Opinion: So krempelt Präsident Martin Wittwer den SRV um

Die GV in Sevilla brachte einige Neuerungen zu Tage, aber auch einige offene Fragen. Eine kritisch-konstruktive Nachbetrachtung von TRAVEL INSIDE.
Angelo Heuberger, Chefredaktor TRAVEL INSIDE

Die Generalversammlung des Schweizer Reise-Verbands (SRV) in Sevilla war der erste Auftritt von Martin Wittwer als Präsident des Verbandes. Er ist seit der GV 2021 im Amt und hat sich sehr viel vorgenommen, sehr viel initiiert und umgestellt. Das bisherige GV-Format hat sich indes erneut bewährt, denn in Sevilla war die gesamte Branchen-Elite praktisch lückenlos anwesend.

Der ehrgeizige Martin Wittwer krempelt den SRV gehörig um, insbesondere liegt ihm die seit der Pandemie offenkundige Aufgabe eines Dachverbandes ‘One Voice’ am Herzen.

Und diese hat er clever aufgegleist: mit Sonja Laborde holt er per Statutenänderung eine zusätzliche 12. Vorstandsperson und damit – so hofft er – auch diejenigen Mitglieder an Bord, welche noch nicht im SRV sind. Vor allem aus der Romandie. Etwas unorthodox war indes die Vorstellung des Organigramms noch bevor die Statutenänderung und die Wahl von Laborde stattgefunden hatten.

Ebenfalls schlau ist die Integration von Luc Vuilleumier (Präsident STAR) als kommendes Passiv-Mitglied des SRV sowie dem geplanten Einsitz in die Fachgruppe FLUG, mit neu Roger Geissberger (Knecht) an der Spitze. Vuilleumier kann es ganz offensichtlich viel besser mit Wittwer als mit den Vorgängern Max E. Katz und Walter Kunz. Der STAR- und der SRV-Präsident wollen inskünftig mit einer Stimme kommunizieren, zumindest nach aussen. Es wird sich allerdings bald zeigen, ob die Interessen der STAR-Mitglieder mit denen des SRV übereinstimmen.

In seinem vorgestellten 5-Punkte-Plan ist die Organisations-Struktur des SRV neu in vier Ressorts und sechs Säulen – ähnlich wie beim DRV in Deutschland – aufgezogen. Neu ist, dass jede Vorstandsperson, ausser dem Präsidenten Wittwer und dem Vize-Präsidenten Stéphane Jayet (VT Vacances), eine klar definierte Zuteilung erhalten haben. Ob dies auf Dauer tatsächlich funktionieren wird, muss sich zeigen. Jedenfalls bedingt dies eine äusserst disziplinierte Kommunikations-Kultur.

Das sehr wichtige Ressort POLITIK verbleibt bei André Lüthi (Globetrotter) der für weitere drei Jahre wiedergewählt wurde. Er wird auch beim ‘neuen’ SRV eine sehr starke Unterstützung aber auch einen Konterpart zu Wittwer darstellen. Die beiden duellierten sich bereits in der Vergangenheit immer wieder mal.

Ebenso bedeutend ist das Ressort FLUG, neu unter der Federführung von Roger Geissberger, der sich dieses Thema gekrallt hat. Die AUSBILDUNG obliegt der neu gewählten Nicole Pfammatter (Hotelplan Suisse, für den erkrankten Tim Bachmann), die ganz bestimmt die nötigen Voraussetzungen und Kenntnisse mitbringt. Und die NACHHALTIGKEIT ist neu bei Sonja Laborde angesiedelt.

FLUG, AUSBILDUNG und NACHHALTIGKEIT waren Themen der bisherigen Fach-Experten. Christian Kiser, Daniel Bauer und Roland Schmid, haben sich – wie auch alle Vorstandsmitglieder – ehrenamtlich eingesetzt, aber ohne im SRV-Vorstand zu sitzen.

