschwinden bringt. Es bedarf keiner Schwarzmalerei wenn man davon ausgeht, dass es noch Monate wenn nicht gar Jahre dauert, bis gänzlich freie, unbeschwerte Reisen weltweit wieder möglich sind. Bis dahin wird man sich mit chaotischen, laufend wechselnden Einreiseverboten, Risiko-Einschränkungen und anderen Restriktionen herumschlagen müssen. Sollten sich deshalb die bisher positiven Erfahrungen der Schiffsreisen weiterhin bestätigen, hat die Kreuzfahrt durchaus eine starke Trumpfkarte in der Hand.

Das gilt – wie gerade auch die Flussfahrt zeigt – insbesondere für kleinere Schiffe, wo die Schutzmassnahmen bei einer geringeren Passagierzahl einfacher durchgesetzt werden können und sich die Gäste kaum weniger eingeschränkt fühlen als sie es sich inzwischen an Land gewohnt sind. Abfahrten ab «sicheren» Häfen mit «sicherer» Anreise, allenfalls ausschliesslich Seetage mit absolut verlässlichen Schutzkonzepten an Bord oder kontrollierte Landgänge und -Aktivitäten an meist kleineren oder entlegenen «sicheren» Destinationen haben gute Chancen, auch in Corona-Zeiten die Reiselust vieler Menschen zu stillen. Das ist für grosse Schiffe und Megaliner, die auf grössere Häfen angewiesen sind, ohne Zweifel anspruchsvoller, aber in der Konsequenz keineswegs unmöglich.

Natürlich erhalten Seereisen unter solchen Voraussetzungen den Anstrich einer Art «Ghetto-Ferien», und Landgänge, die nur in einer «Bubble» oder an Reederei-exklusiven Orten wie z.B. Privatinseln erlaubt sind, widersprechen jedem Ansatz von Individualität und persönlicher Entdeckungsfreude. Nur: Was ist verwerflich daran, auf einer Panoramafahrt mit oder ohne Landgang einige erholsame Tage an Bord die frische Meeresluft um die Nase wehen zu lassen und all die Vorzüge eines feinen (und nur limitiert ausgelasteten) schwimmenden Hotels oder Resorts zu geniessen? Nur zum Vergleich: Rund 40 Millionen Besucher tummeln sich Jahr für Jahr freiwillig und gerne in der höchst limitierten Resort- und Entertainment-«Bubble» Las Vegas, während sich im letzten Jahr auf rund 400 Kreuzfahrtschiffen gerade mal 30 Millionen Passagiere tummelten – weltweit.

Zwingende Option

Es liegt nun weitgehend in der Hand der Reedereien, unter den derzeit gegebenen Umständen mit aller Verve das Image der Kreuzfahrt als «sichere Alternative» zu festigen und dem breiten Publikum zu kommunizieren. Nicht als Schönmalerei, sondern im Sinne einer offenen und selbstsicheren Darstellung der getroffenen Sicherheits-Bemühungen. Eine mangelhafte Umsetzung der Konzepte oder achtlose Nachlässigkeiten, die zu einem schwerwiegenden Corona-Vorfall auf einem Cruiseliner führen könnten, wären erneut sofort ein globales Medienthema und sowohl für die betroffene Reederei wie für die gesamte Industrie ein Desaster.

Denn letztlich müssen – wenn vorerst auch nur auf kleinerer Flamme realisierbar – so rasch wie möglich wieder Einnahmen generiert werden. Davon hängt nicht nur allmählich das Überleben vieler direkt und indirekt betroffenen Unternehmen in der Industrie (wie auch in vielen Zielgebieten) ab, sondern ebenso Investitionen in die Entwicklung neuer Lösungen für die durch Corona keineswegs aus der Welt geschaffenen Herausforderungen im Bereich Umwelt- und Klimaschutz.

(Kommentar: Beat Eichenberger)