Peter Achten: «Selbstverständlich soll man nach China reisen»

Peter Achten, langjähriger Fernost-Korrespondent, beantwortet Fragen zum Verhältnis zwischen China und dem Westen von Journalist und TI-Autor Kurt Schaad.
Peter Achten © zvg

Zurzeit kann man die Stimmung zwischen China und den westlichen Ländern auch als «Säbelrasseln» bezeichnen. Diese Stimmung wirkt sich auch auf mögliche Reisepläne in das Reich der Mitte aus. 

Peter Achten war langjähriger Fernost-Korrespondent für Radio und Fernsehen sowie verschiedene Tageszeitungen. Er hatte 1989 das Tiananmen-Massaker in Peking direkt vor Ort miterlebt. Heute lebt er in der Schweiz und in Asien und arbeitet für in- und ausländische Medien.

Journalist Kurt Schaad hat sich mit dem China-Kenner Peter Achten über das Verhältnis zwischen China und dem Westen und das Reisen in und nach China unterhalten.


Peter Achten, das Verhältnis zwischen China und westlich orientierten Staaten ist ziemlich angespannt. Es gibt Forderungen nach einem Boykott der olympischen Winterspiele in Peking. Da stellt sich auch die Frage, ob man auch China in Zukunft bereisen soll.

Selbstverständlich soll man nach China reisen. In den letzten vier Jahren hat mich auch niemand gefragt, ob man in die USA reisen soll, wo bekanntermassen ein Rassist und Lügner an der Macht gewesen ist. Seit Jahrzehnten wird im Westen fast nur negativ über China berichtet.

Das grosse Missverständnis im Westen liegt darin, dass man gemeint hat, dass mit der wirtschaftlichen Entwicklung auch mehr Demokratie einhergehen wird – selbstverständlich eine Demokratie nach westlichem Verständnis. Was denn sonst. Aber China hat ein anderes Modell entwickelt und das passt uns natürlich nicht. China stellt sich nach der eigenen Tradition, nach der eigenen Geschichte etwas zusammen und da ist der Westen nicht bereit, es zu akzeptieren, nachdem sie 500 Jahre am Drücker gewesen sind.

Also, China ist auf jeden Fall keine Demokratie.

Natürlich. China ist ein autoritäres System. Tatsache ist auch, dass die meisten Chinesen mit dem jetzigen System zufrieden sind, auch meine chinesischen Freunde, die zum grössten Teil in den USA und in China studiert haben. Die sagen: schaut doch mal nach Amerika, was ist denn das für eine Demokratie. Die Chinesen können ausreisen, können im Westen studieren. Das will man so nicht sehen.

Sie haben das Tiananmen-Massaker in Peking hautnah erlebt. Wie nehmen Sie heute dieses Ereignis wahr?

Das war eine grosse Tragödie und dass es heute tabuisiert wird ist alles andere als gut. Denn die Geschichte wird China irgendwann einholen. So, wie sie auch andere Länder einholen wird.

Wir haben also, Ihrer Meinung nach, von China ein falsches Bild.

Wir haben ein verzerrtes Bild. Es kann ja nicht sein, dass 70 bis 80 Prozent unserer Nachrichten negativ sind. Es wird schnell vom Hocker geurteilt, das ist im Trend. Ich hätte mir nie erlaubt, so unrecherchiert zu berichten. Es gibt einfach nur die vier negativ besetzten Themen: Taiwan, Tibet, Xinjiang und Hongkong.

Aber das sind Brennpunkte, da muss man schon genauer hinschauen.

Das sag ich ja, genauer hinschauen. Nehmen wir die Uigurengeschichte. Was man in westlichen Medien nie liest, ist, dass der Islam, der in Xinjiang praktiziert wird, salafistischer Art ist, also fundamentalistisch. Niemand weiss, dass mehrere tausend Uiguren auf Seiten des IS und ähnlicher Organisationen in Pakistan, Irak, Syrien und Lybien kämpfen. Natürlich ist es wahr, dass es in Xinjiang ein Burkaverbot gibt. Das sollte uns in der Schweiz nicht erstaunen. Und in den Schulen und im öffentlichen Dienst sind Kopfschleier nicht erlaubt. Hingegen gibt es kein Minarettverbot.

Aber wir haben in der Schweiz keine Umerziehungslager.

Natürlich nicht und ich will diese Lager auch nicht schönreden, aber es sind auch keine Konzentrationslager, wie in westlichen Medien verbreitet wurde, um eine Verbindung zum Nationalsozialismus herzustellen.  Xinjiang hat ein Terrorproblem und dass die Chinesen bei der Terrorbekämpfung keine Glacehandschuhe anziehen ist auch klar. Es ist im Westen auch von Zwangssterilisierungen, Massenvergewaltigungen, Sklavenarbeit undsoweiter die Rede, ohne dass dafür substanzielle Beweise vorliegen würden.