An der GV wurde es versäumt diesen drei Experten für ihre Arbeit explizit zu danken. Auch unklar für die anwesenden Mitglieder war und ist, was mit diesen Experten ‘passiert’ – zum Teil wissen sie es selber nicht, weil sie erst kurz vor der GV in Kenntnis gesetzt worden waren.  Gemäss Geissberger habe sich Kiser für ein Weitermachen in der Fachgruppe bereit erklärt. Dies allerdings erst nach anfänglichem Zögern, wie hinter den Kulissen zu hören war.

Die sechs weiteren Vorstandsmitglieder haben gut passende Jobs aufgebrummt erhalten: TO-Generalisten ist bei Philipp von Czapiewski (TUI Suisse), TO-Spezialisten beim wieder gewählten Dieter Zümpel (DER Touristik Suisse), Business Travel/Commercial bei Olivier Emch (Executive Travel), Retail Romandie bei Jacqueline Ulrich (L’Esprit du Voyage), Retail Mittelland bei der wieder gewählten Natalie Dové (Nussbaumer) und Retail Ostschweiz bei Birgit Sleegers (Helbling).

Diese Persönlichkeiten sollen offenbar als Kontaktpersonen und Anlaufstelle für die SRV-Mitglieder zur Verfügung stehen. Ob sich allerdings die Mitbewerber diesen anvertrauen werden, muss sich ebenfalls noch erweisen.

Im Vorfeld der GV war es anscheinend unter den Frauen im SRV-Vorstand zu heftigen Diskussionen gekommen, die allerdings an der GV nicht publik waren. Der Präsident wollte unbedingt Sonja Laborde aus strategischen Gründen an Bord holen. Wegen der statutarisch festgesetzten Anzahl der Vorstände musste man sich daher überlegen, wer numerisch gesehen zurücktreten muss.

Anscheinend soll sich Natalie Dové freiwillig zur Verfügung gestellt haben, was sie jedoch auf Nachfrage dementiert. Dieser Rücktritt war offenbar ein grosses Thema und wurde wieder verworfen. Und so kam es zur Statutenänderung bezüglich der Anzahl möglicher Vorstandsmitglieder.

Und dann war da noch die unglückliche, ja unrühmliche Verabschiedung des bisherigen Geschäftsführers Walter Kunz. Dass zwischen Kunz und Wittwer die Chemie nicht oder nicht mehr stimmte, war jedem Teilnehmenden der GV ziemlich ersichtlich. Nur wenige Jahre vor seiner Pensionierung verlässt der Geschäftsführer Kunz den Verband nach fast einem Vierteljahrhundert. Dies nicht ganz freiwillig, wie spekuliert wird.

Sehr unüblich inthronisierte Wittwer die neue Geschäftsführerin – eine seiner ehemaligen Mitarbeitenden von TUI Suisse – noch bevor der jahrelange Geschäftsführer verabschiedet worden war. Die Laudatio übernahm dabei nicht der Präsident, der eher gelangweilt dem einmal mehr hervorragenden Vortrag von André Lüthi lauschte. Lüthi und Wittwer zofften sich dann auch noch öffentlich über die Legalität der Ehrenmitgliedschaft von Walter Kunz.

Die Kompetenzen von Kunz ‘wandern’ in die diversen Vorstände, ob dies dann letztlich effizienter und erfolgreicher sein wird, muss die Zeit zeigen. Die neue Geschäftsführerin Andrea Beffa darf jedenfalls in grosse Fussstapfen treten. Da wird der Präsident aktiv mitwirken müssen, zumindest zu Beginn. Aber als ex CEO von TUI Suisse ist er sich dies gewohnt, die Frage ist bloss ob er auch die Zeit dafür findet.

Nichtsdestotrotz war diese GV ein gelungener Event, dies ist auch den rührenden Gastgebern von Andalusien, Sevilla und dem Spanischen Tourism Board in der Schweiz zu verdanken. Der SRV-Präsident hat den Verband voll im Griff und kann aber im Vergleich zu seinem Vorgänger punkto Stil und Auftritt noch zulegen.

Angelo Heuberger, Sevilla