Der Dialog zwischen dem Westen und China scheint nachhaltig gestört zu sein.

Natürlich ist er das und das macht mir auch Sorgen. Natürlich muss man miteinander reden, man muss im Dialog bleiben. Aber wenn man immer wieder mit dem moralischen Zeigfinger der Menschenrechte auftritt, dann wir das schwierig. Der Dialog muss auf gleicher Augenhöhe stattfinden und mit gegenseitigem Respekt. Wenn man immer nur mit dem Zeigfinger kommt, ist das nicht Respekt, dann geht es einfach nicht.

Und dann spürt man auch eine chinesische Expansionspolitik.

Expansionspolitik haben in den vergangenen 500 Jahren Europa und Amerika gemacht. China hat nicht expandiert, hat keine Kolonien gehabt. Jetzt haben die Chinesen die Idee mit der neuen Seidenstrasse gehabt. Diese Idee hätten auch die Europäer haben können, aber sie hatten sie nicht.

Wo liegen denn die Ansatzpunkte, um den sich anbahnenden Konflikt zu entspannen?

Wie gesagt, es geht nur mit einem Dialog mit gegenseitigem Respekt auf gleicher Höhe. Der Ansatzpunkt muss auch multilateral sein, das ist ganz wichtig für die Chinesen. Es muss ich etwas bewegen in Sachen Dialog und Respekt.

Dialog heisst für Sie also auch nach China reisen?

Das Boykottieren eines Landes finde ich generell keine gute Idee. Da würde die Liste ziemlich lang, wenn man dieselben Massstäbe wie mit China anlegen würde. Man soll die Schuld nicht immer nur auf einer Seite suchen, das macht mich so wütend. «Die bösen Chinesen» führt dazu, dass wir schwierigen Zeiten entgegen gehen werden. Ich glaube nicht an Freundschaft zwischen den Staaten, sondern nur an Interessen. Das ist auch der Grund, weshalb die USA mit Saudiarabien relativ gut auskommen, obwohl dort die Menschenrechte mit Füssen getreten werden, sehr wahrscheinlich noch schlimmer als in China.

Das kann aber kein Freibrief für China sein.

Nein, natürlich nicht. Aber China ist in den letzten Jahren viel selbstbewusster geworden, ist stolz und kann da auch auf die grosse Mehrheit der Bevölkerung zählen. Es ist nicht mehr so, dass jeder Chinese amerikanische Demokratie will, aber vielleicht amerikanisches Geld. Und einen amerikanischen Pass, damit er sein Geld viel besser versteuern kann. ‘Wir, China, sind wieder jemand’ ist eine weit verbreitete Haltung.

Wie würden Sie eine Chinareise gestalten, damit der von Ihnen geforderte Dialog wieder besser stattfinden kann? Es geht ja beim Reisen auch darum, ein anderes Land, eine andere Kultur besser verstehen zu lernen.

Man muss die chinesische Kultur erklären, genauso, wie man den Chinesen unsere Kultur erklären muss, wenn sie in der Schweiz sind. Mit den Leuten reden ist allerdings nicht so einfach, weil man die Sprache nicht kann. Darum gelingen Chinareisen am besten, wenn man in einer gut organisierten Gruppe unterwegs ist, bei der der Dialog im Kontakt mit Chinesen gut organisiert ist.

Was sind denn die wichtigsten Erkenntnisse aus diesem Dialog?

Für Chinesinnen und Chinesen, und das hat sich bis heute nicht geändert, ist die chinesische Kultur die beste der ganzen Welt. Dieses Bewusstsein ist noch heute zutiefst in jedem und jeder drin. Das meine ich auch mit Kultur verstehen. Da gibt es eine klare Reihenfolge. Zuerst kommen die Chinesen, dann kommen die Weissen, dann die Japaner und ganz unten kommen die Schwarzen. So ist das. Das ist ganz tief drin, auch bei meinen chinesischen Freunden, die im Westen studiert haben. Auch für sie ist die chinesische Kultur das Nonplusultra und das schon seit über 2000 Jahren. Es heisst ja nicht von ungefähr das Reich der Mitte.

Es geht also darum, dass keine Überlegenheitsgefühle mehr entstehen können. Auf Gegenseitigkeit.

Immerhin sind die Chinesen inzwischen so weit, dass sie die Ausländer nicht mehr als Barbaren bezeichnen.

(Interview: Kurt Schaad)